Donnerstag, 16. Mai 2024

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Kleine Philosophie für Nicht-Philosophen

Vorsicht! Dies ist ein ganz gewöhnliches Buch! Und Vorsicht! Dies ist ein ganz und gar besonderes Buch! Denn Friedhelm Moser, einem mit 45 Jahren viel zu früh verstorbenen ehemaligen Lehrer und philosophischen Schriftsteller gelingt etwas, was vor ihm nur wenige bewältigten, wie etwa Jostein Gaarder. Der Spagat nämlich, Philosophie spannend und anschaulich zu erzählen! Auf 200 kurzweiligen Seiten behandelt Friedheim Moser, ein studierter Philosoph und Altphilologe, ausgehend von seinem eigenen Loben die ewigen, großen Fragen der Philosophie: Was ist Wahrheit, Freiheit, Zeit, Tod, Ich, Subjekt? Aber auch: Was ist Liebe, Zivilcourage, Einsamkeit, Arbeit, was ist Lachen? Auch diesen Themen, die in der ehwürdigen Disziplin eher eine untergeordnete Rolle spielen, widmet Friedheim Moser seine philosophische Aufmerksamkeit So wie man etwa durch eine fremde Landschaft oder Stadt streift, nimmt er uns mit auf eine Reise durch das Land der Philosophie. Auf völlig unangestrengte Weise, sich vorwärtstastend, suchend, niemals eilend (wenn man etwas sehen will!), doch auch nie ganz ohne Ziel. Häufig ist für Friedheim Moser, diesen Literaturphilgsophen, der Weg das Ziel-, das Fragen, vor allem aber das philosophische Sich-Selbst-Infragestellen! Und so beginnt seine kleine Reise durch das Land Philosophie bei ihm selbst. Was ist das Ich, lautet das erste Kapitel im Buch.

Oliver Seppelfricke | 19.07.2000
    Wann beginnt es? Bei der Geburt oder schon im Mutterteib? Oder gar schon früher, im vergangenen Leben? Oder gar erst bei der Ausbildung eines eigenen Bewußtseins? "Zwischen Schnuller und Schultüte", wie Friedheim Moser schreibt? Und fällt das Ich auf einmal in einen ein, so wie in den Dichter Jean Paul, der eines Tages wie vom Blitz getroffen den Satz verspürte "Ich bin ein Ich", der ihn seither unauslöschlich begleitete? Oder ist das Ich, wie Friedheim Moser schreibt, zunächst ein kleines "ich" vor alter Bewußtwerdung und entsteht als großes mich" erst in dem Moment, da die Welt als etwas außer uns Stehendes erfahren wird? Von solchen Gedanken aus kommt Friedheim Moser zum Spiegel, der ein unerbittlicher Offenbarer von Wahrheiten ist, und seine kleine Reise durch die Philosophie macht auch nicht vor Anekdoten halt wie der, daß seine Tante Waltraud garantiert dem das kleinste Stück Kuchen gab, der am lautesten "ich" und "Hier" beim Verteilen schrie! Etwas mehr Bescheidenheit nach diesem Muster wäre auch der Philosophie ganz angebracht, meint Moser.

    Friedheim Moser greift seine Beispiele für ewige Fragen fast alle aus dem Alltag. Beim Thema Wahrheit präsentierter den Filmklassiker Rashomon" von Akira Kurosawa, in dem vier Personen einen Mordfall aus ihrer Perspektive schildem und sich die Frage nach dem '"wahren" Tathergang bald in Luft auftöst. Beim Thema Liebe bringt er Platons "Gastmahl" und den Mythos der Getrenntheit genauso vor wie Dario Fos "Offene Zweierbeziehung" und philosophiert mit soviel Spaß und Nonchalance, daß es eine wahre Freude ist, diesen von alter akademischen Last befreiten Gedanken und Überlegungen zu folgen durch die ehrwordigen Viertel der Philosophie!

    Friedheim Mosers Buch ist damit gescheit und anschaulich. Denn es findet die ganz großen Zusammenhänge im ganz Kleinen auf, die großen Fragen der Philosophie in den kleinen Veffichtungen des Alltags. Seine Stärke liegt darin, die hohen Themen auf den Boden ihrer Existenz zurückzuhofen, in den Alltag nämlich! Und was sich dort nicht behaupten kann oder was von dort aus nicht zum Fragen anregt, so meint Friedheim Moser, das taugt auch nicht zum Philosophieren. Ins Kaufhaus gehen wir also, um das Problem der Entscheidung zu erläutern, in die Schule, um über den Zusammenhang von Wahrheit, Lüge und Liebe zu hören, oder auf die einsame Insel, um Ober das Problem des Ich zu reflektieren. Allesamt lohnende philosophische Spaziergänge, im Gehalt vielsubtiler als "Sophies Weit". Derselbe Ruhm wie diesem Klassiker wäre auch dem 1995 verstorbenen Autor zu wünschen gewesen.