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Klaus Peter Matschke: Das Kreuz und der Halbmond. Die Geschichte der Türkenkriege

Der Bielefelder Historiker Hans Ulrich Wehler, einer der heftigsten Streiter gegen den EU-Beitritt der Türkei, schreibt das in einem seiner Essays, die der Beck Verlag unter dem Titel "Konflikte zu Beginn des 21. Jahrhunderts" versammelt hat. Politische Kampagnen haben jenseits der Oberflächenrhetorik oft eine Appellstruktur, die auf tief verwurzelte Ressentiments bei ihren Adressaten zielt. Daher ist davon auszugehen, dass im aktuellen Wahlkampf um das Europaparlament das Thema "EU-Beitritt der Türkei" auch deshalb in den Vordergrund gerückt wird, weil die Beitrittsgegner auf die im Kollektivgedächtnis gespeicherten antitürkischen Ressentiments spekulieren. Da könnte ein Buch für mehr Rationalität in der Auseinandersetzung sorgen, das die Geschichte der Türkenkriege neu erzäthlen will. "Das Kreuz und der Halbmond - Die Geschichte der Türkenkriege" ist es überschrieben, und Klaus-Peter Matschke heißt sein Autor. Warum der aber eher zur Konfusion als zur Aufklärung beiträgt, sagt Ihnen nun Wolf Oschlies.

Von Wolf Oschlies. |
    Zweifellos ist das Buch von Klaus-Peter Matschke gut gemeint, und es ist ja auch ein Werk, das von Fachkompetenz, Belesenheit und Forscherfleiß des Autors, eines just emeritierten Mediävisten und Byzantinisten der Universität Leipzig, zeugt. Nur ein gutes Buch schreiben kann er nicht, weil er dem Leser einen Zettelkasten über den Kopf stülpt, in welchem er selber längst die Übersicht verloren hat. Hier hätte straffe Lektorierung eingreifen müssen, die aber kaum oder nur oberflächlich stattfand, wie zahlreiche groteske Fehler vermuten lassen.

    Ein einzigartiges Panorama der europäischen Geschichte verheißt der Klappentext, aber davon kann keine Rede sein. Schon der Titel ist so abgegriffen wie ein alter Groschen: 9.570 Mal weist das Internet den Titel Kreuz und Halbmond für andere Bücher, Artikel etc. aus. Inhaltlich ist nur schwer auszumachen, worüber der Autor eigentlich schreibt: Seine Schilderung osmanisch-christlicher Konflikte in Südosteuropa endet im späten 17. Jahrhundert, und bis dahin gab es keine Türkenkriege. Die fingen erst später an – als Aufstände der unterworfenen Völker und als veritable Kriege gegen das Osmanische Imperium, vor allem von Russland geführt, zuletzt als der siegreiche Kampf der vereinten Balkanstaaten, die 1912 die Türkei fast ganz aus Europa hinausdrängten.

    Matschkes Buch hat sehr wohl ein Konzept, sogar ein schlüssiges. Es setzt im späten 13. Jahrhundert ein, also nach dem Ende der großen Kreuzzüge, die aber als rechtfertigende Lebenslüge weiterwirkten. Das provozierte nach Aussage des Autors die islamische Revanche, und beide Ideologien eskalierten zum unversöhnlichen Gegensatz zwischen türkischer Weltreichsidee und christlichem Universalismus. Das klingt gut, ist historisch aber nicht zu belegen, da es sich um literarische Kategorien handelt. Das weiß Matschke natürlich, weswegen er es bei der bloßen Konstatierung belässt. Die zahllosen Feldzüge, Schlachten, Zusammenstöße etc., die er im Detail abhandelt, waren weder Kreuzzüge noch Türkenkriege. Sie waren westliche Versuche, an die Land- und Beutegewinne der großen Kreuzzüge anzuknüpfen, was aber an innerer Uneinigkeit scheiterte und den Osmanen Gelegenheit gab, ihrerseits in Südosteuropa vorzurücken und fast ohne Gegenwehr immer neue Gebiete einzunehmen.

    Matschke hat in seiner beeindruckenden Bibliographie keine einzige Quelle aus den betroffenen Ländern, dem von den Osmanen fast zur Gänze beherrschten Balkan, verwendet. So etwas rächt sich: So zählt er etwa die angebliche Schlacht auf dem Amselfeld von 1389 "zu den denkwürdigsten Ereignissen der Balkangeschichte", fügt aber sofort hinzu, dass "über ihren Verlauf und ihren Ausgang fast nichts gesagt werden kann". Natürlich nicht – weil diese Schlacht nur in ungezählten Heldensagen ausgetragen wurde, während authentische Zeugnisse über sie fehlen. Ein paar Seiten weiter erwähnt er die Niederlage der Osmanen gegen die Mongolen 1402 und behauptet, danach hätten die Balkan-Christen die Chance gehabt, "sich von der osmanischen Herrschaft zu befreien". Und warum taten sie es nicht? Vor der Antwort flüchtet der Autor in byzantinische Mystik.

    Matschke weiß wenig vom Balkan, was groteske Fehler und unverständliche Auslassungen zeitigt. 1463 lässt er allein die Einwohner des bosnischen Jajce zu den Osmanen übergehen, wo doch in diesem Jahr nahezu alle Bosnier ohne Zwang zum Islam konvertierten. Durch ihre bogomilische Staatskirche waren sie dafür prädestiniert, denn die hatte ihnen Dauerkonflikte mit dem Papst und dessen Kettenhunden, den Ungarn, eingebracht, und schlimmer als diese konnten die Osmanen auch nicht sein. Dass die Bosnien benachbarte Hercegovina erst 20 Jahre später und Montenegro niemals von den Osmanen eingenommen wurden, erwähnt der Autor gar nicht, dabei hätte das viel über Taktik und Strategie der angeblichen Eroberer ausgesagt.

    Am 29. Mai 1453 war die byzantinische Reichshauptstadt Konstantinopel erobert worden, und dieser Verlust ließ nochmals einen Ruck durch Westeuropa gehen. Aber er blieb folgenlos, da sich beide Seiten aufeinander einstellten: Die Osmanen wurden Seefahrer und damit noch erfolgreicher. Wer ihnen ausgeliefert oder von ihnen bedroht war, fand einen Modus vivendi mit ihnen – der nicht einmal durch neue Verluste, etwa den Ungarns nach der Schlacht von Mohác 1526, gestört wurde. Erst als die Osmanen zweimal versuchten, Wien einzunehmen, 1529 und 1683, regte sich entschlossene Gegenwehr, die dann auch erfolgreich war. Generell grenzte man sich von einander ab, durch die Habsburgische Militärgrenze im frühen 16. Jahrhundert, und probte normalen diplomatischen Umgang miteinander. Das war umso einfacher, als der ökonomisch stets starke Westen die hinderlichen Ritterrüstungen ablegte, militärisch aufholte und die lange Agonie des Osmanischen Imperiums einsetzte – das im frühen 17. Jahrhundert nicht einmal die Chance des 30-jährigen Kriegs mehr nutzen konnte, der das kriegerische Zentrum weit vom Balkan wegverlegte.

    So sieht Matschkes historisches Szenario aus, das von ihm gnadenlos verwirrt und zerredet wird. Auf fast jeder Seite kommt dieser Autor vom Hölzchen auf Stöckchen, zitiert endlos Briefe, Romane, Verträge, Papst-Bullen und was er sonst noch in Archiven aufstöberte. Zur Sache trägt das nichts bei: Weder wird näher erklärt, wie die osmanische Theokratie funktionierte, noch findet sich etwas von der Geschichtsschreibung "aus dem Blickwinkel der einfachen Bevölkerung", die der Verlag versprach. Das mutet eher wie eine Parodie auf moderne Historiographie an, die von dieser logozentrischen Fixiertheit längst abgekommen ist und sich für Mentalitäten, Kulturtransfer, Herrschaftsideologie, Utopien etc. interessiert.

    Wolf Oschlies über Klaus-Peter Matschke: "Das Kreuz und der Halbmond – Die Geschichte der Türkenkriege". Der Band ist im Verlagskonsortium Patmos, Artemis & Winkler mit Sitz in Düsseldorf und Zürich erschienen, 420 Seiten, 28 Euro.