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Kleine grüne Männchen

Versteckte Überzeugungen sind der Tod aller Demoskopie. Was die Befragten wirklich denken, kann sie nur herausfinden, wenn diese ehrlich antworten. In einem gesellschaftlichen Klima, das – sagen wir mal – Ufo-Gläubigkeit gleichsetzt mit einem psychiatrischen Befund, wird sich jedermann hüten, seine Begegnungen der dritten Art öffentlich zu bekennen. Wie im Bereich besonders tabuisierter Sexualpraktiken entsteht so ein schiefes Bild über das, was die Mehrheit als normal empfindet. Da der Widerspruch nicht offen zutagetritt, bleibt er zunächst eine unbeachtete Störvariable für Statistiker. Was aber, wenn plötzlich das gesellschaftliche Klima kippt? Wenn immer mehr Leute auf die Frage "Sind Sie schon einmal von Aliens entführt worden?" im Brustton der Überzeugung antworten: "Ja natürlich. Mehrfach." Dann hat das Establishment ein Problem, zumal in Wahlkampfzeiten. Daß Politiker ihre Wähler für Idioten halten, ist kein Geheimnis – aber achtzig Prozent aller Wahlberechtigten geistesgestört? Da hört der Spaß auf.

Florian Felix Weyh |
    Hereinspaziert in Christopher Buckleys Politsatire "Kleine grüne Männchen". In Wahrheit sind sie allerdings grau, silbrig glänzend und in den letzten Jahrzehnten auffallend gewachsen, so daß sich die Ufologen zu einer Klassifikation gezwungen sahen: nordisch-arische Rasse hier, südlich-zwergenhafte Ausprägung da. Nein, Ufologen sind nicht gerade das, was ein Ostküsten-Intellektueller aus Washington gerne an seiner Seite sieht. In der Mehrheit aus dem untersten Drittel der weißen Mittelschicht stammend, ähnelt ihre Alien-Klassifikation verdächtig den Vorstellungen des Ku-Klux-Clan. Der Talkmaster John O. Banion – ein Star im politischen Leben der Hauptstadt, der es sich sogar leisten kann, den Präsidenten vor laufender Kamera abzukanzeln –, hätte es mit dieser Bevölkerungsschicht nur in Form von Einschaltquoten zu tun, wenn nicht ... ja wenn er nicht ebenfalls von Aliens entführt worden wäre. Ein Mißgeschick, denn normalerweise suchen sie sich nur ungefährlichere Opfer. Warum das so ist, erklärt sich parallel zur Entwicklungsbiologie der Aliens: Es gab einfach nicht genügend Zwergwüchsige in Amerika, die die strengen Sicherheitsanforderungen der Geheimdienste erfüllten. Außerirdische sind nämlich mit einer Sozialversicherungsnummer, einem Dienstausweis und einem klaren Auftrag versehen: die Ufo-Gläubigkeit unter der Bevölkerung wachzuhalten. Nur so kann der militärisch-industrielle Komplex Unsummen an staatlichen Fördermittel rechtfertigen und das Abenteuer Weltraumforschung dem Wähler plausibel machen.

    Eine in der Ufo-Szene kursierende Verschwörungstheorie, aus deren Essenz Christopher Buckley eine herrlich überdrehte Gesellschaftssatire zaubert. Das Ostküsten-Establishment mit seiner zynischen Distanz zu jenen Mehrheiten, die es nur alle paar Jahre zur Selbstrechtfertigung abruft, sieht sich plötzlich mit einer Volksbewegung konfrontiert, von deren Ursprüngen es nichts weiß und bis zum Ende des Buches auch nichts erfährt. Höchste Geheimhaltungsstufe – wie immer, wenn ein Staat von Geheimdiensten regiert wird. Als Katalysator rutscht der Talkmaster John O. Banion vom hohen Roß herab und landet zwischen allen Stühlen. In einer Midlifecrisis für die scheinbar spirituelle Erfahrung himmelweit geöffnet, bemächtigt er sich des neuen Themas mit Emphase, stellt seine Polittalkshow auf astrale Fragen um, wertet zwielichtige Ufo-Kongresse mit seiner Anwesenheit auf und ruft schließlich zum Sternmarsch nach Washington auf. Kurz bevor die aufgepeitschten Hunderttausenden das Kapitol stürmen, erfährt er, wer wirklich hinter seiner doppelten Entführung steckt – aber da ist das Intrigengestrüpp schon so undurchsichtig geworden, daß er mit der Verkündung der Wahrheit nichts mehr gewinnen kann. Als ihn seine zwielichtigen Ufo-Berater auch noch entmachten und zur Gegenseite überlaufen, kann ihn nur noch eine klitzekleine weitere Fälschung retten. Verraten wir, wie bei einem guten Krimi, nicht zuviel.

    Gewiß, Medien- und Politkritik in dieser Art hatte in den letzten Jahren Konjunktur. Trotz erkennbarer Anklänge an den Enthüllungsroman "Mit aller Macht" über Clintons Aufstieg und trotz vergleichbarer Themen in Hollywood gewinnt Christopher Buckley dem Stoff erheblich mehr Schärfe ab. Nicht zuletzt deshalb, weil dieses 1999 in Amerika veröffentlichte Buch im Jahr 2000 auf ein gänzlich anderes Rezeptionsumfeld stößt. Die Mutter der modernen Demokratie ist nach dem verkorksten Wahlgang zu einer willfährigen Lachnummer geworden, und als hätte Buckley das geahnt, liest man auf Seite 257 den prophetischen Satz: "Wir sind in Florida um sieben Punkte gefallen. Wollen Sie fünfundzwanzig Wahlmännerstimmen aufs Spiel setzen?" Das will der amtierende Präsident natürlich nicht, folgsam absolviert er seine Wahlkampftermine. Er wird trotzdem in die Wüste geschickt.