Archiv


Klares Bewusstsein und flirrender Esprit

Rosel Zech war keine Barbie, sondern enorm ausdrucksstark. Ihr kluges Bewusstsein habe immer einen faszinierenden Kontrast zum Überspannten gebildet, berichtet der Theaterkritiker Andreas Wilink. Beides zusammen sei in ihren besten Figuren zum Ausdruck gekommen.

Andreas Wilink im Gespräch mit MIchael Köhler |
    Michael Köhler: "Memories are made of this", gesungen von Rosel Zech in dem Kinofilm von Rainer Werner Fassbinder "Die Sehnsucht der Veronika Voss", ein Film über die frühen Jahre der Republik, die frühen 50er, und Erinnerungen an scheinbar bessere Zeiten der 30er. "Eigentlich habe ich ja gar nichts Spektakuläres zu sagen", sagte Rosel Zech in einem Gesprächsband mit dem Choreografen, Dramaturgen und Autor Raimund Hoge einmal. Durch die ARD-Serie "Um Himmels Willen" ist sie einem größeren Publikum als Darstellerin bekannt geworden, sie spielt die Mutter Oberin in dem Film "Um Himmels Willen". In den 80ern aber war sie eine der herausragenden deutschen Schauspielerinnen auf den Bühnen in Bochum und München.

    ""Früher dachte ich immer, ja und ich, wo bleibe ich, ich, ich, ich. Jetzt muss ich mich mit all meiner Erfahrung ins Team begeben. Ich kann zum Beispiel nicht gegen meinen Partner spielen. Ich mag es nicht gerne, wenn Schauspieler schwächer sind als ich. Das ist nicht schön zu spielen","

    Köhler: …sagt Rosel Zech, die mit Peter Zadek und Jürgen Gosch gearbeitet hat. Gestern erlag die gebürtige Berlinerin 69jährig einem Krebsleiden. – Andreas Wilink, Theaterkritiker und Kulturpublizist aus Düsseldorf, Sie haben eine sehr persönliche Erinnerung an Rosel Zech von einem gemeinsamen Vorstellungsbesuch?

    Andreas Wilink: Ja wir sind vor vier Jahren ungefähr mal gemeinsam im Auto nach Bochum gefahren. Das war für Rosel Zech nach gut 30 Jahren das erste Mal, dass sie auf dem Weg dorthin war, wie sie mir sagte, wo ihre Karriere zwar nicht begonnen – das war ja in Wuppertal -, aber doch eine entscheidende Wendung genommen hat. Sie gehörte ab 1972 in Bochum zum Ensemble von Peter Zadek. Das waren die wilden Jahre der legendären Ära dieses Verderbers und Erretters des deutschen Stadttheaters aus seiner Erstarrung, und es waren überhaupt Wunderjahre des Theaters. Bochum, das war eine kleine Welt um die Bannmeile des Schauspielhauses, vielleicht noch die Einkaufsstraße und die Königsallee 74, das Haus, in dem viele Schauspieler wohnten, und eine Hausnummer weiter lebte Rosel Zech. Und beim Wiedersehen sagte sie, als wir daran vorbei fuhren, relativ unsentimental berührt, dass sie das eher wie eine sachliche Romanze betrachte.

    Sie wollte sich damals eine Premiere ansehen, das war die Inszenierung eines jungen Regisseurs (den Namen lassen wir jetzt lieber beiseite), der sie unbedingt engagieren wollte. Sie fand die Aufführung furchtbar, war geradezu fassungslos und hat dann nicht mit ihm gearbeitet. Ich teilte übrigens diese Einschätzung. Aber an dem Abend haben wir immer wieder über zwei Namen gesprochen, die für sie ganz wichtig waren, nämlich Zadek und Fassbinder.

    Köhler: Sie haben jetzt Peter Zadek schon erwähnt. Sie hat mit ihm zusammengearbeitet. Ich nehme es mal vorweg: Mit Rainer Werner Fassbinder verband sie eine wichtige Zusammenarbeit. Am bekanntesten ist der Film "Die Sehnsucht der Veronika Voss", aber auch "Lola" wäre zu nennen. Sie stand aber immer so ein bisschen neben dem sogenannten Fassbinder-Clan. Klären Sie uns auf: Was für eine Rolle hat sie da dargestellt und warum ist das so wichtig?

    Wilink: Na ja, dass sie so spät zum Fassbinder-Clan kam, oder gar nicht so richtig dazugehörte, hatte eben damit zu tun, dass sie so spät kam. Da waren ja schon diese großen Phasen vorbei, da hatte sich die Familie schon etwas aufgelöst. Und Rosel Zech, die ja in "Lola" eher eine kleinere, bescheidenere Rolle hatte, kam dann in "Veronika Voss" zum Zuge. Das ist, wenn man so will, Fassbinders Antwort auf Billy Wilders "Boulevard der Dämmerung", der Film, der auf der Berlinale vergoldet wurde, auch gerade für Rosel Zech. Es ist ein Wahnsinn in gleißendem Weiß aus den 50er-Jahren der Bundesrepublik, ein Film über den Film, eine Studie zur Hysterie und zur Abhängigkeit und ein Requiem auf die Einsamkeit des Ruhmes, und Rosel Zech ist darin wie geschmolzenes Glas. Sie spielt eine Schauspielerin, die ihre großen Zeiten hinter sich hat und noch einmal glaubt, sie könne daran anknüpfen, und das Ganze im Kokainrausch gewissermaßen. Übrigens spielt Peter Zadek eine kleine Rolle in dem Film. Beide, Zadek und Fassbinder, hatten ja großen Respekt voreinander, und Rosel Zech berichtet, dass Zadek ihr das eigentlich nie verziehen habe, dass sie damals, Anfang der 80er, für die Arbeit mit Fassbinder ihn verlassen habe, und sagte, man darf nie mit einer anderen Primadonna arbeiten, nicht einmal sie bewundern.

    Köhler: Kommen wir noch mal auf die Person zu sprechen. Ich sagte es schon: Einem Fernsehpublikum ist sie durch zahlreiche Rollen auch bekannt geworden. Wir haben jetzt viel über ihre Bühnengeschichte gesprochen. Wenn sie beispielsweise in einem, sagen wir, "Tatort" die kinderlose Gutsbesitzerin spielt, die mordet, dann ist das für meine Begriffe hinreißende Bühnentheatralik, die sie fürs TV-Format durchaus gerettet hat. Also beängstigend in ihrer scheinbaren Harmlosigkeit und, sagen wir es ruhig mal, eine wahnsinnig schöne, starke Frau? Keine Barbie, aber enorm ausdrucksstark. Richtig?

    Wilink: Auf jeden Fall richtig, und das war sozusagen die Essenz einer Rolle, die sie bei Zadek 1977 gespielt hat, nämlich die Generalstochter Hedda Dabbler, für die sie damals auch zur Schauspielerin des Jahres wurde. Darin war sie sehr klar, sehr knapp, sehr kühl, darin kam ihr Wesen zum Ausdruck. Diese Hochmut, die Machtgier, eine Unsicherheit, auch eine Schwäche, das hatte hysterische und verkrampfte Züge. Bei Zech fiel ja immer auf diese analytisch klar artikulierende Stimme und eine hoch präzise formulierende Sprache. Man merkte also, ein kluges, klares Bewusstsein. Aber dieses Reelle und Bewusste bildete immer einen faszinierenden Kontrast zum Überspannten, zum flirrenden Esprit, den sie hatte, auch zum hoch Artifiziellen ihres Spiels, und beides zusammen kam in ihren besten Figuren eben zum Ausdruck.

    Köhler: Andreas Wilink, Regisseur Peter Zadek hat in seiner Biographie "My Way" sich an zahlreiche Schauspieler erinnert. Was sagt er über Rosel Zech?

    Wilink: Er nennt sie mit einem sehr schönen Namen, "Das Reh mit einem Hinkefuß", als sei sie ein kostbarer Gegenstand aus einer Glasmenagerie und kein Lebewesen in freier Natur, also schön und scheu und mädchenhaft, aber dabei eben auch gefährdet und mit einem Stich ins Heikle.

    Köhler: …, sagt Andreas Wilink zum Tod von Rosel Zech, die 69jährig gestorben ist.