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Klassiker
Pulsnitzer Pfefferkuchen und Aachener Printen

Regionale Spezialitäten haben in Deutschland eine lange Tradition: Es gibt die Aachener Printen, die Nürnberger Lebkuchen, den Dresdner Stollen und den Pulsnitzer Pfefferkuchen. Eine kulinarische Rundreise quer durch Deutschland stellt die Leckereien vor.

Von Franz Lerchenmüller | 23.11.2014
    Lebkuchenhaus
    Lebkuchenhaus (picture alliance / dpa / Alexander Becher)
    Wenn der Ofen piepst, ist Peter Kotzsch zur Stelle. Einmal das Signal überhört - und der Chef der "Pfefferküchlerei Hermann Löschner" kann das Blech mit frischer Ware wegschmeißen. Heute backt er Kirschbomben.
    "So, jetzt hole ich mir meine Kirschbomben hier raus, Sie sehen, die sind super gebacken hier, muss ich mir natürlich Topflappen nehme, weil ich mir sonst die Hände verbrenne. So, und jetzt kommt wieder ein neues Blech rein, jetzt stelle ich mir meinen Timer ein und jetzt backen die wieder acht Minuten hier."
    Zwei Tage später ist Kirschbombentag. Dann sind die Rohlinge abgekühlt und schon zu braunen Kuchentalern zurechtgeschnitten. Auf dem Arbeitstisch spritzen die Mitarbeiterinnen auf jeden einen Klacks Marmelade und deckeln ihn mit einem zweiten Rundling. Eine Kollegin legt die Stücke auf ein kleines Förderband, und das transportiert sie geradewegs unter die Dusche - unter die Schokoladendusche.
    "Das ist eine Überziehmaschine. Hier kommt sozusagen über die Kirschbomben diese schöne Zartbitterschokolade darüber und wird hier abgeblasen. Dann kommt das in diesen Kühlkanal hinein, da sind ungefähr zehn Grad plus drin, und nach fünf Metern vorn wird das dann von meinen Kolleginnen abgenommen, wird in die Dosen verpackt und dann in Kartons verpackt und dann verkauft."
    Neben den Kirschbomben gibt es im Laden Schokobrezen, Herzen und natürlich die berühmten, mit Marmelade gefüllten Pulsnitzer Spitzen. Verschiedene Formen - aber es ist immer derselbe Grundteig. Und mit dem steht und fällt die Qualität der Ware. Das Rezept ist ziemlich simpel: Mehl und Zucker werden in einem Verhältnis von 1:1 gemischt. Kein Fett gehört hinein, und keine Eier.
    "Und dann findet im Teig eine Milchsäuregärung statt. Milchsäuregärung kennen Sie ja aus dem Sauerkraut. Und das jetzt in Kombination mit Zucker ist es halt wirklich so, dass der Teig sehr lange haltbar ist. Wenn früher einem Pfefferküchler ein Sohn geboren wurde, wurde ein Grundteig hergestellt, der zur ersten Hälfte zur Konfirmation verarbeitet wurde, und die zweite Hälfte wurde zur Hochzeit des Sohns verarbeitet."
    Bodybuilding im Mittelalter
    Erst anschließend kommen die Gewürze hinzu: Zimt, Kardamom, Koriander, Anis, Piment, Muskat, Ingwer, Nelken und Muskatblüte - "Pfeffer" war die allgemeine Bezeichnung für Gewürze im Mittelalter - daher der Name: Pfefferkuchen.
    Da der Teig so lange lagert, muss er vor der Verarbeitung in der Knetmaschine aufgelockert werden. Früher geschah das mit der Teigbreche, einer Art riesengroßem Käsemesser. Eines dieser Geräte steht noch in der "Alten Pfefferküchlerei" im nahen Weißenberg - ein über drei Meter langer Holzhebel mit groben Zacken, der vorne an einem Holzbock festgemacht ist. Die Arbeit damit war eine Schinderei, meint Museumsleiterin Gundula Wenzel.
    "Die Teigbreche ist der Vorgänger unserer heutigen Teigknetmaschine. Das war das Bodybuilding im Mittelalter gewesen. Wenn Sie das ungefähr eine Stunde gemacht haben, dann haben Sie was Gutes für sich getan."
    In dem kleinen Fachwerkhaus von 1643 wurden über 300 Jahre lang Pfefferkuchen gebacken. Die beiden kleinen Stuben verleiten dazu, sich in die Vergangenheit zu träumen: Man sieht sie geradezu vor sich, die sächsischen Gesellen, wie sie ächzend die schwere Wanne mit Teig über den Steinfußboden wuchten.
    "Und hier in dieser Backstube hat man dann den Teig ausgerollt, ausgemodelt, ausgestochen. Bis 1850 hat man mehr oder weniger ausgemodelt, dann kamen mehr und mehr die Ausstechformen hinzu: Ein Herz, das Symbol der Liebe. Adam und Eva. Und wenn die Kinder Ostern in die Schule gekommen sind, haben sie ein ABC bekommen."
    Honig und Mehl waren im Mittelalter die einzigen Süßigkeiten
    Der Nachdruck eines alten Handbuchs verrät einiges über die erwünschte Beschaffenheit des Backstücks. Und über Mitarbeiterführung im Kleingewerbe damals.
    "Wenn es gut geraten war, musste es einen Querfinger hoch zu Fuße stehen und das Bild deutlich zu sehen sein. War es nicht gut geraten, sollte man den Knecht schelten, weil er das Feuer nicht genug geschürt, und die Magd, weil sie Durchzug im Stübchen gehalten hatte."
    Kuchen aus Honig und Mehl waren im Mittelalter die einzigen Süßigkeiten für das Volk. Vielerorts, wo eine der großen Handelsstraßen vorbeiführte, über die Gewürze aus dem Orient kamen, entstanden Bäckereien dafür. Dann aber kam der Rübenzucker auf und die Wünsche der Kundschaft änderten sich, erzählt Siegmar Schubert vom Pfefferkuchenmuseum in Pulsnitz.
    "Die Leute wollten, genauso wie sie die Bauernschränke weggeschmissen und verbrannt haben, wollten sie auch nicht mehr immer die ollen Pfefferkuchen zu besonderen Anlässen, die wollten auch mal ne fette Torte haben wie die Reichen. Aus den Pfefferküchlern sind Konditoren geworden."
    Lebkuchen als Arme-Leute-Kuchen
    Nur in Pulsnitz nicht - da hielten sie aus Stolz und Hartnäckigkeit am alten Handwerk fest. Zu DDR-Zeiten blieb ihnen freilich auch gar nichts anderes übrig.
    "Lebkuchen, wie sie in Nürnberg üblich waren, waren zu DDR-Zeiten natürlich Bückdichware. Mandel, Nüsse, Zitronat, davon haben die Leute hier geträumt. Also hat man hier die einfachen Kuchen weitergemacht. Kein Fett, keine Milch, keine Eier - er ist eigentlich Arme-Leute-Kuchen geblieben."
    Um 1900 gab es 30 Pfefferküchlereien in Pulsnitz. 1958 waren es 16. Heute sind acht Handwerksbetriebe übrig geblieben, und eine kleine Fabrik.
    Ganz andere Frage aber: Weiß man denn hier im äußersten Osten der Republik, was die Süßmäuler anderswo, sagen wir: knappe 600 km weiter, am westlichen Rand Deutschlands naschen? Kennen die Pulsnitzer zum Beispiel Aachener Printen?
    "Ja. Das ist ein Pfefferkuchen, der sehr hart ist, den man auf den Fußboden schmeißen kann und der muss wieder hochspringen. Dann ist es eine richtige Aachener Printe."
    So hart, dass er wieder hochspringen muss? Wir werden sehen.
    Ist sie denn nun wirklich so hart wie ein Pflasterstein, die Aachener Printe? Einer, der es wissen muss, ist der "Printenkönig", Dr. Hermann Bühlbecker, der Inhaber des Süßigkeitenkonzerns "Lambertz" in Aachen.
    "Das ist der Klassiker. Wir nennen es auch knusprig. Das ist in der Tat früher die Kräuterprinte gewesen, wie sie sein musste. Nur: Über die Generationen hin haben wir das umgestellt. Wir haben darüber hinaus Weichprinten, Saftprinten entwickelt, mit Nüssen und Mandeln veredelt. Diese Printen müssen weich sein."
    Lebkuchen, Spekulatius, Dominosteine sind Klassiker
    Printen machen bei Lambertz allerdings nur noch sieben Prozent des Gesamtumsatzes aus. Wichtiger sind Lebkuchen, Spekulatius, Dominosteine. Die Produktion auf den sieben Form- und Backstraßen läuft während der zweiten Jahreshälfte Tag und Nacht. Martin Eschweiler überwacht eine der Anlagen, aus der ein endloser, breiter Teigstreifen läuft.
    "Der Teigbottich wird oben über diesen Nischer draufgesetzt und dieser Nischer fordert dann kontinuierlich Teig an, so dass wir einen dauerhaften Prozess haben und einen Teigteppich, der kontinuierlich gebacken wird. Er wird nach dem Ofenausgang dann gesägt und in Stücke geteilt. Dieser Ofen hat eine Länge von 35 Metern. Die Produkte backen hier 28 Minuten bei einer Temperatur von 200 bis 220 Grad."
    Anschließend erhalten sie einen Schokoladeüberzug, werden heruntergekühlt und verpackt – und am Ende jedes Tages verlassen 140 bis 150.000 Kilo Printen, Kekse und Lebkuchen das Werk. Die Printe hat Aachen in aller Welt bekannt gemacht. Aber woher kommt eigentlich der eigenartige Name? Stadtführerin Uschi Heitzer kennt natürlich die Geschichte.
    "Der Ausdruck Printe kommt aus dem Englischen, "to print", drücken. Der Teig wurde früher in die Holzmodel eingedrückt, abgeschlagen und gebacken. Das kann man heute nur auf Bestellung haben, weil es kostenintensiv ist. Deshalb backt man heute die ganz schlichten Platten, die in mundgerechte Stücke zurechtgeschnitten werden. Ursprünglich ist die Printe nicht als Gebäck gekommen, sondern als Gebildbrot. Und die wurden dann als Bilder aufgehängt."
    Und wo hat man es erfunden, dieses Gebildbrot. Eine, die es von Berufs wegen wissen muss, ist Bäckermeisterin Ulla Klein.
    "Printe kommt ja ursprünglich aus dem niederländischen Raum, unserem Grenzgebiet. Da brachten die Messinggießer aus Dinant, belgischer Ort an der Maas, die unsere schönen Brunnen und Türen gegossen haben aus Messing, die hatten ein Zuckerbrot im Rucksack, was lange haltbar war, und die Aachener Bäcker haben aus diesem Zuckerbrot ein Zuckergewürzbrot gemacht, und das ist die Aachener Printe."
    Jeder Betrieb hat sein Geheimrezept
    Die Bäckerei Klein wurde 1912 genau an der Stelle in der Franzstraße gegründet, an der sie immer noch steht. Heinz und Ulla Klein haben im Jahr 2000 ganz auf Printen umgestellt: keine Brötchen, kein Brot mehr. Die Herstellung ist kein Geheimnis: Dunkles Mehl kommt in den Teig, dazu drei Sorten Zucker: Sirup, Farinzucker und Kandis.
    "Der Sirup wird erhitzt. Wenn er 80 Grad hat, wird er gekippt in den Kneter, dann kommt das Mehl drauf, weil wichtig ist, dass der Kandiszucker nicht wegschmilzt, sondern als ganze Stückchen erhalten bleibt."
    Denn der Kandis, auf den man beißt, der unterscheidet die Printe vom Lebkuchen. Dazu kommen die Gewürze - und natürlich hat jeder Betrieb sein Geheimrezept.
    Auch hier läuft der Teig durch Formwalzen und wird geschnitten. Dann aber glasieren mehrere Bäcker die Stücke per Hand, belegen sie mit Mandeln und sorgen dafür, dass aus dem einen Grundteig ganz unterschiedliche Varianten entstehen.
    "Die Printe gebacken, ohne was dazu, wäre die Grundsorte, die nennt der Aachner Kräuterprinte. Tut man da ein Mändelchen drauf, und halbiert die Printe in der Größe, ist das eine Kräutermoppe. Kommen grobe Nüsse drauf, wird das natürlich eine Nussprinte."
    Längst ist die Printe zu einem Wahrzeichen Aachens geworden. So wie Kaiser Karl der Große. Oder auch der Pferdesport. Versteht sich, dass man mit dem Gebäck noch viel mehr anstellt, als es nur an Advent zu knabbern. Maurice de Boer der Chef des Ratskeller, probiert es gern mal in der Küche aus.
    "Die Printen, die kann man auch verarbeiten in der Küche. Und wir haben auch schon mal einen Sauerbraten vom Seeteufel gemacht, den Seeteufel schön in Rotwein eingelegt mit den Printengewürzen - aber das ist natürlich nicht unbedingt jedermanns Sache. Das meistbekannte Gericht ist, klar, der Sauerbraten. Klassisch gehört der natürlich, wenn man hier im Rheinland ist, mit Sahne. Und vom Pferd. Allerdings in der Pferdestadt Aachen kann man sich das, glaube ich, nicht erlauben."
    Bleibt eine letzte Frage, auch in Aachen. Kennt man denn hier auch die Schöpfungen der Kollegen im Osten, die Pulsnitzer Pfefferkuchen?
    "Nein, kenne ich nicht. Kommt aus dem Osten?" - "Nein, Pulsnitzer Pfefferkuchen kenne ich nicht. Aber der Name verrät schon sehr vieles und ich kann mir vorstellen, auch sehe Positives." - "Nein, nicht wirklich. Hört sich aber eher nach was aus dem polnischen Bereich an."
    So ist es denn am Printenkönig höchstpersönlich, die Ehre der westdeutschen Lebkuchenfraktion zu retten.
    "Ja natürlich kenne ich Pulsnitzer Pfefferkuchen. Es gibt in Deutschland die Aachener Printen, die Nürnberger Lebkuchen, den Dresdner Stollen und den Pulsnitzer Pfefferkuchen. Es ist eine lange Tradition und eine echte Spezialität, die zu Pulsnitz gehört wie die Printen zu Aachen."