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Klaus Bachmann: "Polens Uhren gehen anders. Warschau vor der Ost-Erweiterung der Europäischen Union"

Traut man der offiziellen, regierungsamtlichen Rhetorik zum deutsch-polnischen Verhältnis, dann gibt es eigentlich keinen Grund zur Klage. Aber dies umschreibt allenfalls eine Art notariell abgesicherter Geschäftsgrundlage mit dem NATO-Alliierten und EU-Aspiranten Polen. Emotionale Zuneigung dagegen ist eher dünn gesät, man kann sie nicht erzwingen, Liebe bekanntlich schon gar nicht. Klaus Bachmann, langjähriger Korrespondent mehrerer deutscher Tageszeitungen in Warschau, plädiert für eine nüchterne Sicht und kommt - bevor er künftig aus Brüssel berichten wird - zu dem lakonischen Schluss: "Polens Uhren gehen anders". Dieser Titel seines Buches, mit dem er sich von der Weichsel verabschiedet, legte für mich die Frage an Klaus Bachmann nahe: "Wenn Polens Uhren anders gehen, dann anders als wo? Anders als bei wem?"

Robert Baag |
    Klaus Bachmann: "Na, der Titel bedeutet vor allem: Sie gehen ein bisschen anders als man in Deutschland glaubt. Was mich immer aufgeregt hat - in den letzten Jahren ganz besonders - das ist, dass sehr viele Deutsche, die nach Polen kommen, und darunter ganz besonders Politiker, immer noch glauben, sie haben es mit den Polen aus den achtziger Jahren oder aus der Transformationszeit zu tun und vollkommen ausschließen, dass es inzwischen Dinge in Polen gibt, die in Polen schneller reformiert wurden als in Deutschland oder die vielleicht auch auf Deutschland übertragbar wären oder aus deren Erfahrungen man auch in Deutschland lernen kann. Ein Beispiel ist die Transformation in Polen, die wesentlich billiger war als in den östlichen Bundesländern und aber insgesamt an makroökonomischen und Sozialdaten sehr viel bessere Ergebnisse gebracht hat. Die Rezession in Polen war nie so tief wie in Ostdeutschland, und die Arbeitslosigkeit ist auch nicht so hoch gewesen. In Folge der Transformation gab es in Polen auch wesentlich weniger Sozialhilfeempfänger als sie die Transformation in Ostdeutschland hervorgebracht hat. Meine These ist: Wenn man sich Anfang der neunziger Jahre etwas öfter getroffen hätte und etwas mehr Erfahrungen ausgetauscht hätte, dann hätte man auch vielleicht die eine oder andere Fehlentwicklung in Ostdeutschland verhindern können, die in Polen auch stattgefunden hat, aber ein oder zwei Jahre vorher.

    Herr Bachmann, Ihr Buch, so hatte ich den Eindruck, ist ein Plädoyer für die rasche Aufnahme Polens in die Europäische Union. Für Sie steht das Wort "EU-Erweiterung" in Ihrem Text heute eigentlich eher so als eine Chiffre von strukturkonservativem, bürokratischem Verhalten im Gegensatz zur "Europäischen Einigung". Welche Auffassung hat denn jetzt, aus der Gesamtschau heraus, die stärkeren Bataillone, die stärkeren Kräfte?

    Klaus Bachmann: Den Sieg davongetragen hat die bürokratische Alternative, d. h. jene Konzeption, nach der die EU, so wie sie bisher bestanden hat, sich ein bisschen verändert, ein bisschen Platz macht für die neuen Mitglieder und diese aufgenommen werden, wie man in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten Österreich aufgenommen hat, Schweden aufgenommen hat, Dänemark aufgenommen hat. Während das Bewusstsein dafür fehlt und auch die Strukturen und die Reformansätze dafür fehlen, tatsächlich eine Einigung des Kontinents in dem Maße herbeizuführen, dass man sagt: Wir haben also 15 Altmitglieder, und wir haben 12 oder in Zukunft vielleicht noch mehr Kandidaten und Neumitglieder, und wir versuchen jetzt, diese beide aneinander anzupassen. Weil das würde voraussetzen, dass sich nicht nur die Kandidaten verändern und reformieren, sondern dass das auch die Altmitglieder tun, und dass die Reform der EU wesentlich weitergehen müsste als sie es zur Zeit tut.

    Das ist die Zustandsbeschreibung. Aber was ich ein bisschen vermisst habe in Ihrem Buch, Herr Bachmann, ist, sozusagen, nach der Diagnose auch die Therapie zu liefern.

    Klaus Bachmann: Das ist ein sehr komplizierter Ansatz, weil er sehr viele Veränderungen erfordert, die innerhalb der Altmitglieder wahrscheinlich gar nicht durchzusetzen sind - zumindest die bisherige Entwicklung hat das gezeigt. Bis zu dem Moment, wo jemand tatsächlich beitritt und im gemeinsamen Markt mitmacht, hat er keine Möglichkeit, auf die Zukunft dieses Gebildes einzuwirken. Er ist die ganze Zeit, kann man sagen, Objekt der EU-Politik.

    Sie machen einen verblüffenden, wie ich finde, und eigentlich auch naheliegenden Vorschlag: Sie wollen offensichtlich das so genannte "Weimarer Dreieck" stärken, also diese Zusammenbindung Frankreichs, Deutschlands und Polens. Vereinfacht gefragt: Schafft so etwas nicht dann doch wieder die Angst, eine Art Misstrauen bei den übrigen Mitgliedern der EU?

    Klaus Bachmann: Das ist nicht auszuschließen. Aber das größte Misstrauen, glaube ich, gegenüber dem Erweiterungsprozess in politischer Hinsicht hat es in der Vergangenheit in Frankreich gegeben, weil man befürchtet hat, dass die Erweiterung eine Art deutsche Einflusszone im Osten schafft, das den Schwerpunkt vom ursprünglichen "karolingischen Europa" weiter in den Osten verlagert und damit Frankreich immer mehr an Einfluss verliert. Es hat ja schon in gewisser Weise verloren, dadurch dass sich Deutschland wiedervereinigt hat. Und wenn dann noch Staaten dazukommen, von denen man in Paris möglicherweise annimmt, dass sie eine pro-deutsche Politik nach der Erweiterung betreiben werden - was ich persönlich bezweifele - aber das ist ein eigenes Thema -, dann ist man natürlich kritisch gegenüber dieser Entwicklung. Eine Reaktion darauf war, einfach Frankreich einzubinden in dieses "Weimarer Dreieck", in regelmäßige Konsultationen mit Polen und Deutschland. Das gibt ein gewisses Vertrauen; das gibt einen gewissen Einblick; das gibt das Gefühl, dass das kein Prozess ist, der einem aus dem Ruder gleitet. Nur, dieses Dreieck ist weitgehend auf dem Papier stehen geblieben. D. h., es hat sich bei Konsultationen aufgehalten und ist nicht weitergegangen. Wir haben im Moment eine Situation, wo die EU praktisch bei den Beitrittsverhandlungen eine sehr, sehr starke Position gegenüber den Kandidaten hat. So stark war die Position der EU gegenüber Beitrittskandidaten noch nie wie jetzt, u. a. deshalb, weil es sich um ärmere Staaten handelt, u. a. deshalb, weil es sich um viele Staaten handelt, die man gegeneinander ausspielen kann, was die EU auch ziemlich effektvoll tut. Da besteht einfach die Gefahr, dass die Bedingungen, die da den Kandidaten aufgezwungen oder verordnet werden, dazu führen, dass erstens hinterher die EU nicht mehr funktioniert und zweitens, dass praktisch diese Teilungslinie, wie sie aus dem Kalten Krieg bestanden hat, dass die fortgeschrieben wird in die EU hinein. ..

    Aber, Herr Bachmann, was speziell soll an dieser Situation eine vertiefte Zusammenarbeit innerhalb des "Weimarer Dreiecks" bewirken?

    Klaus Bachmann: Das wäre eine Konstruktion, die sehr deutlich, politisch symbolisch, aber je nachdem wie man sie ausgestaltet, auch sehr praktisch diesen Ostgegensatz überwindet. Nach meiner Ansicht wäre es das beste, wenn das "Weimarer Dreieck" nach der Erweiterung zu einer Keimzelle für eine künftige so genannte "elastische" Zusammenarbeit, fortgeschrittene Zusammenarbeit, oder wie diese ganzen Fachausdrücke heißen, würde.

    Auf welchen Politikfeldern?

    Klaus Bachmann: Zum Beispiel - das war meine Idee - auf dem Politikfeld der inneren und äußeren Sicherheit, z. B. durch eine Zusammenlegung der Geheimdienste.

    Sie sprachen gerade eben von der geschürten Angst vor einer Re-Germanisierung Europas. Diese Angst der Re-Germanisierung, die gibt es ja nun schon beinahe traditionell auch in den Westgebieten Polens oder auch im polnischen ehemaligen Ostpreußen. Glauben Sie, dass mit dieser Angst der Re-Germanisierung in Polen derzeit auch Politik betrieben wird, eine Art Anti-EU-Politik?

    Klaus Bachmann: Ja, natürlich, natürlich. Das ist überhaupt keine Frage mehr. Das ist eine Entwicklung, die haben wir schon seit 1995 oder '96 - zum Teil sogar schon früher - wo versucht wird, beispielsweise Reformen des Grundrechts oder des Immobilienrechts voranzutreiben, mit der Begründung: Wir müssen das machen vor dem EU-Beitritt, sonst kommen die Deutschen und nehmen uns unsere Felder oder unsere Bauernhöfe weg. Das sind zum Teil nationalistische Gruppen; zum Teil ist es die Bauernpartei. Die versucht damit politisches Kapital zu schlagen. Und es hat insofern Erfolg gehabt, als diese Reform des Grund- und Bodenrechts tatsächlich in Polen erfolgt ist, zum Teil mit dieser Begründung: Angst vor den Deutschen.

    Aber gibt es hier nicht auch tatsächlich noch einen Vorbehalt, den man nachvollziehen kann, wenn man beispielsweise an bestimmte Ansprüche deutscher Vertriebener oder deren Nachkommen denkt. Was kann hier die deutsche Politik eigentlich leisten, um den polnischen EU-Sympathisanten positiv unter die Arme zu greifen?

    Klaus Bachmann: Das ist ein sehr kompliziertes Problem. Beide Regierungen haben es in der Vergangenheit verschlafen, diesen Ängsten entgegenzuwirken. Die polnische Regierung hätte klarmachen müssen, dass diese Ängste aufgrund der derzeitigen juristischen Lage und des EU-Rechts unbegründet sind. Die deutsche Regierung hätte klarmachen müssen, dass die Ansprüche, die beispielsweise deutsche Vertriebene geltend machen, international nicht durchsetzbar sind. Sie kann nicht darauf verzichten, weil sie sich sonst diese Ansprüche sozusagen selbst von den Vertriebenen ins Haus holt. Aber sie hätte beispielsweise, was die Regierung Schröder ja gegenüber Tschechien gemacht hat, klar und deutlich sagen können: Aus diesen Ansprüchen lässt sich kein individueller Anspruch eines Deutschen auf ein polnisches Grundstück oder so etwas herleiten. Sondern das sind allenfalls Dinge, die irgendwann einmal in der Zukunft zwischen der deutschen Regierung und der polnischen Regierung verhandelt werden können - wobei, wie gesagt, Polen solche Verhandlungen von Anfang an ablehnt und Deutschland nie wirklich versucht hat, sie zu führen. Insofern ist das Problem ohnehin theoretisch. Was grundsätzlich gelöst werden sollte, das ist einfach die Tatsache, dass der deutsche Rechtsstandpunkt allen anderen Rechtsstandpunkten auf dieser Welt widerspricht - und das schon seit 50 Jahren. Wir sind die einzigen, die der Ansicht sind, dass die Potsdamer Konferenz und die Ergebnisse dieser Konferenz für Deutschland nicht bindend sind. Die ganze restliche Welt ist davon überzeugt, dass es anders ist. Es ist auch irgendwie nicht recht einzusehen, warum man nach 50 Jahren dieses Dogma immer noch aufrecht erhält. Und daraus ergibt sich alles weitere. Daraus ergeben sich dann diese Eigentumsansprüche. Und daraus ergeben sich dann die polnischen, tschechischen und sonstigen Gegenreaktionen - dieses ewige Misstrauen, das die EU-Erweiterung belastet. Praktische Konsequenzen für die Politik hätte es überhaupt nicht, wenn man dieses Dogma aufgeben würde. Aber es ist natürlich ein liebgewonnener Rechtsstandpunkt, von dem keiner gerne abgeht.

    Antworten von Klaus Bachmann. Er ist Autor des Bandes "Polens Uhren gehen anders - Warschau vor der Ost-Erweiterung der Europäischen Union", vor kurzem erschienen im Hohenheim-Verlag Stuttgart/Leipzig. Das Buch hat 280 Seiten und kostet 39 Mark 80.