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Klassik im Kinderzimmer

Nach Ansicht des Deutschen Musikrats gerät mit dem Wegbrechen des Musikunterrichts an allgemeinbildenden Schulen die gesamte Musikkultur ins Wanken. Zum Gegensteuern ist Privatinitiative gefordert.

Von Katja Lückert |
    Die demografische Panik hat auch die klassische Konzertbranche erfasst. Es gibt immer weniger Menschen, die sich für klassische Musik interessieren, immer weniger junge Leute besuchen Konzerte, in denen klassische Musik gespielt wird. Konzert- und Opernhäuser müssen um ihr Publikum bangen. Markus Stenz, Generalmusikdirektor in Köln, kann dieses Angstszenario nur zum Teil ernst nehmen:

    "Die Gesellschaft, in der wir leben, altert. Und sie altert gut, wie ich finde. Es ist ja nicht so, dass diese Lebensjahre verschenkt sind, sondern, dass da ganz gehörige Aktivität sich entfaltet bei den Leuten, die im Ruhestand sind. Und was gibt es sinnvolleres, als wenn die tatsächlich bei uns im Publikum sitzen. Ich bin da weniger angesteckt von diesem RTL-Virus, dass man sagt, auch unser Publikum muss zwischen 25 und 40 sein."

    Dennoch bemüht sich auch die Kölner Philharmonie wie die meisten großen Klangkörper in Deutschland um junge Zuhörer. Es gibt Familienkonzerte und verschiedene Projekte, bei denen professionelle Musiker zusammen mit jungen Laien musizieren.

    "Wichtig ist aber bei allem, dass junge Menschen früh Kontakt haben zur klassischen Musik, um die Möglichkeiten zu kennen. Ich habe auch keine Schwierigkeiten damit, wenn jemand zwei Dekaden lang sagt, mit Mozart kann ich nichts anfangen, und dann als 40-Jähriger wieder zu uns kommt. Aber wenn man in der Kindheit erlebt hat, was Mozart ist und welche Gefühle der auslösend kann, dann ist die Saat gesät, und das ist wichtig."

    Die Saat zu sähen ist aber häufig so schwierig, weil an vielen Schulen in Deutschland zu wenig oder gar kein Musikunterricht erteilt wird. Nach Ansicht des Deutschen Musikrats gerate mit dem Wegbrechen des Musikunterrichts an allgemeinbildenden Schulen die gesamte Musikkultur in Deutschland ins Wanken. Es herrscht ein eklatanter Mangel an ausgebildeten Musiklehrern: Nur die wenigsten haben heute eine klassische Musik- beziehunsweise musikpädagogische Ausbildung durchlaufen. Und das liegt wiederum daran, dass zu wenige junge Leute Musik für das Lehramt studieren, weil sie schon im Gymnasium keine Musikleistungskurse wählen konnten oder wollten. In anderen Ländern - etwa in England - hat man schon längst auf diesen Miss-Stand reagiert.

    "Ich glaube, dass es in England viel früher als in Deutschland den Bildungsnotstand gegeben hat, was Musik angeht. Wir beobachten das in Deutschland jetzt auch. Musikschulen, die zumachen, Musikunterricht, der in der Schule jetzt wegfällt. Und in England ist früher als in Deutschland über ganz viel Idealismus und Eigeninitiative die Kultur der 'education projects' entstanden und die Kultur der Eigeninitiativen und der Workshop. Und wenn man das in Deutschland jetzt einführt, dann ist das eine kreative Antwort auf das, was uns zugemutet wird."

    Aber auch hier zulande gilt: Umso weniger staatliche Versorgung stattfindet, umso mehr Eigeninitiativen bilden sich. Da sind renommierte Konzertmusiker, wie der Cellist Daniel-Müller-Schott, der zuweilen in sein ehemaliges Gymnasium nach Bayern zurückkehrt und dort ganz ehrenamtlich mit Kindern musiziert, da sind Stiftungen großer Konzerne wie BASF, Bertelsmann oder Siemens, die musikpädagogische Projekte anstoßen und finanzieren und da sind eben Deutschlands Orchester, die immer wieder neue Projekte ins Rollen bringen, um den Mangel auszugleichen.

    "Selbstverständlich wäre es schön, wenn man flächendeckend mit Musikschulen und so weiter eingedeckt wäre, aber toll ist doch, dass die Musik so einen wichtigen Bestandteil in unserem Leben einnimmt, dass es immer wieder Möglichkeiten geben wird, sich darum zu kümmern."