Und in einem Kloster wie der Kartause von Valldemossa auf Mallorca lebte man ohnehin bescheiden. Karge Zellen, undichte Fenster, eine harte Pritsche: Heute kann man die Unterkunft besichtigen und ahnt, wie unwohl sich Chopin hier im Winter 1838/39 gefühlt haben muss, wenn die Kälte durch die feuchten Gemäuer langsam in die Glieder kroch... Und doch hat Chopin ausgerechnet in diesem gichtfreundlichen Hausklima seine eleganten, leichtfüßigen Préludes fertiggestellt.
Préludes, die auch etwas weniger "wohltemperiert", also etwas spröder klingen, da sie auf einem historischen Flügel aufgenommen worden sind, die möchte ich Ihnen heute vorstellen. Außerdem zwei weitere Chopin-Alben, die zu Beginn des Chopin-Jahres 2010 auf den Markt gekommen sind. Falk Häfner begrüßt Sie dazu am Mikrofon.
Das ist nicht der strahlende, brilliant-metallische Klang eines modernen Flügels! Das ist der Klang eines Hammerflügels der Firma Erard, gebaut etwa 1839 in Paris. Spürbar rauer ist sein Tonfall, ein wenig matter der Klang, mit mehr Schwebungen und weniger Reinheit in der Stimmung. Darauf Chopin zu spielen, ist eine Herausforderung, zumindest für Pianisten, die Chopins Musik als elegant perlende Salonmusik im Ohr haben. Die in Köln lebende Pianistin Sheila Arnold aber hat sich ganz bewusst dafür entschieden. Denn sie ist zwar mit dem modernen Instrumentarium groß geworden. Doch ihr zweite große Liebe gilt historischen Tasteninstrumenten. Und der hier zu hörende Erard-Flügel von 1839 passt genau zur Entstehungszeit der von ihr eingespielten Chopin-Préludes. Ungewöhnlich erdig wirkt darauf die Musik Chopins. Doch das liegt längst nicht nur an der Hardware, also am Instrument.
Ausgesprochen frei und sprechend nimmt Sheila Arnold die Einleitung und das erste Thema der Ballade in g-moll von Frédéric Chopin. Wie auch in einigen der von ihr eingespielten Préludes gerät ihr Tempo allerdings so langsam, dass sie sich darin zu verlieren droht. Zumal sie immer wieder rubati, also Verzögerungen einbaut, die beim Hören kaum noch die rhythmische Struktur nachvollziehen lassen. Das, was die gebürtige Inderin da mit der g-Moll-Ballade veranstaltet, ist tatsächlich eine neue Geschichte: zerfasert, zergrübelt, beinah wie eine Improvisation über das Chopinsche Original. Aber wie viel Freiheit ist angemessen bei solcher Art von Musik? - Ein verbindliches Regelwerk dazu - außerhalb des Notentextes - gibt es nun mal nicht.
Der französische Pianist Alexandre Tharaud scheint es da mit der Regel "Weniger ist mehr" zu halten. Auch er hat die g-Moll-Ballade eingespielt. Statt fast elf Minuten wie Sheila Arnold braucht Alexandre Tharaud aber nur neun Minuten dafür und liegt damit durchaus im zeitlichen Mittelfeld, gemessen an renommierten Kollegen wie Horowitz, Richter, Rubinstein oder Zimerman.
"Journal intime", also Tagebuch, so betitelte der französische Pianist Alexandre Tharaud sein neues Album. Im Booklet dazu beschreibt er, wie seine frühere Lehrerin ihm beim Spielen ihre Hand auf seinen Arm gelegt habe, damit er sich nicht von der Musik fortreißen ließ. Ein Phänomen, das wohl jeder Klavierspieler kennt: Hat man den Notentext in den Fingern, spätestens dann will man die Interpretation auch mit Gefühl beladen. Und nichts ist bei Chopin wohl schwerer, als ein gesundes Maß an Freiheit, gleichzeitig aber auch an Texttreue zu finden. Alexandre Tharaud nimmt die Partitur sehr ernst. Sein Spiel ist subtil, persönlich, doch nicht zügellos. Für seine Platte hat er ganz unterschiedliche Werke aus Chopins großem pianistischen Schaffen zusammengetragen: Stücke, die ihn von Kindesbeinen an begleitet haben: außer den Balladen Nr. 1 und 2 auch einige Nocturnes, einen unbekannteren Marsch und mehrere Mazurken. Der Titel "Journal intime" ist dafür etwas hochgegriffen und scheint vor allem Marketing-Gründe zu haben. Zumal man im Begleitheft keine wirklich privaten Details aus dem Leben Tharauds erfährt. - Gott sei Dank! Möchte man hinzufügen. Und sich fragen, ob der Wechsel Tharauds vom renommierten Label harmonia mundi und dessen seriösen Covergestaltungen hin zu virgin classics und deren eher homestoryartigen Vermarktungsstrategien tatsächlich eine gute Entscheidung war.
Freiheit, das bedeutet in Alexandre Tharauds Fall höchstens, dass er sich erlaubt, viel Pedal zu nehmen und damit gelegentlich die Melodie, Begleitfiguren und Akkorde ineinanderfließen zu lassen. Doch auch da beweist der Franzose viel Gespür. Denn er kreiert keine harmonisch eingetrübte Klangsoße, sondern zaubert so wohldosiert raffinierte Effekte, die aufhorchen lassen - wie in ebengehörter Mazurka a-moll op. 7 Nr. 2.
Drei Mazurken bilden wiederum die Schnittmenge der neuen Alben von Alexandre Tharaud und Anna Gourari. Außerdem gibt es Ähnlichkeiten im Titel: The Mazurka Diary, das Mazurka-Tagebuch, so heißt die Platte der in München lebenden Pianistin Anna Gourari. Die Tagebuch-Anspielung bezieht sich hier aber nicht auf die Künstlerin, sondern auf den Komponisten. In seinen Mazurken sieht Gourari sein musikalisches Tagebuch. Und aus diesen gut 50 Kompositionen hat sie 29 ausgewählt. Bei ihr klingt die a-Moll-Mazurka, op. 7 Nr. 2 so: (0:55)
Einmal mehr erweist sich Anna Gourari auf ihrer neuen CD als Meisterin des verschatteten, des zurückgenommenen Pianissimo. Schon auf ihrer vorangegangenen Brahms-CD konnte sie damit die Zweideutigkeit der Musik herausarbeiten. Und auch Chopin tut dieses zarte, nach innen gewendete Spiel gut. Zumal Anna Gourari sich auf der anderen Seite auch temperamentvolle Ausbrüche leistet, die beinah rhapsodisch wirken.
Grundsätzlich aber nimmt Anna Gourari - wie Alexandre Tharaud - den Notentext ernst. An manchen Stellen fast zu ernst. Denn die in der eben gehörten Mazurka geforderten staccati spielt sie ausgesprochen markant und schießt damit fast ein bisschen übers Ziel hinaus. Dennoch: Der Effekt wirkt charmant und eigen: Ihre Interpretation bekommt dadurch etwas filigranes, cembaloartiges.
Aber auch burschikos-hemdsärmlig kann Anna Gourari zulangen:
Frédéric Chopins Mazurka in C-Dur, op. 68 Nr. 1, zu finden auf dem neuen Album der Pianistin Anna Gourari, das jetzt bei Berlin classics erschienen ist.
Außerdem ging es heute um die neue CD des französischen Pianisten Alexandre Tharaud mit dem Titel "Journal intime", herausgekommen bei Virgin classics.
Und zu Beginn hörten Sie Sheila Arnold auf dem Hammerflügel. Ihre CD mit den Préludes op. 28 und mit zwei Balladen von Frédéric Chopin ist als Koproduktion mit dem WDR beim Label AVI music veröffentlicht worden. Das waren drei Empfehlungen von Falk Häfner. (0:35)
Vorgestellte CDs:
1) Frédéric Chopin:
Préludes op. 28
Sheila Arnold, Fortepiano
Label: AVI music
LC: 15080
Bestell-Nr.: 42 6008553183 7
2) Frédéric Chopin
"Journal intime"
Alexandre Tharaud, Klavier
Label: Virgin classics
LC: 07873
Bestell-Nr.: 6855652 5
3) Frédéric Chopin
"The Mazurka Diary"
Anna Gourari, Klavier
Label: Berlin classics
LC: 06203
Bestell-Nr. 0016662BC
Préludes, die auch etwas weniger "wohltemperiert", also etwas spröder klingen, da sie auf einem historischen Flügel aufgenommen worden sind, die möchte ich Ihnen heute vorstellen. Außerdem zwei weitere Chopin-Alben, die zu Beginn des Chopin-Jahres 2010 auf den Markt gekommen sind. Falk Häfner begrüßt Sie dazu am Mikrofon.
Das ist nicht der strahlende, brilliant-metallische Klang eines modernen Flügels! Das ist der Klang eines Hammerflügels der Firma Erard, gebaut etwa 1839 in Paris. Spürbar rauer ist sein Tonfall, ein wenig matter der Klang, mit mehr Schwebungen und weniger Reinheit in der Stimmung. Darauf Chopin zu spielen, ist eine Herausforderung, zumindest für Pianisten, die Chopins Musik als elegant perlende Salonmusik im Ohr haben. Die in Köln lebende Pianistin Sheila Arnold aber hat sich ganz bewusst dafür entschieden. Denn sie ist zwar mit dem modernen Instrumentarium groß geworden. Doch ihr zweite große Liebe gilt historischen Tasteninstrumenten. Und der hier zu hörende Erard-Flügel von 1839 passt genau zur Entstehungszeit der von ihr eingespielten Chopin-Préludes. Ungewöhnlich erdig wirkt darauf die Musik Chopins. Doch das liegt längst nicht nur an der Hardware, also am Instrument.
Ausgesprochen frei und sprechend nimmt Sheila Arnold die Einleitung und das erste Thema der Ballade in g-moll von Frédéric Chopin. Wie auch in einigen der von ihr eingespielten Préludes gerät ihr Tempo allerdings so langsam, dass sie sich darin zu verlieren droht. Zumal sie immer wieder rubati, also Verzögerungen einbaut, die beim Hören kaum noch die rhythmische Struktur nachvollziehen lassen. Das, was die gebürtige Inderin da mit der g-Moll-Ballade veranstaltet, ist tatsächlich eine neue Geschichte: zerfasert, zergrübelt, beinah wie eine Improvisation über das Chopinsche Original. Aber wie viel Freiheit ist angemessen bei solcher Art von Musik? - Ein verbindliches Regelwerk dazu - außerhalb des Notentextes - gibt es nun mal nicht.
Der französische Pianist Alexandre Tharaud scheint es da mit der Regel "Weniger ist mehr" zu halten. Auch er hat die g-Moll-Ballade eingespielt. Statt fast elf Minuten wie Sheila Arnold braucht Alexandre Tharaud aber nur neun Minuten dafür und liegt damit durchaus im zeitlichen Mittelfeld, gemessen an renommierten Kollegen wie Horowitz, Richter, Rubinstein oder Zimerman.
"Journal intime", also Tagebuch, so betitelte der französische Pianist Alexandre Tharaud sein neues Album. Im Booklet dazu beschreibt er, wie seine frühere Lehrerin ihm beim Spielen ihre Hand auf seinen Arm gelegt habe, damit er sich nicht von der Musik fortreißen ließ. Ein Phänomen, das wohl jeder Klavierspieler kennt: Hat man den Notentext in den Fingern, spätestens dann will man die Interpretation auch mit Gefühl beladen. Und nichts ist bei Chopin wohl schwerer, als ein gesundes Maß an Freiheit, gleichzeitig aber auch an Texttreue zu finden. Alexandre Tharaud nimmt die Partitur sehr ernst. Sein Spiel ist subtil, persönlich, doch nicht zügellos. Für seine Platte hat er ganz unterschiedliche Werke aus Chopins großem pianistischen Schaffen zusammengetragen: Stücke, die ihn von Kindesbeinen an begleitet haben: außer den Balladen Nr. 1 und 2 auch einige Nocturnes, einen unbekannteren Marsch und mehrere Mazurken. Der Titel "Journal intime" ist dafür etwas hochgegriffen und scheint vor allem Marketing-Gründe zu haben. Zumal man im Begleitheft keine wirklich privaten Details aus dem Leben Tharauds erfährt. - Gott sei Dank! Möchte man hinzufügen. Und sich fragen, ob der Wechsel Tharauds vom renommierten Label harmonia mundi und dessen seriösen Covergestaltungen hin zu virgin classics und deren eher homestoryartigen Vermarktungsstrategien tatsächlich eine gute Entscheidung war.
Freiheit, das bedeutet in Alexandre Tharauds Fall höchstens, dass er sich erlaubt, viel Pedal zu nehmen und damit gelegentlich die Melodie, Begleitfiguren und Akkorde ineinanderfließen zu lassen. Doch auch da beweist der Franzose viel Gespür. Denn er kreiert keine harmonisch eingetrübte Klangsoße, sondern zaubert so wohldosiert raffinierte Effekte, die aufhorchen lassen - wie in ebengehörter Mazurka a-moll op. 7 Nr. 2.
Drei Mazurken bilden wiederum die Schnittmenge der neuen Alben von Alexandre Tharaud und Anna Gourari. Außerdem gibt es Ähnlichkeiten im Titel: The Mazurka Diary, das Mazurka-Tagebuch, so heißt die Platte der in München lebenden Pianistin Anna Gourari. Die Tagebuch-Anspielung bezieht sich hier aber nicht auf die Künstlerin, sondern auf den Komponisten. In seinen Mazurken sieht Gourari sein musikalisches Tagebuch. Und aus diesen gut 50 Kompositionen hat sie 29 ausgewählt. Bei ihr klingt die a-Moll-Mazurka, op. 7 Nr. 2 so: (0:55)
Einmal mehr erweist sich Anna Gourari auf ihrer neuen CD als Meisterin des verschatteten, des zurückgenommenen Pianissimo. Schon auf ihrer vorangegangenen Brahms-CD konnte sie damit die Zweideutigkeit der Musik herausarbeiten. Und auch Chopin tut dieses zarte, nach innen gewendete Spiel gut. Zumal Anna Gourari sich auf der anderen Seite auch temperamentvolle Ausbrüche leistet, die beinah rhapsodisch wirken.
Grundsätzlich aber nimmt Anna Gourari - wie Alexandre Tharaud - den Notentext ernst. An manchen Stellen fast zu ernst. Denn die in der eben gehörten Mazurka geforderten staccati spielt sie ausgesprochen markant und schießt damit fast ein bisschen übers Ziel hinaus. Dennoch: Der Effekt wirkt charmant und eigen: Ihre Interpretation bekommt dadurch etwas filigranes, cembaloartiges.
Aber auch burschikos-hemdsärmlig kann Anna Gourari zulangen:
Frédéric Chopins Mazurka in C-Dur, op. 68 Nr. 1, zu finden auf dem neuen Album der Pianistin Anna Gourari, das jetzt bei Berlin classics erschienen ist.
Außerdem ging es heute um die neue CD des französischen Pianisten Alexandre Tharaud mit dem Titel "Journal intime", herausgekommen bei Virgin classics.
Und zu Beginn hörten Sie Sheila Arnold auf dem Hammerflügel. Ihre CD mit den Préludes op. 28 und mit zwei Balladen von Frédéric Chopin ist als Koproduktion mit dem WDR beim Label AVI music veröffentlicht worden. Das waren drei Empfehlungen von Falk Häfner. (0:35)
Vorgestellte CDs:
1) Frédéric Chopin:
Préludes op. 28
Sheila Arnold, Fortepiano
Label: AVI music
LC: 15080
Bestell-Nr.: 42 6008553183 7
2) Frédéric Chopin
"Journal intime"
Alexandre Tharaud, Klavier
Label: Virgin classics
LC: 07873
Bestell-Nr.: 6855652 5
3) Frédéric Chopin
"The Mazurka Diary"
Anna Gourari, Klavier
Label: Berlin classics
LC: 06203
Bestell-Nr. 0016662BC