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Klartext gegen Teflon

Das einzige Mal im Wahlkampf stehen sich die Kanzlerkandidaten von SPD und CDU beim TV-Duell direkt gegenüber. Es gehört mittlerweile fest zum Wahlkampf. Ob es etwas am Wahlausgang ändert, ist aber fraglich.

Von Katharina Hamberger und Falk Steiner | 01.09.2013
    2002: TV-Duell Edmund Stoiber gegen Gerhard Schröder
    2005: Angela Merkel gegen Gerhard Schröder
    2009: Frank-Walter Steinmeier gegen Angela Merkel


    Im US-amerikanischen Wahlkampf ist es seit 1960 gang und gäbe. In Deutschland hatte es erst vor elf Jahren Premiere: das TV-Duell. Das verbale Kräftemessen der Spitzenkandidaten von Union und SPD: Live, 1,5 Stunden lang, befragt von vier Moderatoren, ausgestrahlt zur besten Sendezeit am Sonntagabend, übertragen in vier Programmen gleichzeitig: auf ARD, ZDF, RTL und ProSieben.

    Straßenumfrage am Freitag. Nicht irgendwo, sondern im Regierungsviertel von Berlin. Das TV-Duell nur bei wenigen Passanten bereits Thema:

    - "Da sind wir wieder in Hamburg schon, liegen auf dem Sofa. Da liegen wir einfach und gucken fern."
    - "Diesen kommenden Sonntag? Da erhole ich mich von der Berlinreise. Weiß ich doch nicht, hab kein Programmheft hier."
    - "Ich glaube, das ist dieses Kanzlerduell beziehungsweise dieses Kandidatenduell."

    Am Schlagabtausch zwischen Angela Merkel und Peer Steinbrück vorbeizuzappen, ist für den Fernsehzuschauer heute Abend kaum möglich.

    Sind Deutschlands Straßen leer gefegt? Ähnlich wie bei der Fußball-WM, als halb Deutschland vor der Mattscheibe mitfieberte? Ein Drittel der Deutschen sind Umfragen zufolge noch unentschieden, ob und vor allem wen sie am 22. September wählen sollen. Denn:

    "Bei den früheren Duellen waren 20 Millionen Zuschauer an den Bildschirmen. Jeder, der am Bildschirm sitzt, redet am nächsten Tag mit zwei oder drei anderen. Potenziell erreichen Sie über dieses Fernsehduell, über die Zuschauerzahl und über die Sekundärkommunikation alle. Und das ist wichtig."

    Sagt Matthias Machnig, früher Wahlkampfmanager und Bundesgeschäftsführer der Sozialdemokraten. Die Parteien begreifen das Duell also auch als Instrument, um potenzielle Wähler zu mobilisieren. Morgen, Montagabend, treten dann die Spitzenkandidaten von Linken, FDP und Grünen gegeneinander an. Alle Parteien haben diese Fernsehdiskussionen fest in ihre Wahlkampfdramaturgie eingeplant, sagt Andrea Römmele, Professorin für Communication in Politics and Civil Society an der Berliner Hertie School of Governance:

    "Die haben angefangen mit Plakaten, haben diese Woche die ersten TV-Spots. Und jetzt eben der erste große Höhepunkt des Wahlkampfes mit dem TV-Duell, das eben wirklich eine breite Masse erreicht."

    Die große Reichweite vor allem des Kanzler-Duells kann auch helfen, diejenigen zu erreichen, von denen es in diesem Jahr besonders viele zu geben scheint: die noch Unentschlossenen. Der Politikwissenschaftler Thorsten Faas:

    "Wir konnten 2009 sehen, dass aus der Gruppe der zuvor Unentschlossenen sich dann Leute aufgrund dieses TV-Duells entscheiden. Und wir hatten damals, glaube ich, aus der Gruppe der Unentschlossenen rund 20 Prozent, die danach gesagt haben, also eigentlich fanden sie Steinmeier damals ganz gut. Für Merkel damals war die Zahl etwas niedriger."

    Das Live-Duell von Amtsinhaberin und Herausforderer kann zudem offenbar das bieten, was ausformulierte Wahlprogramme, Plakate oder Werbespots nicht erfüllen können, sagt Kommunikationsforscherin Römmele:

    "Wählerinnen und Wähler sind nicht uninteressiert an Politik. Aber sie haben auch nur wirklich begrenzt Zeit, sich mit Politik zu beschäftigen. Insofern ist es ein wunderbares Format, um in kurzer Zeit die zentralen Themen zu übermitteln."

    Selbst an Erstwähler, vielleicht an Politik eher uninteressierte junge Leute ist gedacht – mit einer Personalie, die zunächst für Aufregung sorgte. Anstatt eines Politikjournalisten schickt Sat1Prosieben Stefan Raab. Die ProSieben-Moderations-Allzweck- Waffe, hat der ehemalige bayerische CSU-Ministerpräsident Edmund Stoiber ins Spiel gebracht – fürs jüngere Publikum.

    Peer Steinbrück war zunächst nicht begeistert. Nachdem aber die Kanzlerin ausrichten ließ, die Moderatoren sollten von den Fernsehsendern und nicht von Politikern ausgewählt werden, lenkte er ein.

    An Raabs Seite sitzt nun Anne Will von der ARD. Und Maybritt Illner, ZDF, bildet mit Peter Kloeppel, RTL, ein Team. Vier der fünf großen deutschen Fernsehsender übertragen - anders noch als 2009.

    "2009 hat man nämlich bei ProSieben noch ganz offensiv einen durchaus prominenten Film, den Simpsons-Film, gegen das Duell laufen lassen. Und auch durchaus offensiv als Alternative zu diesem etwas langweiligen Politikgespräch im Vorfeld beworben."

    Erinnert sich Politikforscher Thorsten Faas. Vor vier Jahren hätten insbesondere die bildungsfernen Schichten, die sich wenig für Politik oder Wahlkampf interessieren, lieber die Simpsons angesehen. Aber kann ein Entertainer wie Stefan Raab auch den Verlauf des Duells beeinflussen? Thomas Kausch moderierte 2005 das Duell Merkel gegen Schröder. Er rechnet vor:

    "Wenn Sie sich das mal aufteilen und auf die Nettozeiten runterbrechen: Sie haben vier Moderatoren, insgesamt haben Sie 90 Minuten für das Duell. Es sollen ja vor allem Frau Merkel und Herr Steinbrück sprechen. Die Moderatoren müssen sich den Rest durch vier teilen, das heißt, die haben vielleicht eine Nettozeit von fünf Minuten pro Moderator."

    Ort des Duells ist Berlin-Adlershof. Vor dem Eingang in das Studio hängt ein altes Plakat: "TV-Duell Schröder-Stoiber" steht darauf. Der erste Eindruck beim Betreten der Studio-Kulissen: ziemlich türkis, mit ein bisschen weiß, grau und rot. Die dominierenden Materialien: Teppich, Stoff und Plastik. "Eher puristisch", nennt es RTL-Moderator Peter Kloeppel. Aber so soll es auch sein. Lange Nachdenkpausen beim verbalen Kräftemessen werden besonders auffallen, denn das Studio gleicht einem rundherum abgeschlossenen Raum, in dem sich nur Kameras, Moderatoren, Merkel und Steinbrück befinden. Zuschauer sind nicht vorgesehen:

    "Ich finde, es ist auch eigentlich ganz gut, dass die beiden Kandidaten hier vielleicht nicht auf Pointen hinreden. Das macht man ja gerne mal, wenn Publikum da ist und man Klatscher und Applaus provozieren will. Vielleicht ist das dafür dann die richtigere Atmosphäre, wenn das ein bisschen so Hochamt ist. Alles clean, alles ruhig."

    Sagt Anne Will. Körperlicher Einsatz der Duellanten wird zwar nicht erwartet, aber wäre auch nicht möglich. Denn alles in diesem Studio ist ziemlich empfindlich – das wird auch den Journalisten beim Presserundgang noch mal deutlich gemacht:

    "Liebe Kollegen, bitte nicht auflehnen auf die Balustrade. Das ist sehr empfindlich, da oben."

    Kein Problem für Peter Kloeppel – er kennt sich aus und weiß um die Tücken:

    "Ich weiß ja, wo ich hindarf. Die Bespannung ist immer so ein tricky Ding, weil das ist nicht ganz einfach. Das ist hier eher solide, aber dahinten ist es nur eine gespannte Geschichte."

    Dabei deutet er auf eine türkisen, hüfthohe Mauer aus Stoff, hinter der sich die Fernsehkameras verstecken. Davor ein großes Podest, auf dem Duellanten und Moderatoren stehen werden. Für Merkel und Steinbrück sind auf grauem Teppich blaue Pulte aufgebaut:

    "Die Kandidaten haben kleine Monitore, die eingelassen sind in die Pulte, auf denen sie jeweils ihre Zeit vorfinden, die sie bislang verbraucht haben und die Gesamtzeit, die das Duell gedauert hat."

    Erklärt Anne Will. Obwohl die Pulte ganz leicht zueinander gedreht sind, schauen sich die Kandidaten erst einmal nicht direkt an. Das dürften sie aber, wenn sie wollen:

    "Indem sie durch eine leichte Drehung in der Hüfte oder auf den Füßen von etwa zehn bis 15 Grad sich dem Gegenüber zuwenden. Das haben wir auch bei den anderen Duellen schon erfolgreich exerziert."

    Die von den Pulten vorgegebene Blickrichtung aber geht erst Mal zu den Moderatoren. Die stehen an zwei weißen Stehtischen, die so breit sind, dass genau ein Moderatoren-Pärchen hinpasst. Auch die Journalisten haben Monitore, auf denen sie sich sehen – und die Zeit:

    "Wir haben auf unseren Pulten ansonsten nichts. Zettel dürfen wir ja mitbringen. Die Kandidaten auch. Ansonsten keinerlei Requisiten. Er gibt keine Filme und so was. Ja, wir haben alle einen Ohrwurm, damit man uns sagen kann, wie wir in der Zeit liegen. Das ist es."
    Bis Sendebeginn ist das Studio übrigens versiegelt. Aus Sicherheitsgründen.

    TV-Duell, das klingt martialisch. In den USA heißt das Aufeinandertreffen der Kandidaten schlicht Debatten. Aber:

    "Die deutsche Diskussion ist in der Tat stark durch diesen Duell-Charakter geprägt: Das sieht man auch, wie die beiden da stehen. Das hat auch durchaus was von einem Boxring. Die wichtigste Frage nach dem Duell: Wer hat gewonnen? Insofern müssen sich die beiden Kontrahenten, die da mit vier Journalisten gemeinsam im Ring stehen, schon sehr genau überlegen, wie sie in diesen 90 Minuten ihre Punkte, ihre Persönlichkeiten auch rüberbringen."

    Darin war Gerhard Schröder Profi. 2005 – sein Duell mit Angela Merkel. Sie – die ambitionierte Fraktionsvorsitzende. Er - der erfahrene Medienkanzler. Sie - eher introvertiert. Er – genau das Gegenteil, mit einem sehr persönlichen Einblick in sein Privatleben nicht geizend:

    "Meine Frau hat das gute Recht, erstens die Wahrheit zu sagen, denn es ist die Wahrheit. Und zweitens, sich zu äußern, wann immer sie es für richtig hält. Und sie äußert sich engagiert. Und ich sage es noch einmal: Sie lebt das, was sie sagt. Und ich füge hinzu, das ist nicht zuletzt der Grund, warum ich sie liebe."

    Wird Peer Steinbrück auch auf Emotionen setzen? Dass ihm das Sympathiepunkte einbringen kann, weiß er spätestens seit Juni – als ihn auf einer SPD-Veranstaltung in Berlin seine Ehefrau zu Tränen rührte. Matthias Machnig:

    "Ich warne nur vor einem, da jetzt irgendwie Klamauk zu machen. Oder sich in irgendeiner besonderen Art und Weise über bestimmte Dinge inszenieren zu wollen. Die Leute haben ein gutes Gefühl dafür: Was ist authentisch und was nicht."
    Was beim breiten Publikum ankommt und was nicht, lässt sich mit Zuschauern testen, berichtet Thorsten Faas, Politikwissenschaftler an der Universität Mainz. Auch heute Abend finden an einigen Hochschulen der Republik genau solche Veranstaltungen statt. Wissenschaftler bitten dort die Zuschauer zum Experiment. Welche Passagen finden sie überzeugend? Welche nicht? Herausgefunden hätten die Forscher dabei,

    "dass besonders die Stellen, an denen es den Kandidaten gelingt, ihre Werte, für die sie politisch stehen, mit Alltagserfahrungen, die die Zuschauerinnen und Zuschauer machen, zu verknüpfen. Das sind häufig so Momente, wo wir besonders hohe Zustimmungsraten sehen."

    Als Beispiel nennt Faas eine Stelle aus dem Duell 2009: Damals sorgte das Schicksal einer Kassiererin für Schlagzeilen. Herausforderer Steinmeier verband damals die Diskussion um diese Kassiererin geschickt mit dem Thema soziale Gerechtigkeit und dem Wert, den diese für seine SPD habe:

    - "Wenn auf der einen Seite, sie erinnern sich an den Fall, die Kassiererin erwischt wird mit ihrem Pfandbon von 1,50 Euro, fristlos endlassen wird. Und zur gleichen Zeit, in den selben Monaten, ein Manager für seine Bank auch noch mit einer Abfindung und diese steuerbegünstigt ..."
    - "Was würden wir heute Abend ohne Manager machen?"
    - "Ja, Herr Plasberg, Sie können darüber lachen, aber das zerrt an den Nerven dieser Gesellschaft."

    Beim Publikum konnte der SPD-Politiker damals punkten. Und auch die Kommentatoren erklärten ihn zum Duell-Sieger. Angela Merkel aber gewann die Bundestagswahl.

    Bei der Bewertung des Duells aber zählen nicht nur Argumente, sondern dessen Ausgang hängt auch davon ab, wie die Kanzlerin und der Herausforderer mit den Erwartungen an sie umgehen können, sagt Faas. Von Merkel wird erwartet, dass sie sich in allen erdenklichen Themen auskennt, Zahlen und Fakten nennt, für den Schlagabtausch mit ihrem Kontrahenten also bestens gewappnet ist.

    "Was aber eine Chance für den Herausforderer ist, denn er kann dann die etwas niedrigere Erwartungshaltung leichter überbieten. Und damit, man könnte sagen, relativ leichter als der Sieger dastehen."

    Es gibt Beispiele dafür, die zeigen, dass das durchaus möglich ist. Edmund Stoiber etwa hat 2002 im ersten Duell gegen Kanzler Schröder besser abgeschnitten, erinnert sich Faas.

    Wie die Duellanten auftreten, wie und was sie antworten, entscheiden die Politiker und ihre Berater. Nicht aber, was das Fernsehpublikum, politische Freunde und Gegner oder Beobachter und Journalisten daraus machen. Darauf weist Andrea Römmele hin.

    "Aber es geht auch um das Einordnen dieses Duells, also um die Interpretation, wie ist es denn eigentlich gelaufen. Wie hat Merkel, wie hat Steinbrück letztendlich abgeschnitten. Und da sind die Aussagen der Experten, die Interviews, die danach laufen, die Leitartikel, die wir am nächsten Tag sehen, sehr wichtig für den Wähler, was die Einordnung des TV-Duells anbelangt."

    Auf die anschließende Berichterstattung online, in Zeitungen, Hörfunk oder Fernsehen alleine wollen sich die Parteien nicht verlassen. Das Duell ist auch ein Event. Die SPD zum Beispiel verlässt sich nicht darauf, dass der Wähler von sich aus heute Abend gespannt auf den Bildschirm blickt. Sie lädt zum gemeinsamen Fernsehabend ein - und mehr. Generalsekretärin Andrea Nahles:

    "Das ist für die SPD ein wichtiger Tag, Schwung zu nehmen in die darauffolgende Woche. Wir werden zum Beispiel Frühverteilungsaktionen machen an U-Bahnhöfen. Bei mir im Wahlkreis mache ich es zum Beispiel vor dem größten Arbeitgeber der Region, bei einem Schichtwechsel morgens um fünf. Also, es gibt sehr viele Initiativen, wo wir dann auch das Duell auswerten, die Argumente noch mal aufarbeiten."

    Denn jede Äußerung, die heute Abend im Kanzler-Duell fällt, kann laut Nahles Munition sein für den Schlussspurtwahlkampf der SPD. Bei der Union sieht man das sicher ähnlich. Und jeder Fehler kann sich rächen. Doch mit welchen Argumenten werden Merkel und Steinbrück in den verbalen Schlagabtausch ziehen? Welche Themen können entscheidend sein?

    55 Prozent der Deutschen, hat das Meinungsforschungsinstitut Infratest Dimap im August herausgefunden, möchten Angela Merkel wieder als Kanzlerin sehen. 22 Prozent würden ihren Herausforderer Peer Steinbrück favorisieren.

    Fakt ist - laut Meinungsforschern - aber auch, dass sich die Deutschen bei ihrer Wahlentscheidung an Themen orientieren. Bei etwa der Hälfte der Bürger spielen dabei solche Themen eine Rolle, die eher dem sozialdemokratischen Herausforderer in die Hände spielen könnten, nämlich Löhne und Arbeitsbedingungen, Altersabsicherung und Sicherung des Lebensstandards. Doch sind das tatsächlich Themen, bei denen ihr einstiger Finanzminister aus Zeiten der großen Koalition die Kanzlerin wirklich stellen kann?

    Ein einziges Mal duellierten sich die beiden Kontrahenten in diesem Wahlkampf direkt, wenn auch nacheinander im Bundestag. Angela Merkel am 27. Juni:

    "Sie wollen angesichts der höchsten Steuereinnahmen, die es jemals in der Bundesrepublik gab, nichts anderes als wieder die Leistungsträger in der Mitte unserer Gesellschaft belasten. Das ist Ihre Politik. Wir definitiv nicht, das ist der Unterschied zwischen Ihnen und uns."

    Die Replik ihres Herausforderers scharf:

    "Mein Gott, Sie leben doch von der Rendite, die wir erwirtschaftet haben. Nennen Sie mir ein einziges Reformprogramm in dieser Legislaturperiode, das Bestand haben wird. Pflegereform nix, Rentenreform nix, Bundeswehrreform nix, Steuerreform nix. Nix ist da vorzuweisen. Nix. Das sind alles leere Schachteln, die Sie hier hingestellt haben. Da ist nichts dran."

    Für die CDU-Vorsitzende spricht, dass 76 Prozent der Deutschen die derzeitige wirtschaftliche Lage als gut einschätzen. Und sie vermeidet bislang geschickt, den Kanzlerkandidaten der SPD mit Namen zu nennen.

    Wobei es längst kein Geheimnis mehr ist, dass Angela Merkel keine Freundin des TV-Duells ist, sagt Andrea Römmele:

    "Das ist jetzt nicht ein Format, das sie umarmt, würde ich sagen. Sie weiß, dass sie es machen muss. TV-Duelle gehören mehr oder weniger zur ganz normalen Wahlkampfdramaturgie in Deutschland."

    Und trotzdem hat ihr Kontrahent von der SPD am heutigen Abend den schwierigeren Part: Denn für Peer Steinbrück sind diese eineinhalb Stunden die einzige Gelegenheit, sich mit Angela Merkel Auge in Auge, verbal vor dem Wahlvolk zu duellieren. Vielleicht ist das Duell drei Wochen vor der Bundestagswahl seine letzte Chance, gegen Angela Merkel noch Boden gut zu machen. Die Amtsinhaberin, erwartet der frühere TV-Duell-Moderator Thomas Kausch, könne dagegen aus einer Position der Stärke heraus agieren.

    "Steinbrück steht da natürlich auch vor dem Problem, noch mehr angreifen zu müssen. Er hat keinen Kanzlerbonus. Zugleich muss er aber auch sein Temperament im Griff haben, den Oliver Kahn in sich bändigen."

    Denn angreifen muss er, zugleich aber auch Gentleman sein, sagt Kausch. 48 Prozent der Deutschen sahen vor wenigen Tagen Angela Merkel als wahrscheinliche Siegerin des TV-Duells. 26 Prozent glauben, der SPD-Kandidat wird gewinnen. Peer Steinbrück selbst gibt sich locker.

    "Da gehe ich sehr entspannt, sehr sportlich rein. Das wird für mich eine gute Gelegenheit sein. Ich verspreche Ihnen, das wird sehr unterhaltsam, das wird nicht langweilig."

    Deutschland darf also gespannt sein. Ob unterhaltsam, langweilig, ob hochpolitisch oder menschlich-emotional – über das Kanzler-Duell wird seit Tagen gesprochen. Auf der Straße sind die Erwartungen gemischt:

    - "Mal gucken, wie die beiden sich präsentieren und was sie noch so in der Hinterhand haben."
    - "Darum schaut man es ja an, damit man ein bisschen mehr eine Ahnung hat, von der Überzeugung von den Leuten."
    - "Die Standpunkte an sich sind ja klar. Es kommt natürlich drauf an, wie die vertreten werden und wie das Auftreten der einzelnen Leute dann auch ist."
    - "Wir beobachten das das ganze Jahr über, was da passiert, die ganze Zeit über. Es ist im Grunde ja völlig egal. Eigentlich müsste man ja gar nicht wählen. Aber wir sind nun mal gute Deutsche und deshalb gehen wir hin und wählen."

    Doch ob das TV-Duell über den Ausgang der Bundestagswahl am 22. September entscheidet? Nein, sagt die Kommunikationswissenschaftlerin Römmele. Nur, wenn einer der Beiden patzt, sich also einen unverzeihlichen Fehler erlaubt. Aber für die verbleibenden drei Wochen Wahlkampf gebe es die Richtung vor:

    "Wenn es in den normalen Bahnen verläuft, dann kann man sagen, dass so ein TV-Duell zwei bis drei, vielleicht auch mal vier Tage nachhallt, also gewisse Wirkungen bei den Wählerinnen und Wählern zu sehen sind - im Sinne von Mobilisierung. Dass das eigene Lager jetzt vielleicht wirklich sagt, jetzt gehe ich zur Wahl. Dass dieser Effekt aber im Laufe der Zeit, also nach drei, vier Tagen dann auch wieder so langsam abebbt."

    Die beiden Kontrahenten Angela Merkel und Gerhard Schröder stehen in einem Studio in Berlin Adlershof. Im Vordergrund: die Moderatoren Thomas Kausch, Sabine Christiansen, Maybrit Illner und Peter Klöppel.
    Die beiden Kontrahenten Angela Merkel und Gerhard Schröder bei ihrem Duell. Im Vordergrund: die Moderatoren Thomas Kausch, Sabine Christiansen, Maybrit Illner und Peter Klöppel. (AP)
    TV-Duell zwischen Angela Merkel und Frank-Walter Steinmeier
    TV-Duell zwischen Angela Merkel und Frank-Walter Steinmeier (AP)
    Zwei Männer verfolgen am 4. September 2005 in einer Kneipe in Gelsenkirchen das TV-Duell zwischen Bundeskanzler Gerhard Schröder und der CDU-Vorsitzenden Angela Merkel.
    Zwei Männer verfolgen am 4. September 2005 in einer Kneipe in Gelsenkirchen das TV-Duell zwischen Bundeskanzler Gerhard Schröder und der CDU-Vorsitzenden Angela Merkel. (AP)
    Programmhinweis:
    Das Kandidaten-Duell zwischen Angela Merkel und Peer Steinbrück wirdlive am Sonntag, 1. September, ab 20:30 Uhr im Deutschlandfunk übertragen. Im Anschluss daran, ab voraussichtlich 22.05 Uhr, moderiert Stephan Detjen dann im Deutschlandfunk eine Gesprächsrunde zum Thema. Seine Gäste sind: die Parteiensoziologin Jasmin Siri, der frühere ZDF-Chefredakteur Nikolaus Brender, ZEIT-Chefredakteur Giovanni di Lorenzo und der Medienforscher Lutz Hachmeister.
    im Livestream beim Deutschlandfunk sind Duell und Gesprächsrunde hörbar.