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Klang der Stille

Fledermäuse orientieren sich mit ihrem Gehör. Echo-Ortung nennt sich diese akustische Peilung im Fachjargon, die auch Delphinen und manche Walarten nutzen. Inwieweit wir Menschen - ohne es zu ahnen - ähnliches auf dem Kasten haben, das hat ein US-Forscher jetzt untersucht.

Von Ralf Krauter | 11.07.2008
    Wenn wir nichts sehen, hören wir viel mehr, als wir denken. Auf diesen Nenner lassen sich die Experimente zur akustischen Umweltwahrnehmung bringen, die Larry Rosenblum mit Studenten der Universität im kalifornischen Riverside gemacht hat. Die jüngsten Versuche des Psychologie-Professors belegen, dass Menschen etwas können, was viele bislang nur Fledermäusen zugetraut hatten: Nämlich Gegenstände in ihrer Umgebung rein akustisch zu orten. Und zwar Gegenstände, die selbst keinerlei Schallwellen aussenden. Rosenblum:

    "Selbst völlig stille Objekte haben einen Klang. Egal ob das die Wände eines Raumes sind oder die Gegenstände, die darin stehen – all diese Dinge reflektieren Schallwellen auf eine ganz charakteristische Weise und prägen ihnen so Informationen auf, die das menschliche Gehör wahrnehmen kann."

    Wer öfter mal mit seiner Topfpflanze spricht, wird das mit Erleichterung zur Kenntnis nehmen. Denn es bedeutet: Unsere stillen Begleiter sprechen auch mit uns - das Sofa ebenso wie die Gardine und der Schreibtisch. Rosenblum:

    "”Auf gewisse Weise, ja. Sie übermitteln uns eine Menge Informationen, die es uns erlauben, uns angemessen zu verhalten.""

    Blinde Menschen nutzen solche akustischen Informationen, um sich in ungewohnter Umgebung zurechtzufinden. Ihr Gehör ist häufig so gut trainiert, dass sie ihre Umwelt erstaunlich präzise wahrnehmen. Statt ein Hindernis im Weg zu sehen, hören sie es.

    "Ich habe einen Freund, der von Geburt an blind ist. Er beherrscht die Echo-Ortung so perfekt, dass er Mountainbike fährt - und zwar so gut, dass er Radtouren mit blinden Kindern führt. Unsere Versuche zeigen nun: Auch sehende Menschen, die keine bewusste Erfahrung damit haben, ihre Umgebung allein anhand von Geräuschen zu erfassen, beherrschen diese Echo-Ortung. Zehn Minuten Übung genügen, um in einem unbekannten Raum mit verbundenen Augen eine große Tafel an einer Wand zu lokalisieren. Und sie hören sogar, welche Form, Größe und Textur diese Tafel hat."

    Am besten funktioniert das, wenn sich die Versuchspersonen im Raum bewegen und dabei immer wieder in die Hände klatschen – genau wie viele Blinde das tun. Je nach Position im Raum ändert sich die Charakteristik der reflektierten Schallwellen, weil Hindernisse ihre Ausbreitung beeinflussen. Ein feines Gehör kann daraus schließen, wo die Tafel hängt und wie weit sie entfernt ist. Im Prinzip machen Fledermäuse nichts anderes, nur dass sie nicht klatschen, sondern für uns unhörbar hohe Schreie ausstoßen. In seinem jüngsten Experiment wollte Larry Rosenblum herausfinden, ob Menschen auch mit verbundenen Augen erkennen können, an welcher Stelle eines ihnen unbekannten Raumes sie gerade stehen: In der Mitte, am Rand oder in einer Ecke. Rosenblum:

    "”Wir haben die Probanden auf einem Rollwagen im Raum positioniert. Während wir sie an eine bestimmte Stelle schoben, hatten sie Ohrschützer auf, damit sie nichts hören konnten. Dann baten wir sie, die Ohrschützer abzunehmen und ihre Position zu bestimmen. Einmal durften sie dazu selbst Geräusche machen, ein andermal spielten wir Geräusche über einen Lautsprecher ein. Dieser Lautsprecher war hinter ihnen auf dem Wagen montiert, so dass die Geräusche immer aus derselben Richtung kamen und deshalb nicht zur Ortung taugten.""

    Die solchermaßen desorientierten Versuchspersonen waren zunächst allesamt skeptisch und dachten: Ortung mit den Ohren - das klappt doch nie. Rosenblum:

    "”Trotzdem waren sie in beiden Fällen nach ein paar Minuten in der Lage, anhand der reflektierten Schallwellen ihre Position zu bestimmen. Sie konnten also beispielsweise abschätzen: Ich stehe jetzt in der rechten hinteren Ecke des Raumes. Ich glaube die Echo-Ortung ist eine dieser Fähigkeiten, die wir haben, ohne dass wir wissen, dass wir sie haben.""