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Klangkernschmelze im Süden

Zwei top Orchester zu verschmelzen, sei für einen Musiker eine unvorstellbare Idee, erklärt der Dirigent Rolf Beck und kritisiert damit die geplante Fusion der beiden SWR-Orchester. Auf diese Weise werde keine höhere Qualität geschaffen, vielmehr würden zwei renommierte Persönlichkeiten zerstört.

Rolf Beck im Gespräch mit Michael Köhler | 29.06.2012
    Michael Köhler: In seiner heutigen Sitzung in Stuttgart, da stimmte der Rundfunkrat des Südwestrundfunks einer Vorlage zur Zukunft der Orchester zu, nämlich der Fusion des Sinfonieorchesters Baden-Baden und Freiburg und des Radio-Sinfonieorchester Stuttgart des SWR. Das wird dann als realistischste Zukunftsoption eingestuft - so heißt das im Gremiendeutsch.

    Sollte bis zur nächsten Rundfunkratssitzung Ende September kein belastbares Alternativkonzept vorliegen, gelte die Fusion als beschlossene Zukunftsoption. - Ich habe Rolf Beck, Dirigent und früherer Leiter des NDR-Sinfonieorchesters und Gründers sowie künstlerischer Leiter der Chorakademie des Schleswig-Holstein-Festivals, gefragt: Ist das ein glücklicher und zukunftsweisender Weg?

    Rolf Beck: Also das wäre fatal! Wenn das die Zukunft der deutschen Orchesterlandschaft wäre, dann wäre das eine ganz, ganz schlechte Lösung. Ich meine, wir haben in Deutschland eine Tradition, die sich nicht zentralistisch aufbaut in der Kultur, sondern eben in den Regionen, und wir haben hier zwei Orchester, die in ihrer jeweiligen Region eine ganz wichtige Rolle spielen. Die jetzt zusammenzulegen und zu sagen, damit sichern wir die Zukunft, das hat schon sehr, sehr merkwürdige Untertöne.

    Köhler: Kann man sich denn den Sparbeschlüssen, die ja damit nicht nur angestrebt, sondern auch verwirklicht werden, so wie das seit 2010 die Absicht ist, kann man sich denen verweigern?

    Beck: Ich meine, dass wir alle sparen müssen, das ist klar. Dass man immer in der Kultur damit anfängt, ist mir nicht klar, zumal ja die Summen, die damit erreicht werden, nicht wirklich zählen. Das gilt bei den Kommunen genauso wie beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Ich finde, der Kulturauftrag, den auch die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten haben, umfasst auch die Orchester. Das ist zumindest bei uns im Norddeutschen Rundfunk ganz klar gesagt und wird auch immer wieder betont. Wir haben auch den Auftrag, diese Orchester zu unterhalten und im Sendegebiet auch entsprechend einzusetzen.

    Köhler: Herr Beck, Sie sind nicht nur Musiker und Dirigent, früherer Leiter des NDR-Rundfunkorchesters, sondern Gründer und künstlerischer Leiter der Chorakademie im Schleswig-Holstein-Festival. Haben Kritiker recht, die jetzt von einem Rumpf-Ensemble sprechen?

    Beck: Also im Moment wäre es ja kein Rumpf-Ensemble, es wäre ja ein völlig überdimensioniertes Ensemble, wobei die Erkenntnis, dass Quantität keine Qualität bringt, sich da auch noch erst durchsetzen muss. Es wird ja ein ganz, ganz schwieriger Prozess werden, diese beiden selbständigen, völlig autarken, prominenten, renommierten Klangkörper zu verschmelzen und damit auch das Renommee zu zerstören, und zwar beider, das Renommee von Stuttgart und von Freiburg. Also das ist schon ein Akt, den es bis jetzt noch nie gegeben hat nach meinen Erkenntnissen. Man hat zwar Saarbrücken mit Kaiserslautern, und auch der Hessische Rundfunk hat mal sein zweites Orchester integriert in das erste, aber zwei wirklich top Sinfonieorchester zu verschmelzen, das ist eine Idee, die ist für einen Musiker unvorstellbar.

    Köhler: Sie haben das Wort vom "Verschmelzen" benutzt. Das ist ein Begriff, der ursprünglich aus der Wirtschaft kommt, und da bedeutet es was anderes. Die Fusion, das Merging, das Verschmelzen führt (und das chemische Wort legt es nahe) zur Unkenntlichkeit, also die Herkunft wird dann unkenntlich. Sie haben vom föderalen Charakter gesprochen. Was halten Sie von dem Vorschlag, der heute gemacht wurde, im Übergang könnten sich doch die Orchestermusiker, die zeitweise in den großen Orchesterbesetzungen nicht eingeteilt werden, "in unterschiedlichen Ensembles formieren und Konzerte und Musikvermittlung gestalten", so heißt es wörtlich?

    Beck: Ja dann lenkt man den Blick davon ab, was erst mal mit diesem zu verschmelzenden Orchester eigentlich passieren soll. Das ist ja das Hauptproblem. Es wird ja damit keine größere Qualität geschaffen, es werden zwei Persönlichkeiten, künstlerische Persönlichkeiten zerstört. Die Personalität von Stuttgart, die ganz anders ist als die von Freiburg, das kann man nicht verschmelzen, wenn man nicht erhebliche künstlerische Einbußen hinnehmen will. Das ist ein typisches – Entschuldigung, wenn ich das so sage -, ein laienhaftes Herangehen an ein Problem, was ja existiert. Es existiert ein Problem bei der ARD auch, dass wir Geld einsparen müssen. Aber man kann an die Dinge, glaube ich, nicht so herangehen, wie man das tut. Das kann man, wie Sie schon sagen, bei Unternehmen vielleicht machen, aber nicht in der Kunst und nicht bei Orchestern, nicht bei diesen beiden Orchestern. Oder sagen wir, das kann man auch nach Berlin nehmen. Wie oft hat man schon diskutiert, ob man da zwei große Orchester fusioniert, und man hat es dann im Endeffekt nie getan – aus guten Gründen. Und hier ist es so, dass es ganz ähnliche Gründe gibt. Hinzu kommt noch das Problem der Entfernung.

    Köhler: Also unterm Strich würden Sie sagen, das ist kein glücklicher Weg, gleichwohl es ein gangbarer Weg ist, aber kein glücklicher, auch nicht für die öffentliche Radiokultur?

    Beck: Nein, überhaupt gar nicht. Es ist ein sehr unglückliches alarmierendes Zeichen, dass andere auf ähnliche Ideen kommen könnten, und es ist auch ein Beweis dafür, dass die Fachkenntnis, die bei solchen Entscheidungen eingebunden sein sollte, offensichtlich bewusst nicht eingeschaltet wird. Man will Fakten schaffen und danach will man sehen, wie man damit leben kann. Besser wäre der Weg, man würde erst sich wirklich fachlich fundierte Gedanken machen und dann handeln.

    Köhler: …, sagt Rolf Beck zu Fusionsplänen der SWR-Orchester.


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.