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Klares Bekenntnis zur EU
Großbritanniens Universitäten kämpfen gegen den Brexit

Kaum ein Land nutzt die Möglichkeiten der Wissenschaftskooperation über die Europäische Union mehr als Großbritannien. Zehntausende Akademiker aus der EU arbeiten auf den Inseln – die mit Abstand größte Gruppe bilden die Deutschen. Kein Wunder, dass sich die Universitäten gegen den Brexit stemmen.

Von Korbinian Frenzel | 20.06.2016
    Aufnahme vom 24.04.2005
    Unter allen 132 Universitäten des Landes herrscht Konsens: für die EU. (picture alliance / dpa / Chris Radburn)
    Man hatte sich schon früh vorbereitet auf den Fall der Fälle. Bereits Monate bevor Premierminister David Cameron bekannt gab, dass die Briten im Juni über die EU abstimmen werden, stand das Bündnis: Universities for Europe. Der Initiator der Aktion, die britische Hochschulrektorenkonferenz UK Universities, hatte den Konsens unter allen 132 Universitäten des Landes hergestellt. Für die EU. Für einen der großen Finanziers britischer Wissenschaft:
    "Die Unis im Vereinigten Königreich profitieren überdurchschnittlich von EU-Geldern", erklärt Kampagnen-Managerin Lucy Shackleton. "Knapp fünf Milliarden Euro kommen aus Brüssel im Zeitraum 2007 bis 2013 allein für die Forschung an unsere Universitäten."
    Im Durchschnitt machen europäische Gelder zur Zeit etwa 15 Prozent der universitären Budgets aus. Ein Anteil, der in den letzten fünf Jahren um ein Drittel gestiegen ist. Auch, weil London selbst auf nationaler Ebene die Mittel für Bildung deutlich zurückgefahren hat. Mit Skepsis blickt die Wissenschaftswelt daher auch auf die Versprechen der Brexit-Befürworter. Sie haben angekündigt, nach einem Austritt aus der EU die Lücken in den Haushalten ausgleichen zu wollen.
    Jeder sechste Mitarbeiter an den Unis hat keinen britischen Pass
    Geld ist ein Thema, aber bei weitem nicht das einzige, sagt Lucy Shackleton: "Es geht um so viel mehr. Wenn wir in der EU bleiben, wird es unseren Universitäten sehr viel leichter gelingen, die beste Köpfe aus ganz Europa zu kriegen – und damit dann unsere Forschung und auch unsere Lehre besser zu machen."
    Die Inseln sind ein Wissenschaftsmagnet für Ausländer. Jeder sechste Mitarbeiter an den Unis hat keinen britischen Pass, im Durchschnitt. Viele Hochschulen zählen sogar ein Viertel und mehr ausländisches akademisches Personal. Und dabei bilden die Deutschen die wichtigste Gruppe. Mehr als 5.000 zählt der Deutsche Akademische Austauschdienst, sagt der Direktor des Londoner Büros, Gregor Krawietz. Und nicht nur das zeigt die enge Verbindung zwischen Deutschland und Großbritannien in der Wissenschaft:
    "Die Zusammenarbeit zwischen deutschen und britischen Universitäten, aber auch zwischen außeruniversitärer Forschung in Deutschland ist sehr intensiv. Wenn man sich die Anteile britischer und deutscher Institutionen anschaut in ihrer Partizipation an EU-Programmen, da sind Deutsche und Briten überdurchschnittlich stark engagiert. Beide schätzen einander, was die akademische Qualität angeht, das gilt für beide Seiten."
    Und deshalb fürchtet auch der DAAD die Folgen, die ein Nein der Briten zur EU mit sich bringen könnten.
    "Sicherlich wird eine Entscheidung am 23. Juni für den Austritt nicht gleich das Ende der wissenschaftlichen Beziehungen bedeuten, das wird sich im Laufe der Jahre dann erst mal herausmendeln müssen. Aber die Voraussetzungen, um das weiterhin zu tun, würden sich definitiv verschlechtern."
    Wissenschaft war bisher kein zentrales Thema in der Brexit-Debatte
    Ein Argument, dass die Brexit-Befürworter nicht gelten lassen wollen – auch im Wissenschaftsbereich gibt es sie – Scientists for Britain heißt ihre allerdings nur wenig Unterstützung findende Plattform. Sie verweist darauf, dass auch viele Nicht-EU-Mitglieder wie die Schweiz oder Israel eng mit Brüssel kooperieren. Gerade die Schweiz aber, das entgegnen die EU-Freunde, habe erleben müssen, wie abhängig sie in dieser Konstellation ist. Als die Schweizer im letzten Jahr in einer Volksabstimmung die Freizügigkeit für EU-Bürger einschränkten, kürzte Brüssel kurzerhand die Forschungsgelder.
    Auch Gregor Krawietz vom DAAD ist skeptisch, wenn es um den Ersatz durch bilaterale Wissenschaftsabkommen geht, direkt zwischen Berlin und London:
    "Theoretisch denkbar ist das. Aber man müsste natürlich schauen, woher würden die Mitteln dann kommen für bi-nationale Anstrengungen. Und ob der Verlust , den beide Seite vergegenwärtigen müssen, weil sie nicht mehr an EU-programmen teilnehmen können, bilateral ausgeglichen wird, halte ich erst mal für fraglich."
    Die Entscheidung liegt bei den Briten. Wissenschaft, so viel ist klar, ist bisher kein zentrales Thema gewesen in der Debatte. Es könnte aber indirekt schließlich doch wahlentscheidend sein. Dann nämlich, wenn die Wahlbeteiligung der Studenten am 23. Juni hoch ausfallen sollte. Umfragen zufolge sind sie mehrheitlich Pro-EU eingestellt.