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Klapotetz und Kürbiskern

Wenn in der Steiermark im Herbst von "Sturm" die Rede ist, droht keineswegs ein Orkan. Der steirische Sturm ist vielmehr ein köstliches Getränk aus noch nicht ausgegorenem Schilcherwein, bevorzugt serviert mit heißen Maronen in einer Buschenschank.

Von Andreas Jacobsen |
    So kennen wir das Ferienland Österreich, mit seinen hohen Bergen und seiner heimeligen Volksmusik. Doch manchmal hört man statt vertrauter Klänge auch bekannte Evergreens: "In the Mood", gespielt von einer Amateurband aus der Region auf einem Weinhof, wo sich einheimische Familien und Dahergereiste beim herbstlichen Schilcher-Fest mit jungem Rebensaft und gerösteten Kastanien in Stimmung bringen lassen.

    Wir sind in Bad Gams, nicht weit von der Landeshauptstadt Graz und der slowenischen Grenze. Jetzt im Oktober trinkt man Sturm aus Schilchertrauben - so wird hier halb fertig gegorener Wein genannt, der im Geschmack dem Federweißen ähnelt.

    "Wir kommen aus Wien, und es ist eine Tradition geworden, seit zehn Jahren kommen wir jeden Herbst hierher, um die Gegend und die Weine und das gute Essen zu genießen."

    "Ich komme aus Salzgitter, wir haben hier tolle Landschaften erlebt, ein tolles Wetter auch jetzt noch im Herbst, und es ist zudem auch ausgesprochen preiswert."

    900 Kilometer hat dieser Familienvater im eigenen Wagen zurückgelegt - da muss der verlängerte Wochenendtrip in diese Region schon sehr verlockend sein:

    "Bei uns in der Buschenschank gibt's die typisch steirischen Brettljausen, dann das Kübelfleisch, Geselchtes, Verhackertes bis hin zum Rindschweinsulz, das wir natürlich auch selbst machen."

    Klingt recht exotisch, was der Gastwirt da von Rind und Schwein erzählt; es schmeckt aber überraschend gut. Dass man in solchen Buschenschänken, also bäuerlichen Schankbetrieben, die häufig abseits der Hauptstraßen liegen, weder Bier noch Kaffee serviert bekommt, ist der Eigenart österreichischer Gesetzesvorschriften zuzuschreiben. Es mag auch damit zusammenhängen, dass Kaiser Joseph II. 1784 aufgrund einer sogenannten Zirkularverordnung seinen Untertanen erlaubte, selbst erzeugte Weine und Obstler zu veräußern.

    In der Steiermark, dem ehemaligen Kronland der österreichisch-ungarischen Monarchie, wo der Anbau weißer und roter Trauben eine Jahrhunderte lange Tradition hat, sind aus Winzern, deren Umgang mit Besuchern ihrer schönen Heimat eher bäuerlich geprägt war, inzwischen Gastgeber geworden, die auch hohe Ansprüche erfüllen können. So bekommt man bei ihnen in der Mehrzahl Unterkünfte, die mit einfach ausgestatteten Fremdenzimmern überhaupt nichts mehr gemein haben, und die Auswahl auf den Speisenkarten wurde ebenfalls dem Zeitgeist angepasst.

    "Das Interesse der Gäste, finde ich, ist Essen mit heimischen Produkten, einfach bodenständige aus der Region. Hier gibt es nicht unbedingt Jakobsmuscheln. - Und Kaviar? - Wir haben auf dem Fisch auch Fischeier, aber die sind aus heimischer Produktion."

    Keine Schickimicki-Menüs also, jedenfalls nicht in diesem Wirtshaus. Und da gibt es etwas, das Fremde über das Essen hinaus besonders an der Steiermark schätzen.

    "Die Gemütlichkeit, die Gastfreundschaft, und einfach die Leute, dass sie natürlich sind, warmherzig und sich familiär geben."

    In den hügeligen und häufig sehr steil abfallenden Weinbergen kaum zu überhören: das Klapotetz-Klappern, verursacht durch ein Windrad, an dem Holzklöppel angebracht sind, damit ihr tackerndes Geräusch räuberische Vögel aus den Rebstöcken vertreibt. Immerhin misst der größte Klapotetz im Durchmesser sechzehn Meter.

    Um mit Rebsorten ihrer Heimat wie Welschriesling, Zweigelt oder Sauvignon Blanc bekannt zu machen, rüsten einige Winzer ihre Besucher mit "sprechenden" Navigationsgeräten aus.

    "Wir haben hier ein GPS-gestützes System, das heißt, wir drücken ihnen beim Besuch ein GPS-Gerät in die Hand, das sie durch den Weingarten führt und ihnen viel Wissenswertes über den steirischen Wein erzählt."

    Hier wartet eine deutsche Besuchergruppe aus dem Fränkischen geduldig darauf, in einer Ölmühle ein anderes, nicht weniger nachgefragtes Erzeugnis kennenzulernen - Kürbiskernöl, das "grüne Gold" der Steiermark. Aus ihm soll sich eine "gustatorische", also geschmacksverstärkende Kraft entwickeln, wie Feinschmecker zu wissen glauben. Früher brauchten die Steirer den Kürbis und alles, was sich daraus produzieren lässt, umso mehr, denn ihr südlicher Landesteil war einst das Armenhaus Österreichs. Kürbiskerne würden heutzutage sehr vielseitig verarbeitet, erklärt uns die Besitzerin der Ölmühle:

    "Wir haben Knabberkerne in den verschiedensten Geschmacksrichtungen: Natur, geröstet, Salz, Knoblauch, Paprika, Chili, Vanille, Zimt, Schokolade, Kaffee, Zitrone, Himbeer, Kirsch und Rum, dann Kürbisbier, helles und dunkles, und die steirische Kern-Kosmetik."

    Von ihrem Kürbis-Pesto schwärmt die Frau besonders, die mehrere Gruppen am Tag durch ihre Mühle schleust.

    Und die Winzer? Sind sie mit den vielen Bustouristen zufrieden, die im Herbst die Steiermark besuchen?

    "Ja, das ist natürlich unsere wichtigste Saison. Vor zehn, zwanzig Jahren haben wir noch viel mehr klassische Buschenschänken gehabt - das hat sich doch ein wenig verkleinert, weil viel mehr Gäste in der Region sind, die Genuss und Ruhe suchen und die es gern ein bisschen heimeliger haben."

    Auf die Frage, warum er gerade jetzt die Steiermark besucht, antwortet dieser Österreicher lakonisch:

    "Weil ich mir die Toskana nicht leisten kann, fahr ich hierher."