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Klassenkampf im Orbit

Mit seinem bösen, billigen Kinodebüt "District 9" landete Neill Blomkamp 2009 einen Szenehit. Inzwischen hat der südafrikanische Regisseur die Liga gewechselt und konnte Stars wie Matt Damon und Jodie Foster für seinen neuen Film "Elysium" gewinnen. Blomkamps kritischer Blick auf gesellschaftliche Missstände hat den budgetären Aufstieg überlebt.

Von Hartwig Tegeler | 14.08.2013
    Elysion war in der griechischen Mythologie die Insel der Seligen, wohin die Götter die unsterblichen Helden schickten, die, die sie liebten. "Arcadia" ist der Name von Deutschlands bekanntester Gated Community in Potsdam am Ufer der Havel. Umzäunt, mit Kameras überwacht, um hereinzukommen, muss man am Doorman vorbei. In die andere Gated Community, die geschützte Wohnanlage, da oben im Orbit, in diese paradieshafte Raumstation, da kommt nur der hinein, der unermesslich reich ist.

    "Ich muss da hoch, ich muss da hoch, verdammt noch mal. - Oh, alle müssen da hoch."

    Oder: Alle wollen da hoch. Allein, rigide Anti-Einwanderungsgesetze verhindern es. Und Illegale in ihren Flugobjekten werden nicht vom Doorman abgewiesen, sondern im Orbit - wir schreiben das Jahr 2154 - schlicht pulverisiert:

    "Zwei Schiffe zerstört, insgesamt 46 Verluste."

    Die Überlebenden aus dem dritten Schiff, die es geschafft haben, durchzukommen, sie müssen wieder nach unten:

    "Schickt sie zur Abschiebung. Schafft sie hier weg."

    Zurück zur Erde. Die allerdings ist überbevölkert. Gangs beherrschen die Städte. Armut prägt das Leben. Das Ganze da unten, auf der Erde, wird mehr oder weniger unten in Zaum gehalten durch die "Elysium"-Regierung oben im Orbit mit entsprechender Sicherheitstechnologie:

    "Abwehrraketensysteme. Androiden. Alles, was wir brauchen, um unsere Freiheit zu schützen."

    Max, die Hauptfigur in "Elysium" - Matt Damon spielt ihn - war Autoknacker; jetzt ist er auf Bewährung entlassen, arbeitet in einer Fabrik; ein Scherz gegenüber einem Polizeiandroiden hat böse Konsequenzen:

    "Darüber wollte ich mit Ihnen sprechen. Ich glaube, es gab da ein Missverständnis. - [Computerstimme: ] Bewährung wird mit sofortiger Wirkung um acht Monate verlängert. - Was, nein, nein. - Leider müssen wir die Bewährung verlängern. Beschleunigter Puls festgestellt. Möchten Sie eine Tablette. - Nein!"

    "Elysium" erzählt von einer Klassengesellschaft. Und dass es darum geht, darüber lässt der Film mit seinen düsteren Bildern von Anfang an keinen Zweifel. Wir hier unten, ihr da oben im Orbit, zwanzig Minuten Shuttleflugzeit entfernt. Neill Blomkamps dystopischer Blick speist sich aus der präzisen Beobachtung beziehungsweise Analyse des Heute. Auch wenn Technik und Design ein wenig in die Zukunft quasi hinein verlängert sind, so sind die Konflikte doch sehr gegenwartsbezogen.

    Wenn Max bei der Arbeit in der Androidenfabrik per Durchsage erinnert wird, nur einmal in der Schicht zur Toilette zu gehen: Was das mit Zukunft zu tun hat? Die Berichte über die Fertigungsfabriken in China, wo unsere Smartphones zusammengeklebt werden, beantwortet diese rhetorische Frage. Eindeutig.

    Es sind die Details in Neill Blomkamps Geschichte, die die zeitliche Distanz von heute bis zum Jahr 2154 auflösen und den Film so spannend und klug machen. So haben in "Elysium" nur die Reichen eine optimale medizinische Versorgung. Science-Fiction? Wohl kaum. Die Menschen, die versuchen, von der heruntergewirtschafteten Erde ins Paradies auf der Raumstation zu gelangen, haben nicht die naive Hoffnung, dort eingebürgert zu werden, nein, die meisten wollen einfach nur auf eine sogenannte Medibank in einer der Villen da oben, um innerhalb von Minuten den Krebs, das verkrüppelte Bein oder die radioaktive Verstrahlung auszuheilen. Auch Max geht es zunächst nur darum:

    "Dann musst du nur noch in so ein Haus und dich auf die Medibank legen und du bist geheilt."

    Max hat nämlich keine andere Chance zu überleben.

    "Sie werden ein akutes Organversagen erleben. In fünf Tagen werden Sie sterben!"

    An seinem Arbeitsplatz wurde er tödlich verstrahlt.

    Da Neill Blomkamps Film aber kein politischer Essay, sondern Science-Fiction-Film ist, bietet "Elysium" auch actiongemäße Genrekost. So bekommt der vom Tode gezeichnete Held Max von seinen alten Gangchef das Shuttleticket nur dann, wenn einen reichen Elysianer auf der Erde entführt. Dazu wird er zum Cyborg - halb Mensch, halb Maschine - umoperiert. Nein, es geht bei dieser Entführung nicht um Geld - das wäre viel zu old fashioned -, es geht um Datenklau:

    "Du musst dich nur in sein Gehirn einstöpseln, die Daten mit diesem Baby hier in deins runterladen und es mir bringen."

    Natürlich bekommen wir den Showdown in der Raumstation im Orbit präsentiert, wo Max sich allerdings schon in einen Freiheitskämpfer für die Menschen auf der verödeten Erde verwandelt. Doch ändert die Action am Schluss nichts: "Elysium" ist ein kluger Science-Fiction-Film, dessen Erzählung sich speist aus dem bösen, dem antiutopischen Blick auf das Hier, das Jetzt, unsere Gegenwart. Und ein eindrucksvolleres Filmbild für das Auseinanderklaffen zwischen Arm und Reich als diese sich um die Erde drehende Gated Community ist wohl kaum vorstellbar.