Zunächst zum eindeutigen Gewinner, der FDP. Mehr als 16 Prozent. Wir erinnern uns an 2001: Bereits damals träumte der Parteivorsitzende Guido Westerwelle:
"Ob das Schwarzgelb ist oder Rotgelb ist in jedem Fall besser als Rotgrün. Am allerliebsten wäre es mir, die Wähler machten uns möglichst stark - mit achtzehn Prozent."
und hatte damit das Projekt 18 ins Leben gerufen. Zwar wurde dieses Wahlziel nie erreicht, zwar trat er mit der Zahl 18 unter den Schuhsohlen im deutschen Fernsehen auf, doch außer Spott und Häme blieb nichts übrig davon. Bis gestern. Die 18 haben die Liberalen nun fast erreicht. Sinn und Zweck der damaligen Aktion war es, sich auf Augenhöhe mit einem Koalitionspartner präsentieren zu können. Erst jetzt, acht Jahre später scheint das in Hessen aufzugehen. Eine starke FDP also mit einer schwächelnden CDU. Anke Petermann aus Wiesbaden:
Am Anfang des Wahlabends hatten viele Anhänger noch spontan die Hand vor den Mund gehalten, um den ersten Entsetzensschrei über das Verharren im 37-Prozent-Tal zu unterdrücken. Im Laufe des Abends zogen die Christdemokraten es vor, ihre Enttäuschung zu überspielen und Freude zu demonstrieren über die stabile schwarzgelbe Mehrheit von 66 der 118 Landtagssitze. Auch der Frontmann demonstriert Siegerlaune:
"Für die hessische CDU und persönlich nehme ich den Auftrag an, die nächste Regierung für unser Bundesland zu bilden - und ich verspreche Ihnen, wir werden uns bemühen, CDU und FDP zusammen, das schnell zu tun."
Bis zur konstituierenden Landtagssitzung am 5. Februar nämlich. Dann will sich Roland Koch zum Ministerpräsidenten wählen lassen. Nur wenige Christdemokraten wagen es, die Vorfreude mit Kritik zu trüben. Horst Klee, Senior der CDU-Fraktion:
"Wir müssen gestehen, dass wir aus diesen katastrophalen Verlusten der Sozialdemokraten keine Pluspunkte gesammelt haben und das muss aufgearbeitet werden und da wird es manche Nachfrage geben."
Aber wohl nur wenige schonungslose Antworten. Nur indirekt gab Roland Koch bei der Nachlese am Mittag in Berlin zu, dass er nicht rundum zufrieden ist:
"Ich will nicht verhehlen, dass, wenn sie den CDU-Landesvorsitzenden fragen, ich zwei bis drei Prozent mehr toll gefunden hätte. "
Eigentlich wünschten sich die Hessen einen anderen Ministerpräsidenten, leiten SPD und Grüne aus dem Wahlergebnis ab. Das sieht Michael Boddenberg ganz anders. Über 50 Prozent der Wähler hätten für Koch als Regierungschef votiert, so interpretiert der Generalsekretär der Hessen-CDU das Wahlergebnis und vereinnahmt damit kühn das starke liberale Resultat von 16 Prozent.
"Wählerinnen und Wähler, die FDP gewählt haben, wussten, dass sie das tun in dem Bewusstsein, dass eine Zusammenarbeit mit der CDU zu einem Ministerpräsidenten Roland Koch führt.
Ich glaube, darauf dürfen wir ein wenig stolz sein. Ich glaube, es sind jetzt 53 Prozent zusammen. Das ist eine Mehrheit, wie es sie lange in Hessen nicht mehr gegeben hat."
Doch aus dem starken Ergebnis der Liberalen leiten sich neues Selbstbewusstsein und Widerspruchsgeist ab.
"Nein, dieser Interpretation würde ich mich nicht anschließen. Die Union sollte dieser Versuchung nicht auf diese Weise erliegen, ein Wahlergebnis so zu interpretieren. Ich kann die Union verstehen, dass sie versucht dies zu analysieren, aber ich glaube, es wird der Sache nicht gerecht,"
sagt Dieter Posch, der für die Liberalen wohl das Wirtschaftsressort übernehmen dürfte.
"Das ist das beste Ergebnis seit 1954."
Gemessen daran gibt sich die FDP geradezu bescheiden. Konkrete Szenarien, von Hessen aus die Republik zu erorbern, entwirft sie in Wiesbaden noch nicht.
Da ist CDU-Stratege Koch schon weiter. Er preist der Bundeskanzlerin in Berlin Schwarzgelb als Erfolgsrezept an. In Hessen will er die zu den Liberalen übergelaufenen CDU-Anhänger allerdings zurückerobern.
"Wir haben kein Interesse daran, dass alles so zu belassen, sondern wir werden daran arbeiten, auch dort wieder mehr an Zustimmung für eine Zweitstimme zu bekommen."
Offen lässt die FDP, ob sie neben Wirtschaft und Justiz ein weiteres Ressort beansprucht. Auch über mögliche Konfliktpunkte schweigt sie derzeit. Lange wird man sich allerdings nicht gedulden müssen, um zu erfahren, wo es bei Schwarzgelb Knirscht. Schon morgen sollen Koalitionsverhandlungen starten, wenn die Gremien es so beschlossen haben. Und wenn das Paket geschnürt ist, kann der Amtsinhaber darauf hoffen, dass ihn eine solide Landtagsmehrheit bestätigt.
Blick zurück auf die CDU-Wahlschlappe 2008: Roland Koch nur noch geschäftsführend im Amt, nicht mehr als gewählter Ministerpräsident von Hessen - ein Knick in der bis dahin steil nach oben führenden Karrierekurve des stellvertretenden CDU-Bundesvorsitzenden und Landeschefs. Sozialdemokraten, Grüne und die neu im Landtag vertretene Linkspartei formieren sich zu einer linken Mehrheit, gegen die Koch anregieren muss.
Koch: "Aber ich denke, es sollte auch Konsens bleiben, dass das nicht bedeutet, dass die wesentliche politische Aufgabe ein Wettbewerb darin ist, wie geschäftsführende Regierungen gepiesackt werden oder vor sich hergetrieben werden können. Es bleibt bei der schwierigen und gefährlichen Formel von Rolf Rüssmann: Wenn wir hier nicht gewinnen, dann treten wir ihnen wenigstens den Rasen kaputt. Das mag im Sport schon schwierig sein, in der parlamentarischen Demokratie und der Verantwortung vor den Bürgern wäre es nicht zu rechtfertigen."
Ypsilanti: "Da geht es nicht um Piesacken und Ärgern, sondern es wird unsere Aufgabe sein, über die Inhalte zu streiten. Sie haben gesagt, man solle aufpassen, dass man nicht den Rasen zertritt. An dieser Stelle erlauben Sie mir die Bemerkung: Ich glaube, der Rasen ist im letzten Jahr schon arg strapaziert worden."
So Andrea Ypsilanti in Anspielung auf den polarisierenden CDU-Wahlkampf 2008. Doch zu Beginn der Legislatur gab sich der Ministerpräsident geläutert, milde, staatstragend. Nicht für lange, denn als die linke Mehrheit die Studiengebühren abschafft, gibt er noch einmal den Polarisierer und nimmt einen Textfehler zum Anlass, das Gesetz zunächst nicht zu unterzeichnen.
"Dieses Gesetz ist handwerklich unzulänglich, jenseits eines politischen Streits, und nur um diese Frage geht es."
Um unfaire Machtspielchen gehe es, unterstellen dagegen SPD und Grüne. Im zweiten Anlauf allerdings triumphieren sie.
Kurz danach misslingt auch der erneute Anlauf von Rotgrün an die Macht - Roland Koch hat es wohl geahnt. Dass er vom sozialdemokratischen Debakel am Wahlabend nicht profitieren würde, hat die Konservativen allerdings überrascht. Die Hessen-CDU - bis dato ein geschlossener Kampfverband, der selten innerparteiliche Unstimmigkeiten nach außen dringen lässt. Vielleicht ändert sich das jetzt, da Roland Koch nur dank liberaler Notrettung hessischer Regierungschef bleibt.
Die junge Abgeordnete Astrid Wallmann, Nichte des früheren Ministerpräsidenten Walter Wallmann, übt schon mal vorsichtige Kritik am Durchschnittalter der Fraktion:
"Ich möchte auf jeden Fall, dass die Interessen der jungen Leute vertreten werden. Das kann verschiedene Bereiche betreffen, sei es die Staatsverschuldung, mir geht es aber auch mehr um Schulpolitik. Ich glaube, da muss die CDU noch einiges tun."
Frischer Wind in der eigenen Fraktion. Vielleicht heißt das auch ein wenig mehr Gegenwind für die alte Garde der Hessen-CDU. Dank frühen Karrierestarts gehören der Ministerpräsident und seine engsten Vertrauten dazu.
Die alte Garde der SPD, die auch noch recht jung ist, hat es besonders schlimm getroffen. Eine Lüge vor den eigenen Wählern, endlose Machtkämpfe und mobbingartiges Verhalten: Eine solche SPD wollen die Hessen nicht. Eine völlig verunglückte Partei- und Fraktionsführung ging da gestern mit dem Rücktritt von Andrea Ypsilanti zu Ende. Bleiben Auswirkungen auf die Bundes-SPD? Frank Cappellan analysiert.
"Das ist ein schlechtes, ein sehr schlechtes Ergebnis für die SPD. Das ist überhaupt keine Frage. Aber es ist auch nicht überraschend. Das war die Größenordnung, mit der man etwa rechnen konnte."
Gestern abend, fünf vor halb sieben. Kräftig verschnupft tritt Franz Müntefering an die Mikrofone im Willy-Brandt-Haus. Verschnupft nicht wegen des Wahlausganges, versichert der SPD-Vorsitzende sogleich, "die Grippe hat mich erwischt!" Dass es in Hessen so dicke für seine Genossen kommen würde, Müntefering hatte nichts anderes erwartet:
"Es ist eine Denkzettelwahl. Die Menschen waren enttäuscht, verärgert über den Verlauf des Jahres aus verschiedenen Gründen."
Und der Newcomer Thorsten Schäfer-Gümbel, da ist man sich im Willy-Brandt-Haus sicher, hat Schlimmeres verhindert: den Absturz der SPD unter die 20 Prozent Marke. Hessen eine Katastrophe, aber ein Sonderfall. Machtlos musste auch der Machtpolitiker Müntefering mit ansehen, wie sich seine Parteifreunde dort 2008 selbst zerfleischten. Müntefering will das alles vergessen: "Getz is gut mit 2008" - fordert der Sauerländer seine Genossen auf. Die hatten zuvor noch einmal ihrem Unmut über Andrea Ypsilanti Luft gemacht: Als ihre Rücktrittserklärung über die Bildschirme flimmert, wird heftig applaudiert. "Ypsilanti hat alles vermasselt", darüber sind sie sich in Berlin einig, und TSG, wie sie den Neuen rufen, muss die Gemüter beruhigen:
"Jetzt ist auch mal gut mit dem Andrea Ypsilanti-Bashing. Alle diejenigen, die wollten, dass sie die Verantwortung übernimmt und geht, die haben das gestern erreicht."
In der SPD-Parteizentrale möchte kaum jemand mehr daran erinnert werden, dass sich auch die Bundesspitze im vergangenen Jahr nicht gerade mit Ruhm bekleckert hat. Dass der damalige Parteichef jegliche Zusammenarbeit mit der Linkspartei in den westdeutschen Ländern zunächst ausschloss und dann doch seinen Segen dazu gab, dass Andrea Ypsilanti nicht dazu gebracht werden konnte, erst einmal ernsthaft über eine Große Koalition ohne Roland Koch zu verhandeln - das wird auch als Fehler der Parteiführung in der Hauptstadt gewertet. Und Kurt Beck war schnell klar geworden, dass er mit seinem Kursschwenk die Glaubwürdigkeit seiner Partei allzu sehr strapaziert hatte.
"Das war ein Fehler. Ich sage auch: Alten Fuhrleuten passiert mal ein Fehler. Aber die Tatsache, dass diese Klärung herbeigeführt werden musste, das war kein Fehler."
Aber ist der Umgang der SPD mit den Linken wirklich geklärt? Franz Müntefering möchte das Thema abhaken. Vor Weihnachten ging er sogar in die Offensive: "Jeder sozialdemokratische Ministerpräsident mehr ist gut für unser Land", proklamierte der Parteichef und ermunterte geradezu, Koalitionen mit der Linken anzustreben. Die Bundestagswahl wird nicht an der Frage entschieden, ob es irgendwo ein rot-rotes Bündnis im Land gibt, davon ist Müntefering überzeugt. Allerdings dürfte es die Union genüsslich ausschlachten, wenn einen Monat vorher Sozialdemokrat Heiko Maas gemeinsam mit den Linken die Regierung an der Saar übernehmen könnte. Sollte in Saarbrücken gar Oskar Lafontaine gewinnen und die SPD als Juniorpartner in die Regierung holen - denkbar ist bei den Saarländern vieles - dann hätte auch Berlin wieder ein ernsthaftes Problem. Seit gestern aber hat Müntefering erst einmal ein ganz anderes:
"Ich glaube, dass Schwarz-Gelb selbst jetzt wieder dabei ist, dieses Lager vorzubereiten. "
Der Lagerwahlkampf. Links gegen bürgerlich: mit dem Sieg einer schwarz-gelben Regierung in Hessen scheint er zu Beginn des Superwahljahres wieder Gestalt anzunehmen. CDU-Chefin Angela Merkel:
"Ich sage, dass das Regierungsbündnis, das gestern eine Mehrheit bekommen hat, ein Regierungsbündnis ist, das wir uns auch für die Zeit nach der Großen Koalition vorstellen können und deshalb halte ich das für ein gutes Signal."
Tatsächlich könnte es für die SPD schwer werden, dem Wähler glaubhaft zu versichern, dass es für die alte bürgerliche Mehrheit in Deutschland keine Zukunft mehr geben soll. Hessen ein Sonderfall. Mit diesem Hinweis kommt auch Thorsten Schäfer-Gümbel seinen Freunden in Berlin zu Hilfe. Von einer Signalwirkung für den Bund will er jedenfalls nichts wissen:
"Deswegen sage ich auch allen, die jetzt glauben, dass sie das hessische Ergebnis auf die Bundesebene übertragen können, dass ich ihnen viel Spaß bei der Träumerei wünsche. Wer daraus wirklich allen Ernstes versucht, einen Bundestrend abzuleiten, dass Menschen massenhaft von der SPD abgewandert sind, weil sie über uns enttäuscht waren, daraus eine Zustimmung zu einer großbürgerlichen Politik abzuleiten, das halte ich für sehr verwegen."
Und wenn es für Schwarz-gelb im September nicht reicht, da ist der Sozialdemokrat Müntefering sicher, wird sich Guido Westerwelle einer Ampelkoalition mit SPD und Grünen nicht verweigern. Diesmal werde alles anders laufen als 2005, als Müntefering die Freien Demokraten zu Koalitionsgesprächen aufforderte:
"Damals hat mir Westerwelle wieder geschrieben, er redet nicht mehr mit mir und das wird er nicht noch mal tun. Ich glaube, dass er auch seine Partei in eine Regierung führen will."
Die Sozialdemokraten wollen sich bis zur Bundestagswahl als starke Kraft in der Großen Koalition präsentieren, die dafür sorgt, dass die Freie Marktwirtschaft in Zeiten der Finanz- und Wirtschaftskrise nicht völlig aus dem Ruder läuft. Gern erinnern sie jetzt an das Wahlprogramm von Union und FDP bei der letzten Bundestagswahl:
"Schwarz-Gelb hat 2005 eine Position bezogen, der sie ja nicht abgeschworen haben, sondern die sie nicht umsetzen konnten, weil die Mehrheitsverhältnisse anders waren. Dazu gehört das Schleifen der Arbeitnehmerrechte und dazu gehört eben, dass der Wettbewerb in der Wirtschaft möglichst ohne Regeln sein soll. Diese Konstellation ist besonders wenig geeignet, die Antwort zu geben auf das, was im Weiteren zu tun ist, denn wir werden ja auch noch darüber zu reden haben. was denn eigentlich zu tun ist, damit in Zukunft solches Desaster nicht mehr passieren kann und welche Regeln man denn eigentlich finden muss für die Finanzmärkte."
Auffällig ist, wie behutsam der SPD-Chef trotz aller Vorbehalte gegenüber dem FDP-Vorsitzenden mit den Liberalen umgeht. Dies geht bis hin zur Wortwahl - von "neoliberaler Politik" spricht Müntefering nur noch im kleinen Kreis. Anders bei öffentlichen Auftritten wie heute im Willy-Brandt-Haus.
"Die Menschen wollen nicht, dass marktradikale Positionen dieses Land bestimmen."
Dass sich die Freien Demokraten ihrer Verantwortung bewusst sind, darauf setzt nun auch Müntefering. Zwar hat die Große Koalition ihre Mehrheit im Bundesrat verloren, dennoch kann sich niemand so recht vorstellen, dass sich die Liberalen ernsthaft dem Konjunkturpaket der Bundesregierung widersetzen werden. Eine Hoffnung, die durchaus berechtigt erscheint, wenn man die heutige Ankündigung von FDP-Chef Westerwelle hört.
"Wir werden eine konstruktive Rolle im Bundesrat spielen. Wir werden dabei ganz solide vorgehen, klug die Gespräche führen, uns selbst nicht überschätzen, aber natürlich auch mit Nachdruck auf eine Entlastung der Bürgerinnen und Bürger hinwirken, damit derjenige, der arbeitet, in Deutschland nicht länger der Dumme ist."
Eine Gefahr dürfte also für die Große Koalition von der FDP trotz der veränderten Bundesratsverhältnisse nicht ausgehen. Zu groß wäre für Westerwelle die Gefahr, sich mit der Krisen-Kanzlerin anzulegen und dabei am Ende doch wieder Kredit bei den Wählern zu verspielen. Ähnliches gilt für die Sozialdemokraten. So sehr sich viele in der Partei auch einen angriffslustigeren Kanzlerkandidaten wünschen, hat Vizekanzler Frank-Walter Steinmeier kaum eine Alternative dazu, verantwortungsbewusst gemeinsam mit der Union gegen die Rezession anzuarbeiten.
Steinmeier bewies in der vergangenen Woche eindrucksvoll, wie sehr er einträchtig mit der Kanzlerin ganz auf Staatsmann machen kann - die Königsdisziplin eines Außenministers. Wie sie in dieser Konstellation aus dem Umfragetief herauskommen wollen, um im September vor der Union stärkste Fraktion zu werden und den Kanzler stellen zu können, ist auch den Parteistrategen ein Rätsel. Manch einer hofft auf Fehler Merkels. Viele wollen einen Keil zwischen CDU und CSU treiben und demonstrieren, wie konfliktscheu die Kanzlerin agiert. Insgeheim aber hat mancher Sozialdemokrat die Kanzlerschaft längst begraben. Die Fortsetzung der Großen Koalition mit einem Juniorpartner SPD, vom Parteivorsitzenden immer wieder als Option ins Spiel gebracht, dürfte die realistischste Variante sein, um den Machtverlust für die Genossen zu verhindern. "Opposition ist Mist!" - ein altes Münte-Bonmot. Groß ist seine Sorge, dass seine SPD in der Opposition neben der Linkspartei weiter marginalisiert werden könnte. Über das Bündnis mit der Union hat er sich schon als Arbeitsminister und Vizekanzler sehr wohlwollend geäußert:
"Wenn es sie mal nicht mehr geben wird, die Große Koalition, werden sich viele im Land umsehen und die Leistung der Großen Koalition werten - und sie werden sagen: Da kannste echt nich meckern."
Warum also nicht weitermachen? "In dieser Zeit der Wirtschaftskrise ist es gar nicht so schlecht, eine Große Koalition zu haben", hat kürzlich erst SPD-Vize Peer Steinbrück erklärt. Die Bundespräsidentenwahl steht dem im übrigen nicht mehr im Wege. Attacken aus der Union, weil eine Sozialdemokratin mit den Stimmen der Linkspartei zur Präsidentin gewählt würde, habe sich endgültig erübrigt. Mit der Hessen-Wahl haben sich die Mehrheitsverhältnisse in der Bundesversammlung so verschoben, dass die Wiederwahl Horst Köhlers ausgemacht sein dürfte. Gesine Schwan ist wieder einmal nicht mehr als eine Zählkandidatin.
Inwieweit tatsächlich eine bundesweite SPD-Schwäche und eine FDP-Stärke aus den neuen hessischen Verhältnissen abzuleiten ist, wird sich erst am 7. Juni zeigen. Bei der Europawahl. Und auch da gibt es wieder die bekannten eigenen Gesetzmäßigkeiten.
"Ob das Schwarzgelb ist oder Rotgelb ist in jedem Fall besser als Rotgrün. Am allerliebsten wäre es mir, die Wähler machten uns möglichst stark - mit achtzehn Prozent."
und hatte damit das Projekt 18 ins Leben gerufen. Zwar wurde dieses Wahlziel nie erreicht, zwar trat er mit der Zahl 18 unter den Schuhsohlen im deutschen Fernsehen auf, doch außer Spott und Häme blieb nichts übrig davon. Bis gestern. Die 18 haben die Liberalen nun fast erreicht. Sinn und Zweck der damaligen Aktion war es, sich auf Augenhöhe mit einem Koalitionspartner präsentieren zu können. Erst jetzt, acht Jahre später scheint das in Hessen aufzugehen. Eine starke FDP also mit einer schwächelnden CDU. Anke Petermann aus Wiesbaden:
Am Anfang des Wahlabends hatten viele Anhänger noch spontan die Hand vor den Mund gehalten, um den ersten Entsetzensschrei über das Verharren im 37-Prozent-Tal zu unterdrücken. Im Laufe des Abends zogen die Christdemokraten es vor, ihre Enttäuschung zu überspielen und Freude zu demonstrieren über die stabile schwarzgelbe Mehrheit von 66 der 118 Landtagssitze. Auch der Frontmann demonstriert Siegerlaune:
"Für die hessische CDU und persönlich nehme ich den Auftrag an, die nächste Regierung für unser Bundesland zu bilden - und ich verspreche Ihnen, wir werden uns bemühen, CDU und FDP zusammen, das schnell zu tun."
Bis zur konstituierenden Landtagssitzung am 5. Februar nämlich. Dann will sich Roland Koch zum Ministerpräsidenten wählen lassen. Nur wenige Christdemokraten wagen es, die Vorfreude mit Kritik zu trüben. Horst Klee, Senior der CDU-Fraktion:
"Wir müssen gestehen, dass wir aus diesen katastrophalen Verlusten der Sozialdemokraten keine Pluspunkte gesammelt haben und das muss aufgearbeitet werden und da wird es manche Nachfrage geben."
Aber wohl nur wenige schonungslose Antworten. Nur indirekt gab Roland Koch bei der Nachlese am Mittag in Berlin zu, dass er nicht rundum zufrieden ist:
"Ich will nicht verhehlen, dass, wenn sie den CDU-Landesvorsitzenden fragen, ich zwei bis drei Prozent mehr toll gefunden hätte. "
Eigentlich wünschten sich die Hessen einen anderen Ministerpräsidenten, leiten SPD und Grüne aus dem Wahlergebnis ab. Das sieht Michael Boddenberg ganz anders. Über 50 Prozent der Wähler hätten für Koch als Regierungschef votiert, so interpretiert der Generalsekretär der Hessen-CDU das Wahlergebnis und vereinnahmt damit kühn das starke liberale Resultat von 16 Prozent.
"Wählerinnen und Wähler, die FDP gewählt haben, wussten, dass sie das tun in dem Bewusstsein, dass eine Zusammenarbeit mit der CDU zu einem Ministerpräsidenten Roland Koch führt.
Ich glaube, darauf dürfen wir ein wenig stolz sein. Ich glaube, es sind jetzt 53 Prozent zusammen. Das ist eine Mehrheit, wie es sie lange in Hessen nicht mehr gegeben hat."
Doch aus dem starken Ergebnis der Liberalen leiten sich neues Selbstbewusstsein und Widerspruchsgeist ab.
"Nein, dieser Interpretation würde ich mich nicht anschließen. Die Union sollte dieser Versuchung nicht auf diese Weise erliegen, ein Wahlergebnis so zu interpretieren. Ich kann die Union verstehen, dass sie versucht dies zu analysieren, aber ich glaube, es wird der Sache nicht gerecht,"
sagt Dieter Posch, der für die Liberalen wohl das Wirtschaftsressort übernehmen dürfte.
"Das ist das beste Ergebnis seit 1954."
Gemessen daran gibt sich die FDP geradezu bescheiden. Konkrete Szenarien, von Hessen aus die Republik zu erorbern, entwirft sie in Wiesbaden noch nicht.
Da ist CDU-Stratege Koch schon weiter. Er preist der Bundeskanzlerin in Berlin Schwarzgelb als Erfolgsrezept an. In Hessen will er die zu den Liberalen übergelaufenen CDU-Anhänger allerdings zurückerobern.
"Wir haben kein Interesse daran, dass alles so zu belassen, sondern wir werden daran arbeiten, auch dort wieder mehr an Zustimmung für eine Zweitstimme zu bekommen."
Offen lässt die FDP, ob sie neben Wirtschaft und Justiz ein weiteres Ressort beansprucht. Auch über mögliche Konfliktpunkte schweigt sie derzeit. Lange wird man sich allerdings nicht gedulden müssen, um zu erfahren, wo es bei Schwarzgelb Knirscht. Schon morgen sollen Koalitionsverhandlungen starten, wenn die Gremien es so beschlossen haben. Und wenn das Paket geschnürt ist, kann der Amtsinhaber darauf hoffen, dass ihn eine solide Landtagsmehrheit bestätigt.
Blick zurück auf die CDU-Wahlschlappe 2008: Roland Koch nur noch geschäftsführend im Amt, nicht mehr als gewählter Ministerpräsident von Hessen - ein Knick in der bis dahin steil nach oben führenden Karrierekurve des stellvertretenden CDU-Bundesvorsitzenden und Landeschefs. Sozialdemokraten, Grüne und die neu im Landtag vertretene Linkspartei formieren sich zu einer linken Mehrheit, gegen die Koch anregieren muss.
Koch: "Aber ich denke, es sollte auch Konsens bleiben, dass das nicht bedeutet, dass die wesentliche politische Aufgabe ein Wettbewerb darin ist, wie geschäftsführende Regierungen gepiesackt werden oder vor sich hergetrieben werden können. Es bleibt bei der schwierigen und gefährlichen Formel von Rolf Rüssmann: Wenn wir hier nicht gewinnen, dann treten wir ihnen wenigstens den Rasen kaputt. Das mag im Sport schon schwierig sein, in der parlamentarischen Demokratie und der Verantwortung vor den Bürgern wäre es nicht zu rechtfertigen."
Ypsilanti: "Da geht es nicht um Piesacken und Ärgern, sondern es wird unsere Aufgabe sein, über die Inhalte zu streiten. Sie haben gesagt, man solle aufpassen, dass man nicht den Rasen zertritt. An dieser Stelle erlauben Sie mir die Bemerkung: Ich glaube, der Rasen ist im letzten Jahr schon arg strapaziert worden."
So Andrea Ypsilanti in Anspielung auf den polarisierenden CDU-Wahlkampf 2008. Doch zu Beginn der Legislatur gab sich der Ministerpräsident geläutert, milde, staatstragend. Nicht für lange, denn als die linke Mehrheit die Studiengebühren abschafft, gibt er noch einmal den Polarisierer und nimmt einen Textfehler zum Anlass, das Gesetz zunächst nicht zu unterzeichnen.
"Dieses Gesetz ist handwerklich unzulänglich, jenseits eines politischen Streits, und nur um diese Frage geht es."
Um unfaire Machtspielchen gehe es, unterstellen dagegen SPD und Grüne. Im zweiten Anlauf allerdings triumphieren sie.
Kurz danach misslingt auch der erneute Anlauf von Rotgrün an die Macht - Roland Koch hat es wohl geahnt. Dass er vom sozialdemokratischen Debakel am Wahlabend nicht profitieren würde, hat die Konservativen allerdings überrascht. Die Hessen-CDU - bis dato ein geschlossener Kampfverband, der selten innerparteiliche Unstimmigkeiten nach außen dringen lässt. Vielleicht ändert sich das jetzt, da Roland Koch nur dank liberaler Notrettung hessischer Regierungschef bleibt.
Die junge Abgeordnete Astrid Wallmann, Nichte des früheren Ministerpräsidenten Walter Wallmann, übt schon mal vorsichtige Kritik am Durchschnittalter der Fraktion:
"Ich möchte auf jeden Fall, dass die Interessen der jungen Leute vertreten werden. Das kann verschiedene Bereiche betreffen, sei es die Staatsverschuldung, mir geht es aber auch mehr um Schulpolitik. Ich glaube, da muss die CDU noch einiges tun."
Frischer Wind in der eigenen Fraktion. Vielleicht heißt das auch ein wenig mehr Gegenwind für die alte Garde der Hessen-CDU. Dank frühen Karrierestarts gehören der Ministerpräsident und seine engsten Vertrauten dazu.
Die alte Garde der SPD, die auch noch recht jung ist, hat es besonders schlimm getroffen. Eine Lüge vor den eigenen Wählern, endlose Machtkämpfe und mobbingartiges Verhalten: Eine solche SPD wollen die Hessen nicht. Eine völlig verunglückte Partei- und Fraktionsführung ging da gestern mit dem Rücktritt von Andrea Ypsilanti zu Ende. Bleiben Auswirkungen auf die Bundes-SPD? Frank Cappellan analysiert.
"Das ist ein schlechtes, ein sehr schlechtes Ergebnis für die SPD. Das ist überhaupt keine Frage. Aber es ist auch nicht überraschend. Das war die Größenordnung, mit der man etwa rechnen konnte."
Gestern abend, fünf vor halb sieben. Kräftig verschnupft tritt Franz Müntefering an die Mikrofone im Willy-Brandt-Haus. Verschnupft nicht wegen des Wahlausganges, versichert der SPD-Vorsitzende sogleich, "die Grippe hat mich erwischt!" Dass es in Hessen so dicke für seine Genossen kommen würde, Müntefering hatte nichts anderes erwartet:
"Es ist eine Denkzettelwahl. Die Menschen waren enttäuscht, verärgert über den Verlauf des Jahres aus verschiedenen Gründen."
Und der Newcomer Thorsten Schäfer-Gümbel, da ist man sich im Willy-Brandt-Haus sicher, hat Schlimmeres verhindert: den Absturz der SPD unter die 20 Prozent Marke. Hessen eine Katastrophe, aber ein Sonderfall. Machtlos musste auch der Machtpolitiker Müntefering mit ansehen, wie sich seine Parteifreunde dort 2008 selbst zerfleischten. Müntefering will das alles vergessen: "Getz is gut mit 2008" - fordert der Sauerländer seine Genossen auf. Die hatten zuvor noch einmal ihrem Unmut über Andrea Ypsilanti Luft gemacht: Als ihre Rücktrittserklärung über die Bildschirme flimmert, wird heftig applaudiert. "Ypsilanti hat alles vermasselt", darüber sind sie sich in Berlin einig, und TSG, wie sie den Neuen rufen, muss die Gemüter beruhigen:
"Jetzt ist auch mal gut mit dem Andrea Ypsilanti-Bashing. Alle diejenigen, die wollten, dass sie die Verantwortung übernimmt und geht, die haben das gestern erreicht."
In der SPD-Parteizentrale möchte kaum jemand mehr daran erinnert werden, dass sich auch die Bundesspitze im vergangenen Jahr nicht gerade mit Ruhm bekleckert hat. Dass der damalige Parteichef jegliche Zusammenarbeit mit der Linkspartei in den westdeutschen Ländern zunächst ausschloss und dann doch seinen Segen dazu gab, dass Andrea Ypsilanti nicht dazu gebracht werden konnte, erst einmal ernsthaft über eine Große Koalition ohne Roland Koch zu verhandeln - das wird auch als Fehler der Parteiführung in der Hauptstadt gewertet. Und Kurt Beck war schnell klar geworden, dass er mit seinem Kursschwenk die Glaubwürdigkeit seiner Partei allzu sehr strapaziert hatte.
"Das war ein Fehler. Ich sage auch: Alten Fuhrleuten passiert mal ein Fehler. Aber die Tatsache, dass diese Klärung herbeigeführt werden musste, das war kein Fehler."
Aber ist der Umgang der SPD mit den Linken wirklich geklärt? Franz Müntefering möchte das Thema abhaken. Vor Weihnachten ging er sogar in die Offensive: "Jeder sozialdemokratische Ministerpräsident mehr ist gut für unser Land", proklamierte der Parteichef und ermunterte geradezu, Koalitionen mit der Linken anzustreben. Die Bundestagswahl wird nicht an der Frage entschieden, ob es irgendwo ein rot-rotes Bündnis im Land gibt, davon ist Müntefering überzeugt. Allerdings dürfte es die Union genüsslich ausschlachten, wenn einen Monat vorher Sozialdemokrat Heiko Maas gemeinsam mit den Linken die Regierung an der Saar übernehmen könnte. Sollte in Saarbrücken gar Oskar Lafontaine gewinnen und die SPD als Juniorpartner in die Regierung holen - denkbar ist bei den Saarländern vieles - dann hätte auch Berlin wieder ein ernsthaftes Problem. Seit gestern aber hat Müntefering erst einmal ein ganz anderes:
"Ich glaube, dass Schwarz-Gelb selbst jetzt wieder dabei ist, dieses Lager vorzubereiten. "
Der Lagerwahlkampf. Links gegen bürgerlich: mit dem Sieg einer schwarz-gelben Regierung in Hessen scheint er zu Beginn des Superwahljahres wieder Gestalt anzunehmen. CDU-Chefin Angela Merkel:
"Ich sage, dass das Regierungsbündnis, das gestern eine Mehrheit bekommen hat, ein Regierungsbündnis ist, das wir uns auch für die Zeit nach der Großen Koalition vorstellen können und deshalb halte ich das für ein gutes Signal."
Tatsächlich könnte es für die SPD schwer werden, dem Wähler glaubhaft zu versichern, dass es für die alte bürgerliche Mehrheit in Deutschland keine Zukunft mehr geben soll. Hessen ein Sonderfall. Mit diesem Hinweis kommt auch Thorsten Schäfer-Gümbel seinen Freunden in Berlin zu Hilfe. Von einer Signalwirkung für den Bund will er jedenfalls nichts wissen:
"Deswegen sage ich auch allen, die jetzt glauben, dass sie das hessische Ergebnis auf die Bundesebene übertragen können, dass ich ihnen viel Spaß bei der Träumerei wünsche. Wer daraus wirklich allen Ernstes versucht, einen Bundestrend abzuleiten, dass Menschen massenhaft von der SPD abgewandert sind, weil sie über uns enttäuscht waren, daraus eine Zustimmung zu einer großbürgerlichen Politik abzuleiten, das halte ich für sehr verwegen."
Und wenn es für Schwarz-gelb im September nicht reicht, da ist der Sozialdemokrat Müntefering sicher, wird sich Guido Westerwelle einer Ampelkoalition mit SPD und Grünen nicht verweigern. Diesmal werde alles anders laufen als 2005, als Müntefering die Freien Demokraten zu Koalitionsgesprächen aufforderte:
"Damals hat mir Westerwelle wieder geschrieben, er redet nicht mehr mit mir und das wird er nicht noch mal tun. Ich glaube, dass er auch seine Partei in eine Regierung führen will."
Die Sozialdemokraten wollen sich bis zur Bundestagswahl als starke Kraft in der Großen Koalition präsentieren, die dafür sorgt, dass die Freie Marktwirtschaft in Zeiten der Finanz- und Wirtschaftskrise nicht völlig aus dem Ruder läuft. Gern erinnern sie jetzt an das Wahlprogramm von Union und FDP bei der letzten Bundestagswahl:
"Schwarz-Gelb hat 2005 eine Position bezogen, der sie ja nicht abgeschworen haben, sondern die sie nicht umsetzen konnten, weil die Mehrheitsverhältnisse anders waren. Dazu gehört das Schleifen der Arbeitnehmerrechte und dazu gehört eben, dass der Wettbewerb in der Wirtschaft möglichst ohne Regeln sein soll. Diese Konstellation ist besonders wenig geeignet, die Antwort zu geben auf das, was im Weiteren zu tun ist, denn wir werden ja auch noch darüber zu reden haben. was denn eigentlich zu tun ist, damit in Zukunft solches Desaster nicht mehr passieren kann und welche Regeln man denn eigentlich finden muss für die Finanzmärkte."
Auffällig ist, wie behutsam der SPD-Chef trotz aller Vorbehalte gegenüber dem FDP-Vorsitzenden mit den Liberalen umgeht. Dies geht bis hin zur Wortwahl - von "neoliberaler Politik" spricht Müntefering nur noch im kleinen Kreis. Anders bei öffentlichen Auftritten wie heute im Willy-Brandt-Haus.
"Die Menschen wollen nicht, dass marktradikale Positionen dieses Land bestimmen."
Dass sich die Freien Demokraten ihrer Verantwortung bewusst sind, darauf setzt nun auch Müntefering. Zwar hat die Große Koalition ihre Mehrheit im Bundesrat verloren, dennoch kann sich niemand so recht vorstellen, dass sich die Liberalen ernsthaft dem Konjunkturpaket der Bundesregierung widersetzen werden. Eine Hoffnung, die durchaus berechtigt erscheint, wenn man die heutige Ankündigung von FDP-Chef Westerwelle hört.
"Wir werden eine konstruktive Rolle im Bundesrat spielen. Wir werden dabei ganz solide vorgehen, klug die Gespräche führen, uns selbst nicht überschätzen, aber natürlich auch mit Nachdruck auf eine Entlastung der Bürgerinnen und Bürger hinwirken, damit derjenige, der arbeitet, in Deutschland nicht länger der Dumme ist."
Eine Gefahr dürfte also für die Große Koalition von der FDP trotz der veränderten Bundesratsverhältnisse nicht ausgehen. Zu groß wäre für Westerwelle die Gefahr, sich mit der Krisen-Kanzlerin anzulegen und dabei am Ende doch wieder Kredit bei den Wählern zu verspielen. Ähnliches gilt für die Sozialdemokraten. So sehr sich viele in der Partei auch einen angriffslustigeren Kanzlerkandidaten wünschen, hat Vizekanzler Frank-Walter Steinmeier kaum eine Alternative dazu, verantwortungsbewusst gemeinsam mit der Union gegen die Rezession anzuarbeiten.
Steinmeier bewies in der vergangenen Woche eindrucksvoll, wie sehr er einträchtig mit der Kanzlerin ganz auf Staatsmann machen kann - die Königsdisziplin eines Außenministers. Wie sie in dieser Konstellation aus dem Umfragetief herauskommen wollen, um im September vor der Union stärkste Fraktion zu werden und den Kanzler stellen zu können, ist auch den Parteistrategen ein Rätsel. Manch einer hofft auf Fehler Merkels. Viele wollen einen Keil zwischen CDU und CSU treiben und demonstrieren, wie konfliktscheu die Kanzlerin agiert. Insgeheim aber hat mancher Sozialdemokrat die Kanzlerschaft längst begraben. Die Fortsetzung der Großen Koalition mit einem Juniorpartner SPD, vom Parteivorsitzenden immer wieder als Option ins Spiel gebracht, dürfte die realistischste Variante sein, um den Machtverlust für die Genossen zu verhindern. "Opposition ist Mist!" - ein altes Münte-Bonmot. Groß ist seine Sorge, dass seine SPD in der Opposition neben der Linkspartei weiter marginalisiert werden könnte. Über das Bündnis mit der Union hat er sich schon als Arbeitsminister und Vizekanzler sehr wohlwollend geäußert:
"Wenn es sie mal nicht mehr geben wird, die Große Koalition, werden sich viele im Land umsehen und die Leistung der Großen Koalition werten - und sie werden sagen: Da kannste echt nich meckern."
Warum also nicht weitermachen? "In dieser Zeit der Wirtschaftskrise ist es gar nicht so schlecht, eine Große Koalition zu haben", hat kürzlich erst SPD-Vize Peer Steinbrück erklärt. Die Bundespräsidentenwahl steht dem im übrigen nicht mehr im Wege. Attacken aus der Union, weil eine Sozialdemokratin mit den Stimmen der Linkspartei zur Präsidentin gewählt würde, habe sich endgültig erübrigt. Mit der Hessen-Wahl haben sich die Mehrheitsverhältnisse in der Bundesversammlung so verschoben, dass die Wiederwahl Horst Köhlers ausgemacht sein dürfte. Gesine Schwan ist wieder einmal nicht mehr als eine Zählkandidatin.
Inwieweit tatsächlich eine bundesweite SPD-Schwäche und eine FDP-Stärke aus den neuen hessischen Verhältnissen abzuleiten ist, wird sich erst am 7. Juni zeigen. Bei der Europawahl. Und auch da gibt es wieder die bekannten eigenen Gesetzmäßigkeiten.