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"Klar könnte es besser sein"

Die Gräben zwischen Kosovaren und Serben sind so tief wie eh und je. Das konnte auch eine Gruppe des Deutsch-Französischen Jugendwerks hautnah erleben, als sie unlängst das Kosovo besuchte - und sich selbst als Modell der friedlichen Aussöhnung empfahl.

Von Nadine Lindner | 06.10.2009
    Die Brücke von Mitrovica, vor dem Kosovokrieg ein Sinnbild der Einheit einer multi-ethnischen Gesellschaft, ist heute wieder ein Symbol - für die andauernde Trennung der Bevölkerung. Die nördlichen Stadtteile sind mehrheitlich serbisch geprägt, im Süden wohnen meist Albaner. Über der Brücke liegt eine angespannte Ruhe. Kein Militär ist zu sehen, keine Polizei - aber auch keine Passanten. Es wirkt, als sei eine unsichtbare Mauer auf der Brücke gebaut worden. Allein die Gruppe des deutsch-französischen Jugendwerks schaut sich neugierig um. Vier Nationen sind darin vertreten. Dazu gehört auch Dran Kukaj; er ist 21 Jahre und Albaner. Unentschlossen und nervös steht er mitten auf der Brücke:

    "Diese Stadt ist geteilt, zwischen Serben und Albanern. Meine größte Angst ist, dass dies eines Tages auch den Kosovo teilen wird. Wenn man hierher kommt, merkt man, dass der Krieg noch nicht vorbei ist, dass der Hass immer noch da ist."

    Auch von der anderen Seite kommen wenige Menschen in den albanischen Teil der Stadt. Sie haben ebenfalls Angst, wie Petar Miletic, ein junger serbischer Journalist, berichtet:

    "Eigentlich kann man nicht sofort sehen, ob jemand Albaner oder Serbe ist. Aber wenn dich jemand nach der Uhrzeit fragt, erkennt man es sofort. Sobald ich den Mund aufmache und rede, weiß jeder Bescheid."

    Mitrovica ist einer der vielen Orte im Kosovo, an denen die bewaffnete Auseinandersetzung zwar vorbei ist, der Konflikt aber trotzdem noch den Alltag prägt. Der Widerstreit der Nationalitäten, hier mitten in Europa, hinterlässt bei den Jugendlichen aus Deutschland und Frankreich eine gewisse Sprachlosigkeit:

    "Ich weiß nicht genau, wie ich viele Sachen hier beurteilen soll."

    "Es gibt halt hier zwei Seiten, und die einen sagen so, die anderen sagen so. Es ist schwer einzuschätzen."

    "Genau, die Objektivität, die fehlt."

    "Vielleicht könnte die deutsch-französische Versöhnung ein Modell sein ... Aber ob der Kosovo eines Tages zu Europa gehören wird, weiß ich nicht."

    Vor rund einem Jahr hat das Kosovo seine Unabhängigkeit erklärt. Doch nicht alle Länder erkennen es an, vor allem Serbien und Russland nicht. Aber auch die Europäische Union ist gespalten: Deutschland unterstützt den neuen Staat, Spanien lehnt ihn ab, aus Angst vor Separationsbewegungen im eigenen Land.
    Bis heute untersteht das Kosovo internationalen Institutionen, die Europäische Union hat eine Mission zum Aufbau der Justiz entsendet. Auch wenn die Sicherheitslage – nach Angaben der KFOR – nun weitgehend stabil ist, steckt das kleine Land voller Probleme: Korruption und organisierte Kriminalität sind fest in der Gesellschaft verankert; die Arbeitslosigkeit ist hoch, besonders unter den Jugendlichen – sagt Avni Zogiani. Er arbeitet als politischer Journalist in der Hauptstadt Pristina:

    "Viele Jugendliche sind abgestumpft, apathisch. Sie wissen nicht, wohin. Und machen sich viele Sorgen um ihre Zukunft. Sie glauben nicht, dass sie nach der Schule eine gute Arbeit finden werden."

    Um eine gesellschaftspolitische Perspektive, um Aufarbeitung der schmerzlichen Vergangenheit von Serben und Albanern, kümmert sich unter anderem "Youth Iniative for Human Rights", wie Besart Lumi erklärt. Der junge Mann aus Pristina organisiert Jugendbegegnungen zwischen beiden Volksgruppen und zieht ein vorsichtig positives Fazit:

    "Während dieser Begegnungen diskutierten wir viel. Über den Krieg und die Zeit danach. Auch über die Unabhängigkeit des Kosovo. Es hat nie Probleme gegeben, sondern wir haben nur erkannt, dass wir zu wenig voneinander wissen."

    Der Austausch sei ein Startschuss: Oft würden sich die Jugendlichen nach den Fahrten noch über das Internet schreiben und privat treffen, auch wenn das meistens auf Englisch geschehen müsse, denn junge Albaner sprächen kein Serbisch, junge Serben kein Albanisch.
    Vorsichtige Zeichen der Hoffnung sieht auch der junge Albaner Dran Kukaj, der immer noch über seinen Besuch in Mitrovica nachdenkt. Trotz aller Schwierigkeiten will er nach seinem Jura-Studium auf jeden Fall im Kosovo bleiben:

    "Kosovo ist ein junger Staat und steht noch ganz am Anfang. Klar könnte es besser sein, aber wir müssen uns alle einbringen. Ich persönlich will jetzt einen Master in Jura machen. Danach will ich Rechtsanwalt werden, und zwar ein guter. Wo? Im Kosovo natürlich."