Dienstag, 16. April 2024

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Klang des Korallenriffs
Weniger Sound - weniger Fische

Allen Redensarten von stummen Fischen zum Trotz: Viele Tiere im Korallenriff geben Laute von sich. Da zirpt und knartscht, knallt und knistert es - und sowohl für die Bewohner als auch für die Korallen selbst ist diese Soundlandschaft von erheblicher Bedeutung. Doch die Riffe werden stiller.

Von Tomma Schröder | 02.05.2018
    Anemonenfische (Amphiprion) - nach den beiden bekanntesten Arten häufig auch Clownfische genannt - sind eine in den Korallenriffen des tropischen Indopazifik vorkommende Gattung der Riffbarsche (Pomacentridae), die in enger Symbiose mit Seeanemonen lebt. (Foto von November 2013) | Verwendung weltweit
    Clownfische können nicht sehr weit sehen, aber sehr gut hören - und über das Gehör ihren Weg zurück ins heimatliche Riff finden (picture alliance)
    "Stell dir vor, du bist ein Korallenfisch. Du bist im Riff aus dem Ei geschlüpft und wurdest sofort hinausgetrieben in den Ozean, um in den ersten Lebenstagen Fressfeinden im Riff zu entgehen. Nun bist du etwas gewachsen, du bist stark und kräftig. Und als du die Größe eines Tictacs erreicht hast, bist du bereit, die Welt zu erobern. Aber wie um Himmelswillen findest du nach Hause? Dies ist nicht 'Findet Nemo' und es gibt keine freundlichen Meeresschildkröten, die dir den Weg weisen. Das hier ist die echte Welt. Du bist ein sehr kleiner Fisch - verloren in einem sehr großen Ozean."
    Sinfonieorchester des Riffs
    Timothy Gordon ist Biologe und Bioakustiker an der Universität Exeter. Und er weiß natürlich, wie der echte Nemo seinen Weg im weiten Ozean finden kann. Denn Clownfische können zwar nicht weit sehen und riechen können sie Riffe auch nur, wenn die Strömung aus der richtigen Richtung kommt. Aber sie haben ja glücklicherweise noch Ohren. Sehr gute Ohren. Und während Nemo also im weiten Ozean herumschwimmt, kann er es vielleicht irgendwann hören: das Sinfonieorchester des Riffs. Zuerst ist da das charakteristische Knistern, das von den schlagenden Scheren der vielen Krebse erzeugt wird. Dazu gesellen sich vielleicht irgendwann die Riffbarsche und die Trommler oder Umberfische und schließlich auch die vielen Verwandten des Clownfisches.
    "Nemo is literally hearing his way home. Or at least he used to."
    Nemo kann seinen Weg nach Hause also hören. Oder er konnte es, wie Tim Gordon sagt.
    Mit weltweiter Korallenbleiche auch abnehmender Klang
    Denn durch die weltweite Korallenbleiche wurden viele Riffe stark beschädigt. Und sie sind dadurch nicht nur farblos geworden, sondern auch stiller. Wissenschaftler der Universität Exeter erforschen die Klanglandschaft des Great Barrier Reefs vom Knabbern der Papageienfische bis zum Kratzen der Seegurke seit vielen Jahren. Sie konnten daher frühere Klangaufnahmen mit aktuellen Aufnahmen vergleichen, die nach der großen Bleiche im Jahr 2016 aufgenommen worden sind.
    "Wir stellten fest, dass wir das allmähliche Absterben des Korallenriffs hören konnten, dass der Klang wesentlich leiser war. Es war wirklich herzzerreißend, das zu hören. Und wir dachten uns, dass das eine große Auswirkung auf jene Fische haben könnte, die über das Gehör ihren Weg zurück ins heimatliche Riff finden. Wenn die Fische diesen Weg aber nicht mehr finden, dann ist die Wahrscheinlichkeit, dass sich das Riff irgendwann erholen wird, sehr viel kleiner."
    Stilleres Riff - weniger Besiedelung
    Denn viele Fische leben mit den Korallen in einer Symbiose. Fehlen sie, geht es auch den Korallen nicht gut. Um nun herauszufinden, ob ein stilleres Riff weniger stark besiedelt wird als ein gesund klingendes, griffen die Forscher in die Trickkiste.
    "Wir stellten ein künstliches Riff her mit Hilfe von Korallenbruchstücken. Und oben drauf befestigten wir Unterwasserlautsprecher, die entweder den Klang eines gesunden oder den eines zerstörten Riffes abspielten. Das geschah über Nacht, weil sich dann die meisten Fische ansiedeln. Und am nächsten Morgen zählten wir nach, wie viele Fische sich dort niedergelassen hatten. Die wurden dann eingefangen und zu einem echten Riff gebracht, damit sie dort weiterleben konnten. Das heißt, unser Riff war dann wieder leer und wir konnten den Versuch von Neuem starten."
    Insgesamt wiederholten die Forscher diese Prozedur 20 Mal und stellten fest, dass sich in dem künstlichen Riff mit der gesunden Klanglandschaft deutlich mehr Fische ansiedelten. Im stilleren Nachbarriff waren es im Vergleich 40 Prozent weniger. Nach einer früheren Studie, die zeigte, dass auch Korallenlarven sich von den Klängen des Riffs anziehen lassen, ist dies nun ein weiterer Hinweis darauf, dass der Zustand und die Zukunft eines Riffes nicht nur seh-, sondern auch hörbar ist. Wo kein Riff-Orchester mehr spielt, wird vermutlich auch zukünftig keines mehr zu hören sein. Und Nemo findet dann auch nicht mehr nach Hause.