Archiv


Klangliche Kontinuität bei 50-prozentigem Personalwechsel

Das Zehetmair Quartett hat im Jahr 2001 Bartóks 4. Streichquartett aufgenommen und dafür den Preis der Deutschen Schallplattenkritik erhalten. Obwohl inzwischen das halbe Personal gewechselt hat, hat das Quartett seinen Klang beibehalten, was auf der neuen Aufnahme mit Bartóks 5. Streichquartett nachzuhören ist.

Von Maja Ellmenreich |
    Vier Musiker spielen auf höchstem Niveau, aber nur ein Name, der des Primarius', wird genannt. Ein bisschen unfair ist das schon, wenn sich vier die Seele aus dem Leib spielen, aber drei von ihnen "inkognito" musizieren. So ist es auch beim Zehetmair Quartett, mit dem österreichischen Geiger Thomas Zehetmair als Namensgeber.

    Allerdings ist es in diesem Fall nicht ganz unpraktisch, nur vom "Zehetmair Quartett" zu sprechen und nicht stets alle vier Namen aufzuzählen. Denn in den 12 Jahren seit Quartettgründung hat ein reges Bäumchen-wechsel-Dich-Spiel stattgefunden: Zweite Violine und Cello haben mehrfach gewechselt.

    Die aktuelle Besetzung mit Thomas Zehetmair, Kuba Jakowicz, Ruth Killius und Ursula Smith - das amtierende Zehetmair Quartett hat beim Label ECM eine neue CD vorgelegt: mit Béla Bartóks Streichquartett Nr. 5 und Paul Hindemiths Streichquartett Nr. 4, op. 22. Neue Namen, neues Repertoire, aber altbewährte Zehetmair-Qualität!

    Musikbeispiel: Béla Bartók: Scherzo aus Quartett für zwei Violinen, Viola und Violoncello Nr. 5 (Ausschnitt)

    Das Zehetmair Quartett mit einem Ausschnitt aus dem Scherzo von Bartóks 5. Streichquartett aus dem Jahr 1934. Mit beachtlicher Konsequenz hat Bartók es symmetrisch aufgebaut: Als mittlerer von fünf Sätzen ist das Scherzo sowohl Dreh- und Angelpunkt als auch Spiegelachse.

    Aber nicht nur auf dieser Oberflächenebene hat Béla Bartók sein Spiel mit der Symmetrie verfolgt: Spiegelungen, umgekehrte Reihenfolgen und Wiederholungen findet der detail- und analyseversessene Musikwissenschaftler haufenweise. Für den Hörer, der nicht die Noten verfolgt, sondern "bloß" lauscht, bleibt ein Großteil dieser Verbindungen und Querverweise unentdeckt. Was aber auch ohne Notenstudium auffällt, ist die überbordende Fülle an Gedanken und Ideen.

    Zwangsläufig kommt man zu dem Schluss, dass diese Materialmenge mit Leichtigkeit auch für zwei, wenn nicht sogar drei Streichquartette gereicht hätte. Bartók selbst bestätigte einst diesen Eindruck, als er seinem Biographen gegenüber bekannte: "In den Quartetten kondensiere ich bis zum Äußersten."

    Kein Wunder also, dass die insgesamt sechs Bartókschen Streichquartette als Meilensteine seines Schaffens bezeichnet werden, an denen sich der jeweilige Entwicklungsstand seines kompositorischen Könnens ablesen lässt.

    Wie begegnet nun ein Spitzenensemble wie das Zehetmair Quartett solch einem Giganten? Ganz einfach: Die vier Streicher beantworten den motivischen, den rhythmischen, den formellen Reichtum dieser Komposition ihrerseits mit Üppigkeit und bieten alles an Klangfarben auf, was Geige, Bratsche und Cello hervorbringen können. Von wohlig-warm bis eiskalt-schmerzend; vom satten Streicherklang bis hin zum knarzenden Geräusch. Das Zehetmair Quartett geht mit seiner Interpretation in die Extreme. Damit übertreffen die Musiker andere Ensembles, die in den vergangenen Jahren Bartóks Streichquartett Nr. 5 aufgenommen haben: Das Takács-Quartett etwa, selbst das Hagen Quartett bleibt dahinter zurück.

    Musikbeispiel: Béla Bartók: Allegro aus Quartett für zwei Violinen, Viola und Violoncello Nr. 5 (Ausschnitt)

    So viel klangliche Intensität wie bei Bartóks 5. Streichquartett haut einen schier um. Das ist - und ich bitte, dies als Kompliment an das Zehetmair Quartett zu verstehen - das ist nicht in jeder Gemütsverfassung auszuhalten. Vielleicht liegt der Ursprung dieser Gnadenlosigkeit ja in der Musizierpraxis des Zehetmair Quartetts begründet: Ursula Smith, Ruth Killius, Kuba Jakowicz und Thomas Zehetmair begegnen einander schließlich auch mit einer gewissen Schonungslosigkeit. Sie spielen nämlich auswendig. Und zwar nachdem sie die Autographe intensiv studiert und verinnerlicht haben. Noten oder Pult stehen ihnen nicht als Schutzschild zur Verfügung: Das bietet Angriffsfläche, aber auch Raum für eigene Attacken.

    Noch keine zwei Jahre musiziert das Zehetmair Quartett in dieser Besetzung und hat doch den ihm eigenen Quartettklang beibehalten: Der Geiger Kuba Jakowicz und die Cellistin Ursula Smith haben frei gewordene Positionen eingenommen. Ohne den Blick in das CD-Begleitheft wäre das aber kaum aufgefallen. Die Einspielung von Bartóks 5. Streichquartett schließt geradezu nahtlos an eine frühere CD mit Bartóks 4. Streichquartett an. Das Zehetmair Quartett hat es im Jahr 2001 aufgenommen, damals noch mit dem Geiger Ulf Schneider und der Cellistin Françoise Groben. Klangliche Kontinuität bei 50-prozentigem Personalwechsel - eine beeindruckende Leistung!

    Die erste Bartók-CD, damals ausgezeichnet mit einem Quartalspreis der Deutschen Schallplattenkritik, kombinierte Bartók mit Karl Amadeus Hartmann. Auf der neuen CD folgt auf Bartóks 5. ein Streichquartett von Paul Hindemith: opus 22.

    Bartók und Hindemith. Zwei Klassiker der Moderne, die aus unterschiedlichen musikalischen Traditionen kamen, aber doch verwandtschaftliche Beziehungen aufweisen, so sieht es Thomas Zehetmair: Beide seien konzertierende Solisten und Kammermusiker gewesen, beide waren sie auch musikethnologisch tätig.

    Dass sie einander persönlich kannten, beweist eine Fotografie im Booklet: Sie zeigt Hindemith und Bartók vor einer Pyramide in Ägypten, bei einem Musikkongress im Jahr 1932.

    Doch trotz musikalischer Parallelen und persönlicher Bekanntschaft bilden Bartóks 5. und Hindemiths 4. Streichquartett auf der neuen CD des Zehetmair Quartetts ein Kontrastprogramm, zumal zwischen ihnen auch 13 Jahre Musikgeschichte liegen. Während Bartók einen mit seiner Klangwucht zu erschlagen droht, gestattet einem Hindemith, Strukturen nachzuvollziehen. Nach Bartók wirkt Hindemiths opus 22 - bei aller Komplexität - transparent. Seine Auseinandersetzung mit barocken Vorbildern, namentlich mit Johann Sebastian Bach, sie ist hier besonders deutlich. Das heißt für das Zehetmair Quartett, nach knapp 30 Minuten Bartók, mit Hindemith einen anderen Ton anzuschlagen, polyphoner zu denken und zu musizieren.

    Das Zehetmair Quartett meistert diesen Wechsel mit Bravour. Und je häufiger man sich mit dieser neuen CD auf die unterschiedlichen Klangwelten von Béla Bartók und Paul Hindemith einlässt, umso faszinierender wird die Kombination der beiden.

    Musikbeispiel: Paul Hindemith: V Rondo. Gemächlich und mit Grazie aus Quartett für zwei Violinen, Viola und Violoncello Nr. 4, op. 22

    Das abschließende Rondo aus Paul Hindemiths Streichquartett Nr, 4, op. 22. Das Zehetmair Quartett kombiniert es auf seiner neuen CD mit dem Streichquartett Nr. 5 von Béla Bartók. Erschienen ist diese Neueinspielung bei dem Label ECM.