Klaus Briegleb: Missachtung und Tabu. Eine Streitschrift zur Frage: War die Gruppe 47 antisemitisch? Philo Verlag, Berlin 2003. 323 Seiten, 24.90 Euro und Axel Dunker: Die anwesende Abwesenheit. Liter
Zum Schluss der Hinweis auf zwei weitere Bücher, die verwandte Themen behandeln. Da ist zunächst 'Missachtung und Tabu’, eine Streitschrift des Hamburger Literaturwissenschaftlers und Heine-Herausgebers Klaus Briegleb, die sich in provokativer Weise mit der Frage beschäftigt, wie antisemitisch die Gruppe 47 gewesen sei. In seinem Vorwort fasst Briegleb seine wichtigste These zusammen. Sie besagt, dass der wohl bedeutendste literarische Nachkriegszirkel, die Gruppe 47, am Gedeihen des besonderen deutschen Antisemitismus nach der Shoa aus der Position einer angemaßten moralischen Unbescholtenheit und Sprecherkompetenz heraus mitgewirkt habe, mitgewirkt auf dem Untergrund von Missachtung, Desinteresse und Verdrängung - und dass dies nur zu begreifen und zu veranschaulichen sei im Blick auf den deutschen Kontext der Vergesslichkeit und der Ignoranz gegenüber Juden und Judentum nach 1945. Das Buch behandelt den Umgang mit dem Thema der Judenvernichtung durch die Nachkriegs-Literatur des Zirkels um Hans-Werner Richter ebenso wie den Umgang mit jüdischen Schriftstellern innerhalb und außerhalb der Gruppe. Briegleb hat sich tief in die Archive der Gruppe vertieft, dabei nicht unbedingt ganz Neues zutage gefördert, aber doch genug, um lautstarke Widersacher auf den Plan zu rufen. Je näher sie der Gruppe 47 stehen, desto harscher fällt ihre Kritik aus. Mancher, wie Fritz J. Raddatz, gibt zu, das Buch gar nicht gelesen zu haben, erklärt es aber für Mumpitz. Hanno Loewy, bis vor kurzem Direktor des Frankfurter Fritz-Bauer-Instituts und selbst Literaturwissenschaftler, hat unlängst in der Frankfurter Rundschau in einem klugen Artikel auf die blinden Flecken der Literaturdebatte hingewiesen, die Brieglebs Buch wieder ins Bewusstsein rückt. Loewy schreibt vom Ausschluss der Erfahrungen jüdischer Menschen in der Nachkriegsliteratur, von einem Kampf, der darum geführt worden sei, eine Erfahrung auszuschließen, dass es noch etwas Schlimmeres geben könnte als den Krieg. Das Sprechen über die Shoa sollte damals nur möglich sein, argumentiert er, wenn es sich im Rahmen des 'größeren’ Vernichtungsparadigmas des Krieges (und der 'deutschen Katastrophe’) einpassen ließ. Missachtung und Tabu, so Loewy, sei nur ein schwacher Ausdruck für jene Verbindung von Umarmung und Eiseskälte. Und Loewy stellt bedenkenswerte Verbindungen zur Gegenwart her, etwa zur Debatte um Martin Walsers 'Tod eines Kritikers’. Ein Zufall, dass da alte 47er, Grass und Jens, und die Kritiker Reinhart Baumgart und Joachim Kaiser Walser zur Seite eilten und den Antisemitismusvorwurf pauschal und mit Empörung zurückwiesen? War Walsers Rede von der 'Antisemitismus-Keule’ in Frankfurt vielleicht am Ende die vorausschauende Abwehr eines Vorwurfs, dem er sich selbst ausgesetzt sieht? Klaus Brieglebs empfehlenswertes Buch Missachtung und Tabu ist im Philo Verlag erschienen, hat 323 Seiten und kostet 24.90 Euro.