Donnerstag, 25. April 2024

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Klaviermusik von Joseph Haydn
Aus Mozarts Schatten befreit

Die Klaviermusik von Joseph Haydn muss sich üblicherweise an der von Mozart messen und verliert in der Regel. Der Pianist Kristian Bezuidenhout schaute auch lange auf die Sonaten von Haydn herab, bis er durch Briefe und historische Quellen erkannte: Haydns Musik ist frei, fantasievoll und eigenwillig!

Am Mikrofon: Raoul Mörchen | 24.03.2019
    Ein junger Mann mit kurzen braunen Haaren, Dreitagebart und weißem Hemd blickt vor schwarzem Hintergrund freundlich in die Kamera.
    Wirft mit seinen Interpretationen am Hammerklavier einen frischen Blick auf Musik der Klassik: Kristian Bezuidenhout. (Marco Borggreve)
    Klaviermusik von Joseph Haydn. Und das ist nun wirklich kein Grund zu glauben, dass sei in etwa so, als würde man jetzt etwas über den Spitzenreiter der 2. Bundesliga erfahren. In seinem Bereich vielleicht das Beste, was es gibt, und doch weiß ein jeder: da ist ja noch die erste Liga. Da ist noch dieser ... Mozart.
    Der Pianist Kristian Bezuidenhout sorgt beim Label Harmonia Mundi für den längst nötigen Klassenaufstieg; ja, er katapultiert mit seiner phänomenalen Neubewertung Joseph Haydns den vermeintlichen Papa der Wiener Klassik gleich auf einen Champions League-Platz.
    Musik: Sonate c-Moll, Hob. XVI:20 – I. Allegro moderato
    Wer über Joseph Haydn spricht, gerät schnell in die Defensive. Glaubt, ihn verteidigen zu müssen gegen alte und immer gleiche Einwände: Haydn sei in all seiner Genialität letztlich doch ein braver Langweiler geblieben, und ja, man könne ihn als Klassiker einzig mit Mozart vergleichen – doch zöge Haydn bei diesem Vergleich halt den Kürzeren. An Mozarts Esprit, Menschlichkeit, an seine Verführungskünste reiche Haydn nun einmal nicht heran.
    Kristian Bezuidenhout kennt die Vorbehalte gegen Haydn. Er hat sie lange geteilt. Dann aber ist er zur Überzeugung gekommen:
    Unsere Probleme mit Haydn sind ein einziges Missverständnis
    Musik: Sonate c-Moll, Hob. XVI:20 – I. Allegro moderato
    Wer diesen Haydn nun hört und staunt, warum er plötzlich so anders klingt als sonst, stark, eigenwillig, selbstbewusst und frei, warum kein Gedanke mehr aufkommt an Mozart und man diese Musik überhaupt mit keiner anderer vergleichen will ... dann sollte man für einen Moment die CD anhalten und lesen, was Kristian Bezuidenhout im Booklet zur Causa schreibt – über seine Bekehrung zu Joseph Haydn. Der geht eine lange Spurensuche voraus, in Briefen und historischen Zeugnissen. Er habe sich Haydn, schreibt Bezuidenhout, immer nur am Schreibtisch, nie am Instrument, nie als Musiker vorgestellt. Das sei, so habe er erkannt, ein Fehler gewesen. Denn es scheint, dass Haydn in Wahrheit, weit mehr als andere Komponisten, seine Musik vom Instrument aus entworfen habe, dass er mit den Noten immer auch die Art und Weise verbunden habe, wie er sie spielen würde. Und zwar so, als würde sie ihm gerade einfallen. Mit einem Wort: Haydns Musik, seine Klaviermusik zumal, atme den Geist der freien Fantasie und der Improvisation. Und da ist nun heute der Interpret gefragt: Von ihm hängt es ob, ob es ihm oder ihr gelingt, so schreibt Bezuidenhout, "ein Aufführungsklima zu erzeugen, in dem die Unterschiede zwischen Improvisation, Komposition und Aufführung verwischen".
    Musik: Sonate C-Dur, Hob. XVI:48 – I. Andante con espressione
    Aufregend und frei
    Es scheint fast, als habe Kristian Bezuidenhout da einen anderen, neuen Joseph Haydn entdeckt. Ob es der wahre ist – wer will das sagen? Aber er ist aufregender als der, den wir bisher kannten. Der Eingangssatz der späten C-Dur-Klaviersonate von 1789 klingt jetzt tatsächlich, als sei er gar nicht komponiert – im Sinne von: penibel geplant, vorausgedacht und konstruiert. Bezuidenhout verflüssigt den Notentext und gibt uns das Gefühl, wir wären Zeuge, wie diese Musik gerade erst entsteht.
    Musik: Sonate C-Dur, Hob. XVI:48 – I. Andante con espressione
    Dieser Ausbruchsversuch aus dem Korsett der Schriftlichkeit ist, so paradox das klingt, im Text selbst schon angelegt: Neun verschiedene Notenwerte allein in den ersten vier Takten, Punktierungen, Triolen, eine Nonole, einfache und dreifache Vorschläge und überall Zäsuren: Kein Zweifel, hier schreibt jemand gegen das starre Metrum an. Will nicht, dass wir stur "Eins, zwei, drei, eins, zwei, drei" mitzählen, bloß, weil da vorne halt "Dreiviertakt" steht. Hätte wir’s nicht mit eigenen Augen gelesen, wir wären auch gar nicht drauf gekommen. So radikal führt Bezuidenhout fort, was Haydn angefangen hat: verzögert und eilt, hält plötzlich inne, atmet, spielt weiter, nimmt zurück, bricht wieder aus, so als folge er einzig seiner Fantasie. Wir wissen: das stimmt nicht. Und genießen doch die Illusion einer Musik, die für sich die Freiheit wählt.
    Musik: Sonate c-Moll, Hob. XVI:20 – III. Finale. Allegro
    Ein in Südafrika geborener, in Australien aufgewachsener und jetzt in London lebender Pianist revidiert die Wiener Klassik. Dabei ist dieser Kristian Bezuidenhout alles andere als ein Bilderstürmer. Nach seiner von der Kritik zuweilen hymnisch besprochenen Gesamtaufnahme der Mozart-Sonaten braucht Bezuidenhout auch für Haydn keine Brechstange. Statt die Klassik neu zu erfinden, erinnert er uns bloß daran, dass sie immer schon mehr war als eine Epoche des Ebenmaßes und des Ausgleichs, des gut Proportionierten und Stimmigen. Der zentrale Begriff der Klassik heißt: Natürlichkeit. Und diese Natur war für den Menschen des 18.Jahrhunderts längst nicht nur grüne Wiese und rauschender Bach. Natur war auch Gewitter und Sturm, der Sonnenstrahl, der plötzlich durch die Wolken bricht, das Unvorhersehbare, das Überraschende, das, was uns staunen lässt und manchmal auch erschaudern.
    Hoffentlich nicht das erste und letzte Haydn-Album von Bezuidenhout
    Doch Haydn, wir wollen die Sache am Ende nicht übertreiben, hat es auch gerne mal ruhiger angehen lassen, hat Contenance bewahrt und sich nach der Decke gestreckt. Wie fabelhaft er auch das konnte, ohne bieder zu werden und steif, auch das zeigt Kristian Bezuidenhout auf seinem ersten, und hoffentlich nicht letzten, Haydn-Album: Am schönsten vielleicht in der kleinen Variationsfolge, mit der Haydn, der treue Untertan, den Hut zieht vor Franz, dem Kaiser, den Gott erhalten möge. Die Melodie und ihre vergnüglichen Veränderungen haben Franz und das Reich der Habsburger lange überlebt. Sie sind uns heute noch gute Bekannte.
    Musik: Variationen "Gott erhalte Franz den Kaiser", Hob, i:430
    Der Ursprung der deutschen Nationalhymne, "Gott erhalte Franz den Kaiser". Melodie und Variationen von Joseph Haydn. Auf dem neuen, ersten Haydn-Album von Kristian Bezuidenhout auf dem historischen Hammerflügel eingespielt für das Label Harmonia Mundi.
    Joseph Haydn - Piano Sonatas
    Kristian Bezuidenhout, Hammerklavier
    harmonia mundi