Klaus Naumann blickt auf eine Bilderbuchkarriere als Soldat zurück. Vor allem im letzten Jahrzehnt seiner Tätigkeit hatte er die Hand am Puls geschichtlicher Entwicklungen. Als Verantwortlicher für Militärpolitik im Verteidigungsministerium gehörte er zu den Architekten der deutschen Einheit im militärischen Bereich. Er war der erste, der mit Soldaten der Nationalen Volksarmee öffentlich diskutierte. In diese Zeit fiel auch der Golf-Krieg nach der Besetzung Kuwaits durch den Irak. Naumann litt unter der Erkenntnis, dass die deutsche Enthaltsamkeit während dieses Golf-Krieges auch politisches Kapital kostete. Er war Generalinspekteur der Bundeswehr, als die deutsche Streitkraft zu ihrem Auslandseinsatz in Somalia aufbrach. Er war entscheidend daran beteiligt, die Bundeswehr vorsichtig in die neue Rolle hineinzuführen. Als Vorsitzender des Militärausschusses der NATO verhandelte er im Auftrag der Allianz mit dem Belgrader Diktator Milosevic über einen Ausweg aus dem Kosovo-Drama, bevor die Allianz, auch unter seiner Mitwirkung, dort eingriff. Diese Vita prägte Naumann, und so zieht er in seinem Buch "Frieden - der noch nicht erfüllte Auftrag" auch Bilanz. Die Erinnerung an die Entwicklungen der Streitkräfte von 1990 bis zum Kosovo-Krieg fasst er so zusammen:
Ich habe von den ersten Augusttagen 1990 an keine Gelegenheit ausgelassen, unseren amerikanischen Freunden immer wieder zu verdeutlichen, dass der Prozess des Verstehens und des Annehmens einer größeren Verantwortung durch Deutschland nicht über Nacht zu erreichen sei, sondern Zeit brauche, vermutlich viel Zeit. Ich habe in diesen Tagen auch immer wieder gesagt, dass Deutschland sich am Ende dieses Prozesses seiner vollen Verantwortung als verlässlicher, aber militärische Einsätze immer als ultima ratio, als letztes Mittel begreifender Bündnispartner stellen werde.
Es war daher für mich gewissermaßen der erfolgreiche Abschluss eines langen und doch so kurzen Prozesses, als deutsche Tornados im Kosovo-Krieg ihren ersten wahren Kampfeinsatz erlebten. Erfolgreich nicht in dem Sinne, dass ich mich darüber gefreut hätte, weit gefehlt. Kein Soldat freut sich über einen Kampfeinsatz, denn das Ziel von Soldaten ist und bleibt es, wenn irgend möglich, durch die Bereitschaft zu kämpfen mögliche Gegner abzuschrecken zu den Waffen zu greifen und so Frieden zu erhalten. Erfolgreich aber darin, dass Deutschland mit diesem Schritt der Welt zeigte, dass es bereit ist, das gleiche Maß an Risiko und Last zu tragen wie seine Verbündeten.
Naumanns Bilanz dieser ereignisreichen Jahre ist spannend zu lesen. Vieles, was wir damals erlebt und mittlerweile vergessen haben, taucht anschaulich geschildert wieder auf. Die Frage, wie Soldaten der NVA in die Bundeswehr integriert werden sollten, die ersten Schritte, die die NATO zu ihrer Umgestaltung unternahm, beherzt handelnd und dennoch noch suchend, die Zusammenarbeit mit Staaten, die bislang zu einem anderen Blocksystem gehörten, auf militärischer Ebene - all das beschreibt er aus der Innenansicht. Es ist kein Neuaufguss von zahlreichen Schilderungen dieser Zeit, sondern ein authentischer Lebensbericht, der uns auch vor Augen führt, welche Verantwortung die politischen Akteure nun haben, die "Wege zum Frieden in einer Welt voller Unsicherheit" zu suchen, wie er den zweiten Teil seines Buchs überschreibt. Klaus Naumann:
Berechenbarkeit war eine der Grundlagen der erfolgreichen Strategie der Abschreckung. Es war eine Form reaktiver Abschreckung, wirksam gegenüber einem klar zu identifizierenden Gegner. Sie hat unserem Teil der Welt ein halbes Jahrhundert lang Frieden erhalten. Doch sie gehört für die Lösung der wahrscheinlichsten Konflikte in den vor uns liegenden Jahren der Vergangenheit an, weil die Auflösung der bipolaren Welt nahezu für jedermann den Zugang zu Waffen aller Art ermöglicht hat. Die Gegner sind heute oftmals nicht mehr klar erkennbar und lokalisierbar. Hinzu kommt, dass die neuen und künftigen Besitzer von Massenvernichtungswaffen von einem anderen Denken und vor allem von einem anderen Menschenbild ausgehen. Sie in das hochkomplexe, aber wenigstens auf einer Restmenge von gemeinsamen Wertvorstellungen beruhende System herkömmlicher Abschreckung einzubeziehen, dürfte kaum möglich sein. Das ist einer der Gründe, der in den USA dazu geführt hat und weiter dazu führen wird, dass der Abwehr den Vorrang vor der Abschreckung zu geben. Er untersucht die Auswirkungen neuer Kommunikationsmöglichkeiten, zunehmender Weltbevölkerung, auch der Bevölkerungsstruktur, auf die internationale Sicherheit. Ein Beispiel:
In den Gesellschaften Europas, Nordamerikas, Russlands und auch Chinas wächst der Anteil der alten Menschen, während beispielsweise in vielen Staaten Afrikas der Anteil der bis zu 25 Jahre jungen Menschen die 50-Prozent-Marke zu übersteigen beginnt. Diese jungen Menschen wachsen in einer Welt ohne jegliche Perspektive auf eine gesicherte Zukunft auf, haben aber dank moderner Kommunikation Tag für Tag die Bilder einer in für sie unvorstellbarem Luxus lebenden Welt vor Augen.
Dieser Spannungsbogen erhöht auch sicherheitspolitische Risiken. Wassermangel, Hungersnöte, Energieprobleme und Umweltschäden können, so Naumann, zu Migrationsbewegungen führen. Die Verstädterung ohne Zuwachs an Erwerbsmöglichkeiten führt dann zu neuer Kriminalität bis hin zum Zusammenbruch staatlicher Organisationen und der Übernahme von Staaten durch kriminelle Organisationen. Hier hätte Naumann etwas konkreter, plastischer werden können. Er erwähnt beispielsweise die Drogenkartelle, die ein solches System heute schon darstellen, mit keinem Wort. Die Globalisierung auf dem Feld der Wirtschaft und der Tatsache, dass in dieser globalisierten Welt Menschenrechte in unserem Sinn nicht universal gelten können, bringt weitere mögliche Spannungsursachen.
Naumann untersucht die Akteure auf der weltpolitischen Bühne. Die USA als einzig global handlungsfähige Macht akzeptieren als Partner nur Gleichwertige, nicht solche, die verbal das Bemühen um Gleichwertigkeit betonen. Sie haben den Anti-Terror-Kampf in den Mittelpunkt ihrer Politik gestellt, nachdem durch den Terror die Unverwundbarkeit des eigenen Landes in Frage gestellt wurde. Darüber, so fürchtet Naumann, könnten andere Konflikte wie der um Taiwan und um Korea aus den Augen verloren werden, eine Sorge, über die im Fall Koreas zur Zeit auch in den USA debattiert wird. Aber: Europa kann sich, so Naumann, nicht darauf verlassen, dass die USA als Feuerwehr für Europa und sein unruhiges Umfeld bereitstehen. Russland kann diese Lücke in Europa nicht ausfüllen. Es zu isolieren wäre aber ebenso falsch. Er unterstützt den Kurs Präsident Putins und fordert, dass das westliche Europa die Chance, die in seiner Politik liegt, besonnen nutzt. China, so meint der Ex-General, wird wirtschaftlich stärker und auch demokratischer werden, wegen der immensen inneren Probleme aber auf absehbare Zeit eher nach innen orientiert bleiben. Die EU ist in ihrer Rolle noch nicht stark genug, um die Stabilisierungsrolle über den Kontinent hinaus zu spielen:
Europa wird in den vor uns liegenden Jahren seine ganze Kraft brauchen, um die Erweiterung der EU zu bewältigen und den der Einigung Europas widerstrebenden Kräften eines überholten Nationalismus und des nationalen Egoismus zu begegnen. Europa wird daher überwiegend nach innen sehen, weiß aber auch, dass die Welt nicht stehen bleibt und dass die Welt die Kraft Europas zur Lösung und Eindämmung der vielen Probleme in der näheren und weiteren Peripherie Europas braucht.
Daraus folgt für Naumann: Integration in Europa ohne nationale Egoismen, Kampf gegen den Terror, weil es fatal wäre, wenn mit terroristischen Mitteln politische Ziele erreicht würden, selbst, wenn sie berechtigt sind - hier nennt er den Nahost-Konflikt und den Palästinenserstaat. Gefahren liegen in der Asymmetrie der Akteure auf dem sicherheitspolitischen Feld:
Nichtstaatliche Akteure, seien es fanatisierte Terroristen oder nur Verbrecher, unterliegen keinen Beschränkungen, weder moralischer noch rechtlicher noch finanzieller Art. Ihre Gegenspieler dagegen, die Sicherheitsorgane von Staaten oder Bündnissen, müssen sowohl moralische wie auch rechtliche Beschränkungen beachten und sie werden niemals in der Lage sein, das zu kaufen, was sie eigentlich bräuchten. Würden sie diese Beschränkungen aber nicht einhalten, dann hätten die Terroristen gewonnen, denn unsere Gesellschaften würden in ihrem Wert für den Bürger entscheidend verändert. Eine Lösung für diesen Konflikt kann auch er nicht anbieten. Aber er entwirft eine erste Blaupause für eine neue Grand Strategy, die diplomatische, politische und dann auch militärische Mittel ins Auge fasst. Einen Doppelansatz verfolgt er:
Der konfliktvorbeugende Teil sucht aktuelle Konflikte durch politische Mittel zu entschärfen und durch Hilfestellung das sich abzeichnende Entstehen neuer Konfliktursachen zu verhindern. Damit wird Terror und Gewalt der Nährboden entzogen. Der konfliktverhindernde Teil sucht durch möglichst umfassenden Schutz der Staaten und Gesellschaften Angriffe sinnlos zu machen und durch die Fähigkeit zur Intervention weit außerhalb des eigenen Gebietes dem potenziellen Angreifer zu zeigen, dass er Gefahr läuft, seine Angriffsmittel zu verlieren und selbst gefasst zu werden.
Dies ist auch die Ideologie, die hinter der gegenwärtigen Irak-Politik steht. Naumann untersucht die Rahmen, in denen eine solche Politik durchgeführt werden kann. Er setzt dabei auch auf die UNO, aber er gibt ihr kein Handlungsmonopol. Und wenn militärische Mittel nötig sind, dann spricht Naumann nicht vom einem Krieg im klassischen Sinn, weil das Ziel einer dauernden Besetzung des Gebietes, das mit kriegerischen Mitteln überzogen wird, nicht beabsichtigt ist.
Naumann beschreibt vor diesem Hintergrund seine Vision von der Umgestaltung der NATO und der Rolle, die Deutschland zu spielen hat. Dass er damit auch Kritik am Bündnis wie an der deutschen Sicherheitspolitik übt, liegt auf der Hand. Seine Wunschliste an den NATO-Gipfel und an die Koalitionsvereinbarungen - das Buch wurde vor beiden Ereignissen fertiggestellt - wurden zunächst nicht erfüllt. Naumanns Buch ist eine fundierte, zu Nachdenken und Diskutieren anregende Analyse, der allerdings ein Aspekt fehlt: Die entwicklungspolitischen Seiten der Grand Strategy hat er nicht aufgeschlagen. Hier bleibt er wortlos - jedenfalls in diesem Buch. Man muss seine Meinung nicht teilen, wenngleich sie schlüssig vorgetragen ist. Aber er leistet einen wichtigen Beitrag zur sicherheitspolitischen Debatte dieser Jahre und entwickelt sie aus seinen eigenen Erfahrungen in den letzten Jahrzehnten.
Rolf Clement über Klaus Naumann: Frieden - der noch nicht erfüllte Auftrag. Mittler & Sohn Hamburg, 256 Seiten zum Preis von 29 Euro und 90 Cent.
Ich habe von den ersten Augusttagen 1990 an keine Gelegenheit ausgelassen, unseren amerikanischen Freunden immer wieder zu verdeutlichen, dass der Prozess des Verstehens und des Annehmens einer größeren Verantwortung durch Deutschland nicht über Nacht zu erreichen sei, sondern Zeit brauche, vermutlich viel Zeit. Ich habe in diesen Tagen auch immer wieder gesagt, dass Deutschland sich am Ende dieses Prozesses seiner vollen Verantwortung als verlässlicher, aber militärische Einsätze immer als ultima ratio, als letztes Mittel begreifender Bündnispartner stellen werde.
Es war daher für mich gewissermaßen der erfolgreiche Abschluss eines langen und doch so kurzen Prozesses, als deutsche Tornados im Kosovo-Krieg ihren ersten wahren Kampfeinsatz erlebten. Erfolgreich nicht in dem Sinne, dass ich mich darüber gefreut hätte, weit gefehlt. Kein Soldat freut sich über einen Kampfeinsatz, denn das Ziel von Soldaten ist und bleibt es, wenn irgend möglich, durch die Bereitschaft zu kämpfen mögliche Gegner abzuschrecken zu den Waffen zu greifen und so Frieden zu erhalten. Erfolgreich aber darin, dass Deutschland mit diesem Schritt der Welt zeigte, dass es bereit ist, das gleiche Maß an Risiko und Last zu tragen wie seine Verbündeten.
Naumanns Bilanz dieser ereignisreichen Jahre ist spannend zu lesen. Vieles, was wir damals erlebt und mittlerweile vergessen haben, taucht anschaulich geschildert wieder auf. Die Frage, wie Soldaten der NVA in die Bundeswehr integriert werden sollten, die ersten Schritte, die die NATO zu ihrer Umgestaltung unternahm, beherzt handelnd und dennoch noch suchend, die Zusammenarbeit mit Staaten, die bislang zu einem anderen Blocksystem gehörten, auf militärischer Ebene - all das beschreibt er aus der Innenansicht. Es ist kein Neuaufguss von zahlreichen Schilderungen dieser Zeit, sondern ein authentischer Lebensbericht, der uns auch vor Augen führt, welche Verantwortung die politischen Akteure nun haben, die "Wege zum Frieden in einer Welt voller Unsicherheit" zu suchen, wie er den zweiten Teil seines Buchs überschreibt. Klaus Naumann:
Berechenbarkeit war eine der Grundlagen der erfolgreichen Strategie der Abschreckung. Es war eine Form reaktiver Abschreckung, wirksam gegenüber einem klar zu identifizierenden Gegner. Sie hat unserem Teil der Welt ein halbes Jahrhundert lang Frieden erhalten. Doch sie gehört für die Lösung der wahrscheinlichsten Konflikte in den vor uns liegenden Jahren der Vergangenheit an, weil die Auflösung der bipolaren Welt nahezu für jedermann den Zugang zu Waffen aller Art ermöglicht hat. Die Gegner sind heute oftmals nicht mehr klar erkennbar und lokalisierbar. Hinzu kommt, dass die neuen und künftigen Besitzer von Massenvernichtungswaffen von einem anderen Denken und vor allem von einem anderen Menschenbild ausgehen. Sie in das hochkomplexe, aber wenigstens auf einer Restmenge von gemeinsamen Wertvorstellungen beruhende System herkömmlicher Abschreckung einzubeziehen, dürfte kaum möglich sein. Das ist einer der Gründe, der in den USA dazu geführt hat und weiter dazu führen wird, dass der Abwehr den Vorrang vor der Abschreckung zu geben. Er untersucht die Auswirkungen neuer Kommunikationsmöglichkeiten, zunehmender Weltbevölkerung, auch der Bevölkerungsstruktur, auf die internationale Sicherheit. Ein Beispiel:
In den Gesellschaften Europas, Nordamerikas, Russlands und auch Chinas wächst der Anteil der alten Menschen, während beispielsweise in vielen Staaten Afrikas der Anteil der bis zu 25 Jahre jungen Menschen die 50-Prozent-Marke zu übersteigen beginnt. Diese jungen Menschen wachsen in einer Welt ohne jegliche Perspektive auf eine gesicherte Zukunft auf, haben aber dank moderner Kommunikation Tag für Tag die Bilder einer in für sie unvorstellbarem Luxus lebenden Welt vor Augen.
Dieser Spannungsbogen erhöht auch sicherheitspolitische Risiken. Wassermangel, Hungersnöte, Energieprobleme und Umweltschäden können, so Naumann, zu Migrationsbewegungen führen. Die Verstädterung ohne Zuwachs an Erwerbsmöglichkeiten führt dann zu neuer Kriminalität bis hin zum Zusammenbruch staatlicher Organisationen und der Übernahme von Staaten durch kriminelle Organisationen. Hier hätte Naumann etwas konkreter, plastischer werden können. Er erwähnt beispielsweise die Drogenkartelle, die ein solches System heute schon darstellen, mit keinem Wort. Die Globalisierung auf dem Feld der Wirtschaft und der Tatsache, dass in dieser globalisierten Welt Menschenrechte in unserem Sinn nicht universal gelten können, bringt weitere mögliche Spannungsursachen.
Naumann untersucht die Akteure auf der weltpolitischen Bühne. Die USA als einzig global handlungsfähige Macht akzeptieren als Partner nur Gleichwertige, nicht solche, die verbal das Bemühen um Gleichwertigkeit betonen. Sie haben den Anti-Terror-Kampf in den Mittelpunkt ihrer Politik gestellt, nachdem durch den Terror die Unverwundbarkeit des eigenen Landes in Frage gestellt wurde. Darüber, so fürchtet Naumann, könnten andere Konflikte wie der um Taiwan und um Korea aus den Augen verloren werden, eine Sorge, über die im Fall Koreas zur Zeit auch in den USA debattiert wird. Aber: Europa kann sich, so Naumann, nicht darauf verlassen, dass die USA als Feuerwehr für Europa und sein unruhiges Umfeld bereitstehen. Russland kann diese Lücke in Europa nicht ausfüllen. Es zu isolieren wäre aber ebenso falsch. Er unterstützt den Kurs Präsident Putins und fordert, dass das westliche Europa die Chance, die in seiner Politik liegt, besonnen nutzt. China, so meint der Ex-General, wird wirtschaftlich stärker und auch demokratischer werden, wegen der immensen inneren Probleme aber auf absehbare Zeit eher nach innen orientiert bleiben. Die EU ist in ihrer Rolle noch nicht stark genug, um die Stabilisierungsrolle über den Kontinent hinaus zu spielen:
Europa wird in den vor uns liegenden Jahren seine ganze Kraft brauchen, um die Erweiterung der EU zu bewältigen und den der Einigung Europas widerstrebenden Kräften eines überholten Nationalismus und des nationalen Egoismus zu begegnen. Europa wird daher überwiegend nach innen sehen, weiß aber auch, dass die Welt nicht stehen bleibt und dass die Welt die Kraft Europas zur Lösung und Eindämmung der vielen Probleme in der näheren und weiteren Peripherie Europas braucht.
Daraus folgt für Naumann: Integration in Europa ohne nationale Egoismen, Kampf gegen den Terror, weil es fatal wäre, wenn mit terroristischen Mitteln politische Ziele erreicht würden, selbst, wenn sie berechtigt sind - hier nennt er den Nahost-Konflikt und den Palästinenserstaat. Gefahren liegen in der Asymmetrie der Akteure auf dem sicherheitspolitischen Feld:
Nichtstaatliche Akteure, seien es fanatisierte Terroristen oder nur Verbrecher, unterliegen keinen Beschränkungen, weder moralischer noch rechtlicher noch finanzieller Art. Ihre Gegenspieler dagegen, die Sicherheitsorgane von Staaten oder Bündnissen, müssen sowohl moralische wie auch rechtliche Beschränkungen beachten und sie werden niemals in der Lage sein, das zu kaufen, was sie eigentlich bräuchten. Würden sie diese Beschränkungen aber nicht einhalten, dann hätten die Terroristen gewonnen, denn unsere Gesellschaften würden in ihrem Wert für den Bürger entscheidend verändert. Eine Lösung für diesen Konflikt kann auch er nicht anbieten. Aber er entwirft eine erste Blaupause für eine neue Grand Strategy, die diplomatische, politische und dann auch militärische Mittel ins Auge fasst. Einen Doppelansatz verfolgt er:
Der konfliktvorbeugende Teil sucht aktuelle Konflikte durch politische Mittel zu entschärfen und durch Hilfestellung das sich abzeichnende Entstehen neuer Konfliktursachen zu verhindern. Damit wird Terror und Gewalt der Nährboden entzogen. Der konfliktverhindernde Teil sucht durch möglichst umfassenden Schutz der Staaten und Gesellschaften Angriffe sinnlos zu machen und durch die Fähigkeit zur Intervention weit außerhalb des eigenen Gebietes dem potenziellen Angreifer zu zeigen, dass er Gefahr läuft, seine Angriffsmittel zu verlieren und selbst gefasst zu werden.
Dies ist auch die Ideologie, die hinter der gegenwärtigen Irak-Politik steht. Naumann untersucht die Rahmen, in denen eine solche Politik durchgeführt werden kann. Er setzt dabei auch auf die UNO, aber er gibt ihr kein Handlungsmonopol. Und wenn militärische Mittel nötig sind, dann spricht Naumann nicht vom einem Krieg im klassischen Sinn, weil das Ziel einer dauernden Besetzung des Gebietes, das mit kriegerischen Mitteln überzogen wird, nicht beabsichtigt ist.
Naumann beschreibt vor diesem Hintergrund seine Vision von der Umgestaltung der NATO und der Rolle, die Deutschland zu spielen hat. Dass er damit auch Kritik am Bündnis wie an der deutschen Sicherheitspolitik übt, liegt auf der Hand. Seine Wunschliste an den NATO-Gipfel und an die Koalitionsvereinbarungen - das Buch wurde vor beiden Ereignissen fertiggestellt - wurden zunächst nicht erfüllt. Naumanns Buch ist eine fundierte, zu Nachdenken und Diskutieren anregende Analyse, der allerdings ein Aspekt fehlt: Die entwicklungspolitischen Seiten der Grand Strategy hat er nicht aufgeschlagen. Hier bleibt er wortlos - jedenfalls in diesem Buch. Man muss seine Meinung nicht teilen, wenngleich sie schlüssig vorgetragen ist. Aber er leistet einen wichtigen Beitrag zur sicherheitspolitischen Debatte dieser Jahre und entwickelt sie aus seinen eigenen Erfahrungen in den letzten Jahrzehnten.
Rolf Clement über Klaus Naumann: Frieden - der noch nicht erfüllte Auftrag. Mittler & Sohn Hamburg, 256 Seiten zum Preis von 29 Euro und 90 Cent.