Alle paar Jahre schreibt ein Kritiker, dieser oder jener junge Pianist sei "der neue Glenn Gould". Oh weh, denkt man dann, da wird uns sicher wieder einmal ein unreifer Künstler als genialer Exzentriker angedreht. Auch über den polnisch-ungarischen, seit langem in Frankreich lebenden Pianisten Piotr Anderszewski war dieser fatale Satz zu lesen; und noch einiges mehr: Ein Polnischer Punker sei er, so die New York Times, ein Bohèmien, so die Welt, ein Enfant terrible, so die FAZ. Misstrauisch argwöhnt man, dass sich hier einer interessant machen will – oder: dass er interessant gemacht werden soll. Im Fall von Piotr Anderszeski ist dieses Misstrauen glücklicherweise gänzlich unberechtigt. Gewiss: Man spürt an jedem Ton, dass hier kein abgeklärter und erst recht kein naiver Künstler am Werk ist, sondern ein Perfektionist mit ehrgeizigem Gestaltungswillen. Anderszewskis Spiel ist aber nicht nur hochinteressant, was ja für sich genommen noch kein uneingeschränktes Lob ist, sondern auch hochintelligent und, wichtiger noch: hochsensibel. In seiner neuen Doppel-CD, erschienen bei Virgin, wird ein Konzertabend in der New Yorker Carnegie-Hall vom vergangenen Dezember dokumentiert, der diese Tugenden höchst eindrucksvoll unter Beweis stellt. Das Programm führt, wie man so sagt, quer durch den Gemüsegarten: Bach, Schumann, Janacek und Beethoven. Hier der Kopfsatz aus Beethovens später Klaviersonate As-Dur op. 110, einer der schönsten und rätselhaftesten Sätze aus Beethovens Sonaten, lyrisch, innig, gesanglich – und doch voll seltsamer Brüche.
MUSIK Nr. 1 Beethoven: Klaviersonate As-Dur op. 110,
1. Satz
CD 2
Take 5, 6'37
Der erste Satz Moderato cantabile aus Beethovens später Klaviersonate As-Dur op. 110. Piotr Anderszewski spielte sie in einem Konzert in der New Yorker Carnegie Hall, von dem soeben ein Live-Mitschnitt als Doppel-CD bei Virgin Classics erschienen ist. Vor mehr als zehn Jahren hat er dieses Werk auf einer seiner ersten CDs bereits eingespielt; seine Interpretation hat, trotz oder wegen der Live-Situation an technischer Perfektion und überlegener Gestaltungskraft hinzugewonnen. Mit Beethoven hat sich Anderszewski bereits mehrfach auf CD auseinandergesetzt. Mit einer Einspielung der Diabelli-Variationen hat er sein vielbeachtetes Platten-Debüt gegeben, und seine Interpretation der Bagatellen belegte ein weiteres Mal seine Vorliebe für die vergeistigte Exzentrik des späten Beethoven. Meisterhaft ist, wie genau Anderszewski mit Anschlag, Timing und Lautstärkeregie die kompositorischen Details herausarbeitet - und vor allem, dass er darüber niemals den großen Bogen aus dem Auge verliert. Sein Spiel ist geradezu überwach; die Musik schlicht und herzlich einfach nur strömen zu lassen, ist allerdings seine Sache eher nicht. Zur immer ein wenig bizarren Welt des späten Beethoven passt dieser Ansatz bestens, zu Johann Sebastian Bach vielleicht nicht ganz so gut. In der Partita Nr. 2 c-moll, die am Beginn des Konzerts in der Carnegie-Hall stand, gerät Anderszewskis Spiel gelegentlich in die Nähe zum Manieristischen. Das abschließende Capriccio der c-moll-Partita jedoch gelingt ihm ausgezeichnet: Klar und strukturbetont, energiegeladen, scharfkantig und mit mitreißendem Drive.
MUSIK Nr. 2 Bach: Partita Nr. 2 c-moll,
BWV 826
Capriccio
CD 1
Take 7, 3'35
Begeistert aufgenommen vom New Yorker Publikum wurde dieses Konzert in der Carnegie-Hall am 3. Dezember vergangenen Jahres. Piotr Anderszewski spielte den letzten Satz, Capriccio, aus der c-moll-Partita, Werkeverzeichnis 826, von Johann Sebastian Bach. Geboren wurde Anderszewski 1969 in Warschau, wo er auch ausgebildet wurde. Später studierte er bei den Klavierlegenden Leon Fleisher und Murray Perrahia. Aufsehen erregte er, als er, 21-jährig, beim Klavierwettbewerb in Leeds in der letzten Runde mitten im Spiel aufhörte und von der Bühne ging. Anderszewski, der aufgrund seines Spiels in den vergangenen Runden bereits als sicherer Sieger gehandelt wurde, war mit seiner Leistung unzufrieden und wollte nun auf keinen Fall mit einem Trostpreis abgespeist werden. Hier spielt er das Scherzino aus Robert Schumanns "Faschingsschwank in Wien" op. 26 – eine weitere Kostprobe aus seiner neuen, bei Virgin erschienen CD.
MUSIK Nr. 3 Schumann: Faschingsschwank aus Wien, op. 26
Scherzino
CD 1
Take 10, 2'05
Der dritte Satz aus Robert Schumanns "Faschingsschwank aus Wien", gespielt von Piotr Anderszewski. Live-Mitschnitte von Konzerten haben natürlich Vor- und Nachteile. Man hört Applaus und Saalgeräusche und bekommt so etwas von der knisternden Atmosphäre mit. Die Zusammenstellung der Werke achtet wenig auf editorischen Wert oder musikgeschichtliche Folgerichtigkeit, dafür kann man die zwei CDs gerade wegen der bunten Kontraste zwischen den Komponisten hintereinander von vorn bis hinten durchhören, ohne irgendwie zu ermüden. Ohnehin drängt sich einem immer wieder das Adjektiv "hellwach" auf, wenn man Piotr Anderszewski spielen hört. Der Höhepunkt in diesem Sinne ist auf seiner aktuellen CD sicherlich Leos Janaceks Klavierzyklus "Im Nebel". Faszinierend ist nicht nur die Vielfalt an Klangfarben, mit denen Anderszewski diesen hochoriginellen Miniaturen nachspürt, sondern vor allem die emotionale Intensität, zu der er hier findet.
MUSIK Nr. 4 Janacek: Im Nebel, 1. Satz
CD 1
Take 4, 2'04
Piotr Anderszewski in der New Yorker Carnegie-Hall. Zuletzt spielte er den ersten Satz aus dem Klavierzyklus "Im Nebel" von Leos Janacek. Erschienen ist der Live-Mitschnitt dieses Konzerts beim Label Virgin Classics auf zwei CDs, empfohlen hat sie Ihnen, im Deutschlandfunk, Bernhard Neuhoff. Noch einen schönen Feiertag!
CD "Piotr Anderszewski live at Carnegie Hall”
Komponisten: Bach - Schumann - Janácek - Beethoven - Bartók
(Virgin Classics 50999 267291 2 1; LC 07873)
MUSIK Nr. 1 Beethoven: Klaviersonate As-Dur op. 110,
1. Satz
CD 2
Take 5, 6'37
Der erste Satz Moderato cantabile aus Beethovens später Klaviersonate As-Dur op. 110. Piotr Anderszewski spielte sie in einem Konzert in der New Yorker Carnegie Hall, von dem soeben ein Live-Mitschnitt als Doppel-CD bei Virgin Classics erschienen ist. Vor mehr als zehn Jahren hat er dieses Werk auf einer seiner ersten CDs bereits eingespielt; seine Interpretation hat, trotz oder wegen der Live-Situation an technischer Perfektion und überlegener Gestaltungskraft hinzugewonnen. Mit Beethoven hat sich Anderszewski bereits mehrfach auf CD auseinandergesetzt. Mit einer Einspielung der Diabelli-Variationen hat er sein vielbeachtetes Platten-Debüt gegeben, und seine Interpretation der Bagatellen belegte ein weiteres Mal seine Vorliebe für die vergeistigte Exzentrik des späten Beethoven. Meisterhaft ist, wie genau Anderszewski mit Anschlag, Timing und Lautstärkeregie die kompositorischen Details herausarbeitet - und vor allem, dass er darüber niemals den großen Bogen aus dem Auge verliert. Sein Spiel ist geradezu überwach; die Musik schlicht und herzlich einfach nur strömen zu lassen, ist allerdings seine Sache eher nicht. Zur immer ein wenig bizarren Welt des späten Beethoven passt dieser Ansatz bestens, zu Johann Sebastian Bach vielleicht nicht ganz so gut. In der Partita Nr. 2 c-moll, die am Beginn des Konzerts in der Carnegie-Hall stand, gerät Anderszewskis Spiel gelegentlich in die Nähe zum Manieristischen. Das abschließende Capriccio der c-moll-Partita jedoch gelingt ihm ausgezeichnet: Klar und strukturbetont, energiegeladen, scharfkantig und mit mitreißendem Drive.
MUSIK Nr. 2 Bach: Partita Nr. 2 c-moll,
BWV 826
Capriccio
CD 1
Take 7, 3'35
Begeistert aufgenommen vom New Yorker Publikum wurde dieses Konzert in der Carnegie-Hall am 3. Dezember vergangenen Jahres. Piotr Anderszewski spielte den letzten Satz, Capriccio, aus der c-moll-Partita, Werkeverzeichnis 826, von Johann Sebastian Bach. Geboren wurde Anderszewski 1969 in Warschau, wo er auch ausgebildet wurde. Später studierte er bei den Klavierlegenden Leon Fleisher und Murray Perrahia. Aufsehen erregte er, als er, 21-jährig, beim Klavierwettbewerb in Leeds in der letzten Runde mitten im Spiel aufhörte und von der Bühne ging. Anderszewski, der aufgrund seines Spiels in den vergangenen Runden bereits als sicherer Sieger gehandelt wurde, war mit seiner Leistung unzufrieden und wollte nun auf keinen Fall mit einem Trostpreis abgespeist werden. Hier spielt er das Scherzino aus Robert Schumanns "Faschingsschwank in Wien" op. 26 – eine weitere Kostprobe aus seiner neuen, bei Virgin erschienen CD.
MUSIK Nr. 3 Schumann: Faschingsschwank aus Wien, op. 26
Scherzino
CD 1
Take 10, 2'05
Der dritte Satz aus Robert Schumanns "Faschingsschwank aus Wien", gespielt von Piotr Anderszewski. Live-Mitschnitte von Konzerten haben natürlich Vor- und Nachteile. Man hört Applaus und Saalgeräusche und bekommt so etwas von der knisternden Atmosphäre mit. Die Zusammenstellung der Werke achtet wenig auf editorischen Wert oder musikgeschichtliche Folgerichtigkeit, dafür kann man die zwei CDs gerade wegen der bunten Kontraste zwischen den Komponisten hintereinander von vorn bis hinten durchhören, ohne irgendwie zu ermüden. Ohnehin drängt sich einem immer wieder das Adjektiv "hellwach" auf, wenn man Piotr Anderszewski spielen hört. Der Höhepunkt in diesem Sinne ist auf seiner aktuellen CD sicherlich Leos Janaceks Klavierzyklus "Im Nebel". Faszinierend ist nicht nur die Vielfalt an Klangfarben, mit denen Anderszewski diesen hochoriginellen Miniaturen nachspürt, sondern vor allem die emotionale Intensität, zu der er hier findet.
MUSIK Nr. 4 Janacek: Im Nebel, 1. Satz
CD 1
Take 4, 2'04
Piotr Anderszewski in der New Yorker Carnegie-Hall. Zuletzt spielte er den ersten Satz aus dem Klavierzyklus "Im Nebel" von Leos Janacek. Erschienen ist der Live-Mitschnitt dieses Konzerts beim Label Virgin Classics auf zwei CDs, empfohlen hat sie Ihnen, im Deutschlandfunk, Bernhard Neuhoff. Noch einen schönen Feiertag!
CD "Piotr Anderszewski live at Carnegie Hall”
Komponisten: Bach - Schumann - Janácek - Beethoven - Bartók
(Virgin Classics 50999 267291 2 1; LC 07873)