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Klaus Werner und Hans Weiss: Schwarzbuch Markenfirmen. Die Machenschaften der Weltkonzerne.

Für Großkonzerne sind harte Zeiten angebrochen: Wenn sie nicht gerade von der Konkurrenz geschluckt werden, hacken die Globalisierungskritiker auf den Multis herum. Zwei österreichische Journalisten haben jetzt noch einen draufgesetzt: Mit ihrem "Schwarzbuch Markenfirmen" durchleuchten Klaus Werner und Hans Weiss "Die Machenschaften der Weltkonzerne". Sie haben genau hingeschaut, unter welchen Bedingungen beliebte Markenartikel in Entwicklungsländern produziert werden. Hans Weiss hat sich bereits mit seinem Medikamentenführer "Bittere Pillen" in der Pharmaindustrie wenig Freunde gemacht. Klaus Werner nahm im letzten Jahr mit seinem Buch "Prost Mahlzeit" die Lebensmittelindustrie aufs Korn. Auch in ihrem gemeinsamen Schwarzbuch wird sich kein Konzern gerne wiederfinden.

Jesko Hirschfeld | 10.09.2001
    "Dieses Buch wird Sie wütend machen" - heißt es in der Einleitung, und das Buch hält Wort. Klaus Werner und Hans Weiss zeigen uns das Gesicht einer Marktwirtschaft, die über Leichen geht: Dort, wo viele Weltkonzerne einkaufen, sind Gesundheit, die Umwelt, ein Menschenleben häufig nicht viel wert - nicht viel Geld wert jedenfalls. Mit ihrem "Schwarzbuch Markenfirmen" haben die beiden Journalisten einen Sachbuch-Krimi abgeliefert, den man so schnell nicht wieder aus der Hand legt - und schlimmer: den man so schnell nicht wieder vergisst. Da steht man dann wütend vor dem Süßwarenregal, in der Spielzeugabteilung oder an der Tankstelle und man hat diese Bilder im Kopf: die ölgetränkte Mondlandschaft, die brennende Fabrik ohne Notausgang, den siebenjährigen Plantagenarbeiter. Schön ist das nicht. Trotzdem soll einem das Buch den Spaß nicht verderben - im Gegenteil:

    Es soll Ihre Lust wecken, als Konsument aufmerksam und vielleicht sogar aktiv zu werden. Denn immer mehr Menschen verbinden ihren Genuss mit der Forderung nach menschenwürdigen Lebensstandards auch am anderen Ende der Produktionskette.

    Menschenrechtsgruppen, Globalisierungskritiker und engagierte Publizisten aus aller Welt erheben schon lange schwere Vorwürfe gegen die Produktionsmethoden internationaler Konzerne: Duldung von Kinderarbeit, Umweltzerstörung, die Finanzierung von Bürgerkriegen, lebensgefährliche Arbeitsbedingungen, Ausbeutung von Beschäftigten bis hin zur Sklaverei und sexuelle Belästigungen seien an der Tagesordnung. Klaus Werner und Hans Weiss haben diese Berichte gesammelt, nachrecherchiert und aktualisiert. Die Ergebnisse sind nach Branchen geordnet: Von Elektronik und Erdöl über Lebensmittel und Medikamente bis Spielzeug und Sportbekleidung. Das hintere Drittel des Buches schließlich bietet einen alphabetischen Firmenindex, in dem sich keines der fünfzig aufgeführten Unternehmen gerne wiederfinden wird. So mancher liebgewonnene Markenartikel rückt dabei in ein neues Licht.

    Wer zum Beispiel kennt nicht die Schokolade mit der lila Kuh? Der Kakao dafür stammt - nach Angaben der Firma Suchard - aus dem westafrikanischen Staat Elfenbeinküste. Das Kapitel ”Lebensmittel” erzählt aus dem Leben zweier Plantagenarbeiter vor Ort:

    Abou und Adama sind heute zehn Jahre alt. Seit sie vor drei Jahren von ihrem nunmehrigen Besitzer käuflich erworben wurden, schuften die beiden Jungen mit zwanzig anderen Kindern im Alter von acht bis vierzehn Jahren auf dessen Plantagen. Sieben Tage die Woche, von sechs Uhr morgens bis neun Uhr abends, ohne Pause. Ohne Bezahlung. Von Hunden bewacht, mit Peitsche und Machete bedroht, rackern die Kinder dort in der glühenden Hitze. Barfuß treiben sie den Handpflug in die Erde, wer sich verletzt, dem wird kurz auf die Wunde gespuckt. Als Abou zu fliehen versucht, muss er zur Strafe den ganzen Tag lang nackt und mit auf den Rücken gebundenen Händen in der Sonne sitzen. Nach der Arbeit müssen die anderen Jungen mit ansehen, wie ihn Bamba mit der Gerte auspeitscht.

    Ein ähnliches Schicksal wie Abou und Adama teilen nach Schätzungen der Hilfsorganisation Terre des Hommes etwa 20.000 Kinder an der Elfenbeinküste. Sie wurden aus Mali verschleppt, um auf den Plantagen zu arbeiten. Die Preise für Kakao sind im Keller, da bleibt für die Erzeuger wenig Spielraum. Der Weltkakaomarkt wird bestimmt von wenigen großen Abnehmern: Nestlé, Mars, Philip Morris/Kraft Jacobs Suchard und Ferrero. Werner und Weiss sind zu vorsichtig, um einzelnen Konzernen direkt die Ausbeutung von Kindersklaven vorzuwerfen. Sie halten den großen Schokoladenherstellern allerdings vor, ihre beherrschende Marktmacht nur für weiteren Druck auf die Preise zu nutzen, das Elend der Kleinbauern und Landarbeiter damit aber wissentlich in Kauf zu nehmen.

    Im Fall von Schokolade ist es für den Verbraucher in Deutschland inzwischen ganz einfach, solchen Praktiken eine Absage zu erteilen. Die Autoren raten dazu, auf Produkte aus fairem Handel umzusteigen, wie sie beispielsweise das ”Transfair”-Siegel garantiert. Die Fair-Handels-Organisationen zahlen den Produzenten sehr viel höhere Preise und überwachen die Einhaltung humaner Arbeitsbedingungen. Das gleiche gilt bei Kaffee und Bananen: Es gibt durchaus Alternativen zu der Produktion von Jacobs und Nescafé, Chiquita und Dole.

    Schwieriger sieht es beispielsweise bei Sportschuhen oder beim Benzin aus: Da ist ein Hersteller nicht besser als der andere - auch wenn mit aufwendigen Werbekampagnen am Image gefeilt wird. In solchen Fällen hilft kein Umstieg oder Boykott, die Rubrik "Was Sie tun können" rät zu direktem Protest. Möglichst laut, öffentlich und gemeinsam. Oder per Email, weshalb die Adressen der Konzerne gleich mitgeliefert werden. Das Schwarzbuch konzentriert sich in seiner Kritik auf Markenfirmen, was nicht heißt, dass No-Name-Produkte unter besseren Bedingungen hergestellt werden. Werner und Weiss nennen für ihren Ansatz pragmatische Gründe:

    Marken gründen ihre Macht auf ein mit Werbemilliarden gepflegtes Image. Genau dort sind sie angreifbar. Marken bieten aber nicht nur ein effektives Angriffsziel für kritische Konsumenten. Sie sind 'Trendsetter' der Weltwirtschaft. Oft näht ein und dieselbe indonesische Arbeiterin nacheinander die Etiketten von Nike, Reebok und eben einer unbekannten Firma auf die jeweiligen Sportschuhe. Es liegt aber in der Macht der großen Labels mit ihren Tausenden Produktionsstandorten, über die Bedingungen zu entscheiden, unter denen das geschieht.

    Das Kapitel "Markenmacht und Menschenrechte" bietet einen Schnellkurs in zeitgenössischer Marktwirtschaft. Ein kurzer Absatz erklärt die Verschuldungskrise der Dritten Welt, ein anderer die Konzernkritik der sogenannten Globalisierungsgegner - und das alles in einer sachlich präzisen Sprache, trotzdem spannend und anschaulich geschrieben.

    Das "Schwarzbuch Markenfirmen" ist das richtige Buch zur richtigen Zeit. Es bereichert die oftmals wenig konkret geführte Globalisierungsdebatte um harte Fakten und anschauliche Beispiele. Es ergänzt perfekt das andere aktuelle Standardwerk zur Markenkultur: Naomi Kleins "No Logo". Während die kanadische Journalistin Naomi Klein den Fokus eher auf der Frage richtet, was die Marken mit den Konsumenten machen, liefern Werner und Weiss ein überzeugendes Bild davon, was Markenfirmen bei der Produktion anrichten.

    In diesem Buch geht es nicht zuletzt auch um das Kräftemessen zwischen Markt und Politik. Wie stark die Konzentration von Macht in privaten Händen inzwischen geworden ist, zeigt die Liste der 100 größten Wirtschaftsmächte der Welt. Neben 49 Nationalstaaten stehen 51 Großkonzerne. Da rangieren General Motors vor Dänemark; Wal-Mart und Daimler Chrysler vor Norwegen und Indonesien; Volkswagen und Siemens vor Malaysia und Ungarn. Die Leser sollen begreifen, dass sie nicht nur bei politischen Wahlen ihre Stimme abgeben, sondern auch jeden Tag im Supermarkt. Kaufentscheidungen bestimmen darüber, wie produziert wird. "Zurückeroberung der Macht" nennen das Werner und Weiss.

    Die Konzerne sind alarmiert: Ihr Machtvorsprung, den sie seit dem Fall des Eisernen Vorhangs gegenüber politischen Institutionen errungen haben, ist nur ein Etappensieg. Es beginnt sich eine zivilgesellschaftliche Bewegung zu regen, die auch in Europa zunehmend lauter und wütender wird. So wie die Macht politischer Vertreter eine vom Volk verliehene Macht ist, ist die Macht der Konzerne nur von den Konsumenten geborgt. Mit jedem Bild von versklavten Kindern, mit jedem Beitrag über geschundene Arbeiter, mit jedem Bericht über missbrauchte Patienten oder zerstörte Naturschönheiten bröckelt ein Stück von ihr ab.

    Mit seinem Buch "Bittere Pillen" hat Hans Weiss 1983 bereits ein Standardwerk zur Arzneimittelsicherheit vorgelegt, das inzwischen über zwei Millionen Mal verkauft ist. Das "Schwarzbuch Markenfirmen" hat das Zeug zum Standardwerk für Unternehmensethik. Aber nur wenn es genug Leser richtig wütend macht, wird mancher Konzern in der nächsten Auflage fehlen.

    Das Buch "Schwarzbuch Markenfirmen - Die Machenschaften der Weltkonzerne" von Klaus Werner und Hans Weiss ist Ende August in der Franz Deuticke Verlagsgesellschaft, Wien und Frankfurt am Main, erschienen, hat 350 Seiten und kostet 39,90 DM.