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Klaviermusik
Sheila Arnold spielt Werke von Schubert

Sie gehören zweifellos nicht nur zu Schuberts beliebtesten Werken für Klavier, sondern markierten den Beginn einer neuen musikalischen Form: die vier Impromptus op. 90 D 899. Entsprechend viele Einspielungen und Interpretationsansätze gibt es. Sheila Arnold hat die Impromptus nun zusammen mit der großen G-Dur-Sonate op. 78 eingespielt – mit einer durchaus interessanten Sichtweise.

Von Klaus Gehrke | 24.01.2016
    Klaviertasten
    Symbolbild: Klaviertasten (Imago / AFLO)
    Knapp eineinhalb Jahre vor seinem frühen Tod begann Schubert im Sommer 1827 mit der Komposition der vier Impromptus; zeithistorisch betrachtet entstanden sie noch am Ende der Wiener Klassik, gehören in ihrer Tonsprache bereits der frühen Romantik an. Im Booklet der CD beschreibt Sheila Arnold ihre sehr persönliche Sicht auf die vier Stücke, die sie seit ihrer Kindheit begleitet haben: "Insbesondere beim Impromptu in c-Moll berührt mich die schutzlose Darlegung einer menschlichen Seele, offenbar an der Schwelle des Todes", erläutert die Pianistin den Anfang des Stückes. "Eine klare Forderung zu Beginn. Durch die naturgegebene Dauer des Tones bei einem Fortepiano erübrigt sich jeder Zweifel über die Länge dieser Anfangsoktave, die mit einer Fermate versehen ist. Dort könnte man getrost so lange lauschen, bis der Ton vollends verklungen ist. Und das sollte auch so sein. Das Phänomen ‚Zeit' wird in dieser Musik ohnehin neu definiert."
    Musikalische Seelenabgründe
    Schuberts Tempovorgabe "Allegro molto moderato" für das erste Impromptu nimmt Sheila Arnold sehr ernst; und mit einer Länge von knapp über zehn Minuten gehört ihre Einspielung zu den eher langsamen Aufnahmen, die aber enorm viel interpretatorische Tiefe aufweist. Das Gleiche gilt für das berühmte Impromptu Nr. 2 in Es-Dur, das die Pianistin zunächst mit einem quirligen Bächlein im sonnigen Frühlingsmorgen vergleicht. Die heiter tänzerische Stimmung wird dann jedoch durch den leidenschaftlich aufbegehrenden und wild modulierenden Mittelteil zunächst getrübt und am Ende in dramatische Tiefen gestürzt.
    Leidenschaft für Konzertflügel und Fortepiano
    Dass Sheila Arnold im Booklet ihrer Schubert-CD mehrfach vom Fortepiano spricht, hat seinen Grund: denn die Pianistin spielt auf dem modernen Konzertflügel ebenso gern wie auf dessen historischem Vorläufer. Seit ihrer erfolgreichen Teilnahme beim internationalen Clara-Haskil-Wettbewerb 1995 gibt Sheila Arnold Konzerte im In- und Ausland, ist eine gefragte Kammermusikpartnerin und arbeitet mit renommierten Dirigenten und Orchestern zusammen. Zudem ist sie seit zehn Jahren als Professorin an der Kölner Musikhochschule tätig. Ihr umfangreiches Repertoire beinhaltet sowohl Kompositionen des 18. und 19. Jahrhunderts als auch zeitgenössische Werke. Das spiegelt sich ebenso wie ihre intensive Beschäftigung mit dem Fortepiano in den bisherigen CD-Aufnahmen wider: Beispielsweise spielte Sheila Arnold die Préludes op. 28 von Frédéric Chopin auf dem historischen Instrument ein. Für die nun vorliegende Schubert-Produktion wählte sie zwar einen modernen Flügel; dennoch fließen in ihrer Interpretation durchaus Erfahrungen aus der historisch informierten Aufführungspraxis mit ein.
    Weltvergessene "Fantasie"
    Als Pendant zu den vier Impromptus op. 90 wählte die Pianistin Schuberts Sonate G-Dur op. 78 D 894, die 1826 entstand: "In ihrer Traumverlorenheit steht die Sonate G-Dur einzigartig in Schuberts Schaffen da", schreibt Sheila Arnold; "der weltvergessene Beginn des ‚Molto moderato e cantabile' hat keinen Anfang. Flächig, ist er eher in Klang geformte Stille, so als wenn wir das Privileg hätten, die Ewigkeit zu spüren. Er hebt an, die strenge Form auflösen zu wollen – breitet sich aus, nimmt sich Zeit und – lauscht." Dennoch gelingt es der Interpretin, trotz aller Ruhe, die die Musik ausstrahlt, von Anfang an die darunter brodelnde Spannung hörbar zu machen.
    Berührende Interpretation
    Traumvergessene Welten finden sich auch im mit ‚Menuetto' überschriebenen dritten Satz; dort treffen sie zum Teil recht schroff auf sehr energische Passagen. An die klassischen Menuette, wie sie in Joseph Haydns oder Wolfgang Amadeus Mozarts Sonaten zu finden sind, erinnert dieses Stück nur noch im formalen Aufbau. Sowohl die Sonate als auch die vier Impromptus sind alles andere als pianistische Leichtgewichte, die zudem interpretatorisch wie fast alle späten Klavierwerke Schuberts auf einem schmalen Grat zwischen heiterer Zuversicht und tiefster Verzweiflung liegen. Sheila Arnold gelingt es, mit technisch souveräner Leichtigkeit Weltvergessenheit und seelische Abgründe ohne jegliche vordergründige Dramatisierung sichtbar zu machen. Ihre Interpretation dieser emotionalen Kompositionen Schuberts dürfte kaum jemanden unberührt lassen.
    Sheila Arnold, Klavier: "Franz Schubert Impromptus · Sonate in G-Dur", Label: avi-music, Bestellnummer: 8553336