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Klatsch und Tratsch statt Politik

In einer demokratisch verfassten Gesellschaft ist die Rolle des politischen Journalismus die eines kritischen Korrektivs. Was aber, wenn sich Journalisten von der Nähe zu den Mächtigen korrumpieren lassen? Leif Kramp und Stephan Weichert kritisieren die Verwahrlosung des Metropolenjournalismus.

Von Ralph Gerstenberg |
    Als die Bundesregierung immerhin zehn Jahre nach dem Mauerfall vom beschaulichen Rheinstädtchen in die Spreemetropole zog, konnte niemand ahnen, was für Folgen das für die politische Berichterstattung haben würde. Vor allem die unselige Kumpanei zwischen Politik, Boulevard und Journaille, wie sie in der verlotterten Berliner Republik bald an der Tagesordnung sein würde, sprengte den Rahmen des Vorstellbaren. So etwas hatte und hätte es in Bonn nicht gegeben, meint zumindest der Kommunikationswissenschaftler und Publizist Stephan Weichert, der gemeinsam mit seinem Kollegen Leif Kramp in dem Buch "Die Meinungsmacher" eine unglaubliche "Verwahrlosung des Hauptstadtjournalismus" konstatiert und kritisiert.

    "Es war nicht an der Tagesordnung, dass hier sich die politische Sphäre quasi erweitert hat auf den Gesellschaftsbereich, auf die Kulturprominenz. Dass sich hier Publizistik, also Journaille, mit der Politik, mit Prominenten aus der Society vermischt hat und allesamt sich in dem Sehen und Gesehenwerden wohl fühlen, also dass jetzt auch Friseure meinetwegen zu dieser politischen Sphäre durchaus dazuzählen ist ja durchaus eine Neuerung, die in Berlin entstanden ist. Dass das tatsächlich vermischt wird und ablenkt von den tatsächlichen, sachbezogenen Inhalten, die im Hintergrund ablaufen, die tatsächlich die Aufmerksamkeit nicht mehr erfahren, die sie verdienen, ist natürlich ein Indiz für eine bestimmte Verwahrlosung."
    Dabei hatte alles so gut angefangen. Überregionale Tageszeitungen berichteten nach dem Regierungsumzug auf Extraseiten vom Hauptstadtgeschehen und beschäftigten Popfeuilletonisten wie Florian Illies, Eckhart Nickel und Moritz von Uslar, deren Texte sich geradezu "stilbildend" auf den Hauptstadtjournalismus ausgewirkt haben, wie Weichert und Kramp meinen. Bald offenbarte sich jedoch eine gewisse Politikverdrossenheit in der Berliner Republik. Die Protagonisten der Metropolenjournaille waren mehr an Klatsch und Tratsch interessiert als am trockenen politischen Tagesgeschehen. Hinzu kam ein fataler Hang zur Selbstdarstellung auf der Berliner Bühne – zum Beispiel im Restaurant "Borchardt" oder im "Café Einstein Unter den Linden", wo Journalisten Politikern keine unbequemen Fragen mehr stellten, sondern sich mit ihnen bei einer Flasche Grand Cru trafen.

    "Es hängt vieles mit diesem Zusammengehen von Politik und Medien zusammen: Das ist einmal der Verlust von Nähe und Distanz. Also es gibt da kein Gefühl mehr, was so die richtige Äquidistanz ist zwischen Medien, also Journalisten und Politikern. Ein anderes Indiz ist, dass im Journalismus selbst sich einige Wortführer nach vorne katapultieren, auch an die Oberfläche kommen, durch eigene Prominenz sozusagen Politik kommentieren, auch selber Politik machen wollen. Das hat es zu Bonner Zeiten in der Stärke, in der Virulenz noch nicht gegeben."
    Jener sich ins Scheinwerferlicht parlierenden Spezies von Journalisten, von der Leif Kramp spricht, ist ein ganzes Kapitel des Buches gewidmet. "Die Alpha-Journalisten" hieß bereits ein früheres Werk, das Kollege Stephan Weichert mitverfasst hat. Nun kümmern sich die beiden Autoren vereint darum, "wie Hauptstadtjournalisten ticken", und diagnostizieren messerscharf und hochanalytisch gar ein "Alphasyndrom".

    Es gibt wohl keinen besseren Begriff als den des "Alphasyndroms", um das Verhältnis zwischen Meinungsmachern im Berliner Medienzirkus und der Masse der Journalistenmeute zu beschreiben, die eher auf den untersten Sprossen der Hühnerleiter kauert. Während sich einige schrille Hähne (es sind in der Tat kaum Hennen darunter) durch ein wohl kalkuliertes System der publizistischen Selbstveredelung eine gewisse Prominenz auch außerhalb der Hauptstadt erschrieben haben – beispielhaft dafür stehen Starkolumnisten wie Henryk M. Broder (Spiegel) oder Franz Josef Wagner (Bild) -, konnten sich die Stimmen, Gesichter und Gesten anderer Wortführer mit eigenen, teils gleichnamigen Fernsehsendungen wie Anne Will, Maybrit Illner, Sandra Maischberger oder Frank Plasberg in die Gedächtnisse der Bevölkerung einimpfen.

    Die Oberschicht des Journalismus, zu der auch so unterschiedliche Meinungsvertreter wie FAZ-Mitherausgeber Frank Schirrmacher oder die von den Autoren als "liebreizend" bezeichnete Bloggerin Mercedes Bunz gehören, hätte eine Art Wortführerschaft inne, während das Gros der meist viel kompetenteren Journalisten allzu oft unter Nichtbeachtung leiden würde. Es ist das alte Dilemma: Man sieht nur die im Licht sind, die im Dunkeln sieht man nicht. Den Stern-Kolumnisten Hans-Ulrich Jörges legen die beiden selbsternannten Meinungsmacheranalytiker umgehend auf ihre Couch. Dieses "Alphamännchen der Berliner Medienrepublik" sei schon lange "jenseits von Gut und Böse", so der präzise Befund. Ob Merkel, Schröder oder Kohl – Jörges schieße gegen jeden, der etwas in diesem Land zu sagen habe, und verkehre sowieso in "höheren Sphären".

    Das Alphaprinzip folgt den Grundsätzen sozialer Exklusion. Als publizistische Oligarchen stilisieren sich die wenigen Leitwölfe zu Meinungsführern, die sich bewusst von der Masse der Journaille abheben, um ihr wichtigstes Kapital, ihr Image als Leuchttürme und Stichwortgeber des öffentlichen Diskurses, zu sichern und zu mehren.

    Leif Kramp und Stephan Weichert haben im Auftrag des Netzwerks Recherche eine Studie zum Thema Hauptstadtjournalismus durchgeführt, die dem Buch zugrunde liegt. Die nach eigenen Angaben dafür befragten 35 "tonangebenden" Journalisten, Lobbyisten und Strippenzieher des Hauptstadtjournalismus kommen in "Die Meinungsmacher" allerdings viel zu wenig zu Wort. Dafür präsentieren Kramp und Weichert eine an Behauptungen und wenig hinterfragten Klischees reiche Mischung aus Polemik und Medienanalyse, der die publizistische Überzeugungskraft fehlt. Selbst da, wo die beiden Autoren auf die Arbeitsbedingungen von Journalisten zu sprechen kommen, von Einsparungen in den Redaktionen und den daraus resultierenden Rechercheengpässen berichten, fragt man sich, ob das nicht eher ein allgemeines Problem ist als ein Phänomen des Hauptstadtjournalismus. Und wenn am Ende die Zukunft des Journalismus im Internet ausgemacht und andererseits nach journalistischen "Leitwölfen" wie Hajo Friedrichs oder Rudolph Augstein gesucht wird, reift der Verdacht, dass den Autoren zwischen verklärter Vergangenheit und spekulativer Vorausschau der präzise Blick für die Gegenwart abhandengekommen ist.

    Ralph Gerstenberg über Leif Kramp und Stephan Weichert: Die Meinungsmacher – Über die Verwahrlosung des Hauptstadtjournalismus. Erschienen bei Hoffmann & Campe, 280 Seiten zum Preis von 20 Euro (ISBN: 978-3-455-50102-5).