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Kleine Reform mit großer Wirkung?

Der Bildungsjournalist Reinhard Kahl hat die bundesweiten Bildungsstandards der Kulturministerkonferenz für Lehrer kritisiert. Sie machten die Schule langweilig, Lern- und Weltbegeisterung werde verhindert.

Reinhard Kahl im Gespräch mit Michael Köhler |
    Michael Köhler: Die Kultusministerkonferenz hat heute bundesweite Bildungsstandard festgelegt, und zwar nicht für Schüler und Studenten, sondern auch für Lehrer. Man höre und staune. Ein Lehramtsstudium kann in Deutschland weiterhin mit einem Staatsexamen anstelle eines Bachelor oder Master abgeschlossen werden. Reinhard Kahl habe ich gefragt, langjähriger Bildungsjournalist, was heißt denn das?

    Reinhard Kahl: Ja, das ist gar nicht so leicht zu fassen. Sie sind so ein bisschen im Bereich der Heraldik oder auch was Schamanenhaftes hat es, weil man mit diesen Begriffen ja meint, einen Zauber zu haben. Man redet über Bachelor und Master und Staatsexamen und dann auch gleich über die Standards, als könnte man damit die Welt definieren, als könnte man sagen, wir schreiben jetzt, früher nannte man das Lehrpläne, wir schreiben dies und das rein und drücken auf den Knopf und dann geht es in die Köpfe. So funktioniert die Welt aber nicht.

    Köhler: Die Kultusministerkonferenz einigte sich heute in Saarbrücken auf inhaltliche Anforderungen an Fachwissen und Didaktik von Lehrern, so ließt sich das. Nicht der Abschluss, sondern die Zahl der erreichten Studienpunkte soll maßgeblich sein. Im Zuge vom Bologna-Prozess hatte man ja auf BA und MA umgestellt, auf Bachelor und Master. Jetzt rudert man wieder zurück, eine Sache, die vor Jahren schon längst hatten?

    Kahl: Ja, das ist so ein kunstvolles Sowohl-als-auch. Soll die Unterscheidung, die ja bei den Lehrern nicht so richtig sinnvoll ist zwischen Bachelor und Master geben, aber es soll auch das Staatsexamen, dass diese Unterscheidung nicht kennt, geben. Ach, es sind irgendwie so die falschen Fronten. Um sich vorzustellen, was es vielleicht das Richtige wäre, da würde man doch sagen, wie lernen Kinder, wie lernen Erwachsene, wie lernen diejenigen, die darauf vorbereitet werden sollen, für Kinder eine Lernumgebung zu schaffen. Und dann würde man das so machen, um jetzt zwar ein schon häufiger zitiertes Beispiel in Skandinavien zu nehmen, dann würde man Schüler, Abiturienten, die Lehrer werden wollen, einladen zu Gesprächen, dann würde man ihnen sagen, schreibt ein Essay, dann würde man sich den angucken, dann würde man wieder reden. So machen es die Finnen. Und da bewerben sich auf einen Studienplatz im Lehrerstudium je nach Universität zwischen sieben und zehn Bewerber. Wir sagen, du machst Chemie und dann so viel Chemiedidaktik und so viel diese Form und jene Form. Und das ist alles noch so verwandt mit diesem ja etwas Bulimie-Lernen, wie man es aus der Schule kennt. Und damit werden auch die Lehrer genau in diesen Habitus, oder die künftigen Lehrer, die Lehrerstudenten, in diesen Habitus hineinsozialisiert, der die Schulen häufig so langweilig, so überdrüssig, jedenfalls so begrenzt wirkungslos mache. Man müsste doch im Lehrerstudium sagen, dieses ist gewissermaßen das Labor der gelingenden Lernsituation, die wir uns für die Schulen wünschen. Man macht es umgekehrt.

    Köhler: Wenn man denn dem Ganzen etwas abgewinnen will über Ihre Kritik hinaus, den Bildungsstandards auch für Lehrer, könnte man dann sagen, es ist eine bundesweite Qualifizierungsinitiative, die man doch begrüßen kann im deutschen Bildungssystem?

    Kahl: Diese Standards sind ja zwiespältig. Ich würde gar nicht so sehr dagegen reden. Ich würde es mal so vergleichen. Ich würde sagen, es ist sehr gut, wenn man ein Haus baut, dass man einen guten Statiker hat. Die Statik, das sind die Standards, oder, wie man im Englischen sagt, die minimal standards, das, was in jedem Fall da sein muss. Und dann macht der Architekt seine Arbeit. Wenn man aber den Statikern oder den Standards das Bauen der Häuser oder die Ausbildung von Studierenden überlässt, dann wird es eine dürftige Angelegenheit vor allem dann, wenn man wie immer, das ist so eine deutsche Krankheit, viel zu viel reinstopft und dieses Stopfen dann eher bei den Betroffenen so eine Art Immunabwehr hervorruft, jedenfalls keine Lernbegeisterung oder so viel Partus muss erlaubt sein, so eine Art Weltbegeisterung. Die Lehrer sollten doch den Schülern sagen, seht her, das ist eine interessante Welt, kommt wir machen was. In euch steckt viel drin, wir haben Ideen. Und nicht zu sagen, im späteren Leben müsst ihr erstens diese Formel kennen, zweitens jene Formel und die meisten Formeln muss man ja gar nicht kennen.

    Köhler: Reinhard Kahl zu den Bildungsstandards, die die Kultusministerkonferenz heute in Saarbrücken festgelegt hat, nicht nur für Schüler und Studenten, nein, auch für Lehrer.