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Klaus G. Saur: Traumberuf Verleger

Wie viele Millionen Flugkilometer er in seinem beruflichen Leben um den Erdball geflogen ist, weiß Klaus G. Saur nicht mehr zu sagen. An diese Zahl kommen seine Ehrenprofessuren, Ehrendoktorate und Senatorentitel ehrenhalber und sonstigen Auszeichnungen natürlich bei Weitem nicht heran.

Von Rainer Schmitz | 27.07.2011
    Dennoch dürfte der Münchner Wissenschaftsverleger nicht nur der am weitesten gereiste, sondern auch der am meisten geehrte Akteur der Buchbranche weltweit sein.

    Gerade sind unter dem Titel "Traumberuf Verleger" seine Memoiren bei Hoffmann und Campe in Hamburg erschienen, in denen der am 27. Juli 1941 geborene Klaus G. Saur ein halbes Jahrhundert, sein halbes Jahrhundert Revue passieren lässt.

    Klaus G. Saur ist einer der erfolgreichsten Wissenschaftsverleger der Bundesrepublik. Zudem hat er durch zahlreiche einflussreiche Ämter und Funktionen das kulturelle und geistige Leben in Deutschland maßgeblich mitgeprägt.

    Unternehmerischer Mut, das Vermögen, die Zeichen der Zeit zu erkennen, Innovatives zu schaffen – das teilt er zwar mit einigen seiner Zunft. Doch niemand kann ihm in seiner mitreißenden Leidenschaft, seiner Offenheit nach allen Seiten und seiner nie nachlassenden Begeisterungsfähigkeit das Wasser reichen.

    Klaus G. Saur ist kein Mann der großen Worte, dafür hat er unendlich viele von ihnen herausgegeben. Aber er ist überaus eloquent und hat weit mehr als tausend Vorträge, Reden, Ansprachen gehalten: Als Vorsitzender des Verbandes Bayerischer Verlage und Buchhandlungen, der Historischen Kommission des Börsenvereins, vor Akademien, Universitäten und, und, und ...

    Saur begann seine verlegerische Karriere im Jahre 1958, als er in den Verlag seines Vaters einstieg, in dem technische und wirtschaftliche Literaturdokumentationen erschienen.

    Im Juli 1964 legte er sein "Internationales Verlagsadressbuch" vor, noch getippt auf einer alten mechanischen Schreibmaschine. Die Auflage von 750 Stück war innerhalb von drei Monaten verkauft. 46 Jahre später – im Jahre 2010 – erschien die 35. Auflage. Dieser Titel war der Ausgangspunkt für zahlreiche ähnliche Datensammlungen wie "World Guide to Scientific Associations", "International Books in Print". Von Anfang an konzentrierte Saur sich auf bibliothekarische Hilfsmittel.

    Zu seinen großen, konkurrenzlosen Editionen gehören, um nur einige zu nennen:

    Das "Gesamtverzeichnis des deutschsprachigen Schrifttums". Die 400 Bände für einen Preis von 63.000 DM sind natürlich keine Bestseller, aber noch heute weltweit unentbehrlich für bibliografische Recherchen. Die Digitalisierung der Kataloge und Altbestände der großen Bibliotheken haben dieses Werk auch in Zeiten des Internet noch nicht abgelöst – noch lange nicht!

    Weiterhin unter vielen anderen "Das Verzeichnis lieferbarer Bücher" seit 1970, der "Marburger Index" 1976, "Das Biographische Weltarchiv" 1980, das "Yearbook of International Organizations" 1982, "Das Allgemeine Künstlerlexikon" 1986-1991, die "Deutsche Biographische Enzyklopädie" 1993.

    Diese Mammutwerke waren Zuschussobjekte, gefördert mit Mitteln der Deutschen Forschungsgemeinschaft und oft aus den Töpfen verschiedenster auch privater Stiftungen und Fördereinrichtungen.

    Saur erzählt ganz offen, wie er als Verlagsleiter und später auch als geschäftsführender Gesellschafter die Klinken putzen ging. Er war sich für nichts zu schade, wenn es darum ging, seine Herzensprojekte zu realisieren.

    Besonders am Herzen lag ihm "Das Biographische Handbuch der deutschsprachigen Emigration 1933 bis 1945", heute ein Grundlagenwerk der Exilforschung.

    1987 verkaufte er seinen inzwischen auf den weltweiten Bibliotheksmarkt spezialisierten Verlag für die Rekordsumme von 14 Millionen Dollar an die Reed-Elsevier-Gruppe, blieb jedoch bis zum Jahre 2003 Geschäftsführer. Später, im Jahre 2006, inzwischen als geschäftsführender Gesellschafter des Wissenschaftsverlages de Gruyter hat er dann "seinen" Verlag zurückgekauft. Allerdings nur noch zur Hälfte des ehemaligen Preises.

    Das Jahr 1987 war ein Schlüsseljahr. Es war eine Zeit, in der Information der Stoff der Zukunft war. Je mehr Datenbanken ein Verlag hatte, desto wertvoller wurde er angesehen. Das zeigte sich in enormen Summen, die damals für Verlage gezahlt wurden.

    Man erkannte jedoch noch nicht, dass der Wert dieser mit großem redaktionellem Aufwand geschaffenen Datensammlungen durch die Entwicklung des Internets nicht steigen, sondern schon bald dramatisch sinken würde. Heute sind Informationen in einem extremen Maße kostenlos lieferbar, die früher nur für wirklich teures Geld erworben werden konnten.

    Ein Beispiel: Das "Publishers International Directory" hatte in den 80er-Jahren eine Auflage von 2000 Exemplaren und wurde jedes Jahr gut verkauft. Heute beträgt die Auflage für die gedruckte Ausgabe noch etwa 200 Exemplare, für die elektronische Version etwa nur 100. Damals konnte mit diesem Buch ein Gewinn von über 25 Prozent erzielt werden, heute sind es maximal drei bis fünf Prozent.

    Deshalb sind in den letzten Jahren diverse Nachschlagewerke eingestellt worden, weil die Deckungsauflage einfach unterschritten wurde. Mit anderen Worten: Sie wurden unrentabel.

    Die von Saur edierten Datenbanken waren auch seinerzeit allesamt keine "Bestseller" in heutigem Sinn. Doch als hochpreisige Bibliotheksauflagen, die manchmal nur wenige hundert Exemplare zählten, waren sie sehr profitabel.

    Sein "Gesamtverzeichnis des deutschsprachigen Schrifttums" steht weltweit in allen großen und kleineren Bibliotheken. Diese 400 Bände sind bis heute nur zu einem kleinen Teil durch digitale Datenbanken ersetzt worden. Sie kosteten den stolzen Preis von 63.000 Deutsche Mark und sind bis heute ihr Geld wert.

    Es gibt aber auch unendlich viele Bücher, die wirtschaftlich völlig uninteressant waren, häufig sogar defizitär, die aber trotzdem einen wichtigen geistigen Beitrag geleistet haben.

    Sie alle haben Klaus G. Saur "reich" gemacht in doppeltem Sinne.

    Er war in unzähligen Aufsichtsräten, Ämtern und Funktionen von Bibliotheken, Archiven, Verbänden, und auch heute im Ruhestand ist Saur noch weiter als Autor tätig und hat eine Vielzahl von Ehrenämtern und Funktionen inne.

    Unter anderem ist er Ehrenmitglied des Vereins Deutscher Bibliothekare. Was für eine Karriere! Denn eigentlich wollte Klaus G. Saur einst Bibliothekar werden, konnte dies aber, wie er sagt, "aus nachgewiesener Dummheit" nicht werden. Als Fachverleger für die Bibliothekare weltweit hat er sich dann "gerächt" und die Experten all die Jahre mit unendlich vielen Büchern verfolgt.

    Insgesamt, so führt Saur auf, habe er in fünfzig Jahren 8600 Titel in rund 14.000 Bänden Ausgaben, Auflagen und Bänden verlegt. Daran beteiligt waren 800 Institutionen weltweit und etwa 7000 Autoren und Herausgeber. Klaus G. Saur war in einem Umfang international tätig, wie außer ihm vielleicht nur noch Heinz Götze, der Verleger des wissenschaftlichen Springer-Verlages.

    Und natürlich die Eitelkeit – nun ja, vor dieser Karriere, diesen Erfolgen, diesen Kontakten, dieser Ämterfülle und diesem phänomenal unerschöpflichen Gedächtnis verneigen sich selbst seine Kritiker.

    Zu rund 3000 der Herausgeber und Autoren hatte Saur persönliche Beziehungen. Seine zahllosen Begegnungen mit bedeutenden Forschern und Weichenstellern der Wissenschaftspolitik sind ein Namedropping ohne Ende. Allerdings hätte man gerade da gerne mehr als nur Berufliches über einzelne Personen gelesen, mehr über persönliche Beziehungen, Freunde und Partner erfahren. Denn gerade von den pikanten Hintergrundinformationen, ja auch reinen Klatschgeschichten, kann Klaus G. Saur im persönlichen Gespräch hinreißend und ohne Ende erzählen.

    Während er in seinen Erinnerungen in dieser Frage leider etwas zugeknöpft bleibt – vielleicht auch nur aus Platzgründen, – äußert er sich um so ausführlicher zur Zukunft des Buches. Denn die Zeichen der Zeit stehen wieder einmal auf Wandlung. Einer wie er, der dem Gedruckten auch heute noch den Vorzug gibt, sieht natürlich die Veränderungen, die das Internet und die Digitalisierung brachten und noch bringen werden.

    In den Kapiteln "Die Zukunft des Buches" und "Die Zukunft des Verlages" versucht er Deutungen. Die fallen allerdings nicht gerade zugunsten der neuen Medien aus.

    Für Saur war und ist das Buch seit über 500 Jahren das wunderbarste Medium, das im Grunde genommen technisch immer gleich geblieben ist, obwohl es gerade im vergangenen Jahrhundert viele grundsätzliche Neuerungen gab, etwa das Xerox-Kopierverfahren. Allerdings hatten die neueren Speichermedien wie Mikrofilm, Mikrofiche, CD-ROM eine nur begrenzte Lebensdauer, und in die verschiedenen Abspielgeräte für DVD und Online-Informationen muss immer mehr kurzfristig investiert werden.

    Das Buch dagegen ist frei, schön, berührbar – dazu sieht Saur keine Alternative. Und seit die Druckindustrie begriffen hat, dass die Zukunft nicht in den Großauflagen, sondern in den Klein-, Kleinst- und Einzelauflagen liegt, eröffnen sich für das gedruckte Buch neue Perspektiven.
    Saur führt dazu aus: Während man in den 60er- oder 70er-Jahren eine Bibliotheksauflage von 400 mehr oder weniger automatisch verkaufen konnte, reduziert sich dies heute auf etwa 40 bis 50 Exemplare. Auch nimmt der Anteil der englischsprachigen Produktion immer mehr zu. In den Verlagen, die Saur führte, stieg er innerhalb von 50 Jahren von null auf über 60 Prozent.
    Einer seiner Ratschläge für die Zukunft lautet deshalb: Bücher müssen in der absolut höchsten Qualität herausgebracht werden – sowohl im Inhalt, im Lektorat und in der Herstellung. Wenn man als Verleger wirklich noch Bücher verkaufen will, so Klaus G. Saur, muss man einfach innovativ bleiben, das aber ungemein!

    Klaus G. Saur: "Traumberuf Verleger". Hamburg, Verlag Hoffmann und Campe 2011, 300 Seiten, 25 Euro