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"Klassizistische Moderne", Vol. 1

"Klassizistische Moderne" hat das Münchener Label ARTE NOVA seine auf drei Folgen angelegte neue CD-Reihe mit dem Kammerorchester Basel genannt. Es dirigiert Christopher Hogwood, unter dessen Leitung das Orchester erstmals 1999 konzertiert hat und der mittlerweile "Principal Guest Conductor" des Ensembles ist. Hogwood ist im Konzertbetrieb zunächst präsent als Gründer der "Academy of Ancient Music" und Fachmann für eine möglichst authentische Wiedergabe von Barock- und frühklassischer Musik auf Originalinstrumenten. Gleichzeitig hat er aber immer Musik des 20. Jahrhunderts aufgeführt mit einer besonderen Affinität zu dem tschechischen Komponisten Bohuslav Martinu. Von Martinu stammt auch das erste Werk der neuen Einspielung mit dem Kammerorchester Basel: * Musikbeispiel: B. Martinu - Canzone No. 1 aus: Toccata e due Canzoni So beginnt die erste Canzone der Toccata e due Canzoni für Kammerorchester von Bohuslav Martinu, den Klavierpart übernimmt hier Florian Hölscher, es spielt das Kammerorchester Basel unter Christopher Hogwood. Die Komposition entstand 1946 in New York, wohin Martinu während des Zweiten Weltkriegs emigriert war. Wirklich heimisch geworden ist er dort aber nie, die Atmosphäre hat er einmal so geschildert: "Hier muss man immer weiter gehen, Block um Block, endlos, und je weiter man geht je mehr zwingen einen die Gedanken und die einförmige Umgebung zum schneller und schneller Gehen, bis man aufhört zu denken und mit dem Zählen der Blocks beginnt: Nein, ich kann nicht behaupten, dass meine Erinnerungen aus New York nur glückliche sind." Und in seinem einführenden Text zur Uraufführung der Toccata e due Canzoni: "Nach mehreren Jahren komme ich nun wieder mit einem neuen Werk und einer `Welturaufführung´ nach Europa. Das hat für mich fast symbolische Bedeutung. Während meines Aufenthaltes in Amerika habe ich fünf Symphonien für großes Orchester komponiert; nun kehre ich mit Vergnügen zu meiner Lieblingsform, dem Concerto grosso, zurück ... Ich habe das Stück aus einer Toccata und zwei Canzonen geformt. Die ersten zwei Sätze habe ich in New York komponiert, vor meiner Abreise zum Berkshire Festival. Da es mir gefährlich erschien, zwei Canzonen aufeinanderfolgen zu lassen, habe ich diese Form im weitesten Sinne aufgefasst und mit großer Freiheit behandelt. Ursprünglich wollte ich zwei ganz strenge Canzonen schreiben: leichte, fröhliche, einfache Chansons. Nach Beendigung der Toccata gab ich aber diesen Plan auf und führte auch dramatische Elemente ein. Obwohl ich mir eigentlich vorgenommen hatte, das Dramatische nicht zu sehr hervortreten zu lassen, konnte ich nicht anders vorgehen. Es war eines jener Werke, wo ich einfach meinen Eingebungen folgen musste, auch wenn ich keine rationale Begründung dafür angeben konnte...". * Musikbeispiel: B. Martinu - Canzone No. 1 aus: Toccata e due Canzoni Mit der "Toccata e due Canzoni" von Bohuslav Martinu begann auch das Konzert, das das Basler Kammerorchester im Januar 1947 zur Feier seines 20-jährigen Bestehens unter der Leitung seines Gründers Paul Sacher gegeben hat. Sacher hat in seinen Konzertprogrammen erfolgreich versucht, alte und neue Musik sinnvoll zu kombinieren und immer wieder auch Werke in Auftrag gegeben, die er dann mit seinem Ensemble uraufführte. Ein solcher Anlas für Kompositionsaufträge war eben auch das Jubiläumskonzert – Sacher bat neben Bohuslav Martinu noch Igor Strawinsky und Arthur Honegger um eine Komposition. Dieses Repertoire war für das Basler Kammerorchester typisch und mir gefällt die Idee, das Programm in seiner originalen Gestalt einzuspielen, außerordentlich gut. Zumal es in der erstklassigen Interpretation des heutigen Ensembles unter Christopher Hogwood nichts von seiner Frische und Eindringlichkeit eingebüßt hat.

Ludwig Rink |
    Der wie Martinu seit 1939 in den USA lebende Strawinsky, den Sacher gern den "Picasso der Musik" nannte, war aus Zeitmangel nur zu einem etwas kürzeren Werk bereit und schrieb in Hollywood sein gut 12-minütiges Concerto in Ré - auch "Basler Concerto" genannt. Im Gegensatz zu Martinu und Honegger war Strawinsky nicht bereit, die Bitte Sachers um einen einführenden Text zu erfüllen und antwortete "dass das Werk für ein Streichorchester komponiert ist (eben – man wird es sogleich sehen), dass es drei Teile hat (eben – man wird es in Ihren Programmen in aller Form lesen), dass es zum wenigsten atonal ist (aber eben – glauben Sie nicht, dass das Publikum vielleicht das Vergnügen haben wird, dies selber zu entdecken?)". * Musikbeispiel: Igor Strawinsky - Rondo aus: Concerto en Ré Das Kammerorchester Basel spielte unter der Leitung von Christopher Hogwood zuletzt das Rondo aus Igor Strawinskys "Basler Concerto", dem Concerto in Ré. Als dritte Uraufführung stand auf dem Programm des Jubiläumskonzerts von 1947 zum 20-jährigen Bestehen des Ensembles die 4. Sinfonie des als Sohn Schweizer Eltern im französischen Le Havre geborenen Arthur Honegger. Honegger lebte später in Paris, verbrachte aber die Ferien häufig in seiner Schweizer Heimat – dort hat er auch Paul Sacher kennengelernt. Das Werk hat einen für Honegger ungewöhnlich freundlichen Klang, was vielleicht auch daran liegen mag, dass er ein altes Basler Volkslied verarbeitet hat – im dritten Satz, den ich Ihnen gleich anspielen werde, ertönt der von den berühmten Pfeifen und Trommeln angeführte "Basler Morgenstreich". Honegger selbst hat die Musik mit Mozart oder Haydn verglichen. In seiner Einführung schreibt er: "Das erste ... Stück drückt einen `Seelenzustand´ aus. Inmitten der stumpfsinnigen ... Lebensbedingungen, die uns auferlegt sind, soll es die Hoffnung zum Ausdruck bringen, die in uns die Aussicht auf einen Aufenthalt bei Freunden in der Schweiz erweckte, bei denen wir den Sommer verbringen durften ... Diese Vorfreude wird durch das alte Basler Volkslied ausgedrückt: `Z´ Basel a mim Rhi´, welches gegen Schluss des Stückes in seiner ursprünglichen und naiven Form ertönt. Das Finale ist eine vielleicht etwas komplizierte polyphone Konstruktion (was aber den Hörer nicht zu stören braucht), deren verschiedene Bauteile sich fortwährend übereinanderschieben ... Aus all diesen Überlagerungen ertönt schließlich das Thema des `Basler Morgenstreichs´, das die Stretta des Hauptthemas fröhlich dominiert; nach einem nochmaligen Aufnehmen des langsamen Themas aus dem mittleren Teil des Satzes haben wir einen Schluss, der einer kleinen davonfliegenden Staubwolke gleicht." Christopher Hogwood leitet das Kammerorchester Basel hier zu einem Spiel an, das für mein Empfinden für die Musik Honeggers noch durchsichtiger sein könnte – aber das beeinträchtigt den äußerst positiven Gesamteindruck kaum. Aus Arthur Honeggers 4. Sinfonie jetzt also ein Ausschnitt aus dem dritten Satz, Allegro: * Musikbeispiel: A. Honegger - Allegro (Ausschnitt) aus: Symphony No. 4