- "Leck mich am Arsch!
- Wie bitte?
- So lautet der erste Satz eines Buches, das es gleich zu feiern gilt. Weit drüben, drunten in Kalifornien. Hierzulande ist das anders.
- Hier beginnen die besten Krimis mit Sätzen wie: "Regen prasselte auf die Gartentische vor der offenen Tür. Kirchenglocken läuteten."
- Auch nicht schlecht.
- Die Krimikolumne: heute mit echten kalifornischen Hippies, grantigen bayrischen Wirtshausbedienungen, ein paar waschecht rekonstruierten Nazis und einem Krimi des Jahres 2012, der natürlich aus Nigeria kommt.
- Jetzt und für immerdar auf dem Kriminalsender ihres Vertrauens, nur echt mit dem Rezensenten.
- Wir beginnen mit einem kleinen Wunder und steigern uns dann langsam.
- Das kleine Wunder ist ein ganz kleiner Taschenbuchband aus dem Knaur-Verlag. Kostenpunkt Acht Euro 99, wofür es nicht mal ein geschmackvolles Cover gibt, sondern nur eine nackte Glühbirne fotografiert wird, die schief von der Decke hängt.
- Oben auf der Seite der Name des Autors:
- Friedrich Ani.
- Darunter der Titel des Billig-Bändchens: "Süden und das heimliche Leben"
- Tabor Süden heißt Friedrich Anis bester Held. Früher arbeitete er in der Vermisstenstelle bei der Polizei, jetzt in ähnlicher Funktion in einer Detektei. Manchmal schläft er mit seiner Vorgesetzten. Seinen Vornamen nennt er mittlerweile nicht mehr. Auf die Frage, woher der komische Name "Süden" kommt, antwortet er: "von den Eltern."
- Unser Rezensent wagt gleich mal eine steile These:
"Wenn es irgendetwas gibt, das von der deutschen Krimiszene in einem halben Jahrhundert noch Bestand hat, dann werden das die Süden-Krimis von Friedrich Ani sein."
- Das schreit nach einer Begründung!
- Es gibt sicherlich raffiniertere Schriftsteller als Friedrich Ani. Es gibt kompliziertere Fälle, brutalere Mörder und originellere Kommissare. Friedrich Ani hat sich in den letzten Jahren etwas anderes erschrieben: Seinen Worten, seinen Sätzen, seinen Geschichten haftet mittlerweile eine derart erhabene Selbstverständlichkeit an, dass es schwer fällt, hier nicht an die ganz großen Klassiker wie Simenon zu denken.
"Ani ist der große Bewahrer des deutschen Krimis."
- Hinzu kommt das sympathische Beharren Anis, nicht nur die großen Romane zur Zeit schreiben zu wollen - das tut er auch; letztes Jahr erst wurde sein großer Roman "Süden" zu Recht mit dem "Deutschen Krimi Preis" geehrt.
- Nein, mit noch viel größerer Freude scheint Ani die kleinen schmalen, schmuddeligen Bändchen zu schreiben, die dann für Acht 99 verkauft werden und allein deshalb in keiner Bestsellerliste vorkommen, aber in jede Arschtasche passen und in keiner U-Bahn auffallen.
- Und in diesen Bänden ist Ani frei. Selten hat man die Atmosphäre mittags in einer bayerischen Kneipe, wenn die Augen der Stammgäste schon glasig und die Sprüche unbedarfter werden, besser und authentischer beschrieben gesehen als hier in der Eingangsszene von "Süden und das heimliche Leben".
- Ilka, die Kellnerin der Münchner Kneipe, ist verschwunden, ihre Stammgäste haben gesammelt und wollen Südens Detektei beauftragen, sie zu suchen. Auch Süden kann sich dem Sog des Bieres nicht entziehen, er ist - wie es Ani gerne nennt - schließlich ziemlich "bebiert". Er nimmt 1000 Euro entgegen und den Fall an.
- Um es noch einmal klar auszudrücken: Auch wenn die Süden-Taschenbücher von Friedrich Ani sich den äußeren Anschein geben: hinter dem trashigen Äußeren verbirgt sich kein Schund, sondern sensible Krimi-Literatur, die ohne jeden Massenmörder, fast ohne Gewalt und Leichen, ohne weltumspannende Verschwörungen oder sensationelle Enthüllungen auskommt.
- Hier setzt einer auf die alltäglichen Abgründe der Seele und die Brüche in den menschlichen Biografien, um daraus literarisches Kapital zu schlagen. Und er macht sich auf dem Buchmarkt ganz klein und billig, auf dass ihm keiner dreinredet.
- Nur unser Rezensent hat ihn erspäht und kürt Friedrichs Anis Nebenwerk "Süden und das heimliche Leben" ...
"Zu meinem deutschsprachigen Krimi des vergangenen Jahres."
- Bei aller Kunstfertigkeit des Ani’schen Schreibens: Friedrich Ani ist Traditionalist. Er schreibt, wie Stifter nicht schöner hätte schreiben können, realistisch, klar und wie ein großer Klassiker.
- Es geht natürlich auch anders.
"Ganz anders, aber genau so gut."
- Don Winslow ist auf internationaler Ebene das, was Friedrich Ani, der auch gerne Drehbücher für Dominik Graf schreibt, für Deutschland ist: ein Schatzsucher für ergreifende Stoffe, die dann das Fernsehen oder das Kino ausnutzt. Auch Winslow ist ein großer Stilist, ein kalifornisches Urvieh, so wie der Ani Fritz ein bayerisches ist.
- "Savages" hieß der große Kinofilm von Oliver Stone, der letzten Herbst die Kinos der Welt beglückte: Die Geschichte der kalifornischen Drogenhändler Ben und Chon und ihrer truffautartig nymphenhaften Freundin O, die beide gleichzeitig lieben und die sie beide gerne beglückt. Als Buch hieß dieses Meisterwerk "Zeit des Zorns".
- Aber weil dessen Helden am Ende des Buches in ein morphiumgesättigtes Nirwana eingehen, war an eine Fortsetzung dieses fantastischen Buches leider nicht zu denken.
- Und so dichtete Winslow das, was man ein Prequel nennt, die Vorgeschichte zum großen Showdown. Eine Gebrauchsanweisung wie man in Kalifornien erfolgreicher Drogenhändler wird und was für Eltern man als ein solcher gehabt haben sollte, damals in Hippie-Kalifornien, als die Welt begann modern zu werden.
- Winslows neuer Band, "Kings of Cool", grandios übersetzt von Conny Lösch, und erschienen bei Suhrkamp, ist eine Archäologie des "Californian Dream" geworden. Niedergelegt in jenem abartig freien Stil, den sich Winslow in den letzten Jahren erarbeitet hat und der ihn zu einem der größten experimentellen Literaten unter den Krimiautoren hat werden lassen.
- Manchmal ist bei Winslow ein Kapitel nur vier Wörter lang, ein Fluch wie Eingangs dieser Kolumne. Manchmal ist es eine Passage aus einem Drehbuch. Manchmal ist es ein Gedicht.
"Lyrik im Krimi?"
- Das ganze Kapitel 79 lautet auf acht Gedichtzeilen verteilt:
"Wer weiß
ob
Aufrichtigkeit Risse bekommt
oder sich auflöst.
Der Fluss der Zeit nagt an seinen Ufern bis sie
bröckeln
Scheinbar plötzlich.
Nur scheinbar."
- Klingt gut.
- Ist gut.
- Und klingt noch besser, wenn es eingebettet ist in einen harten, orginellen, schnellen, freizügigen, fantastischen Drogenkrimi, der zudem historische Ambitionen hat. Die Handlung ist da zweitrangig, immerhin spannend. Auch wenn sie in etwa so läuft, wie Geschichten über Drogenbarone normalerweise ablaufen: Es gibt scharfe Frauen, korrupte Polizisten, ein bizarres Mastermind, einen brutalen Schläger und hin und wieder eine Orgie.
"Trotzdem: mein amerikanischer Krimi 2012!"
- Verkündet vollmundig unser Rezensent anlässlich von Don Winslows Prequel zu einem Meisterwerk, das "Kings of Cool" benamt ist und - rundherum in edles Schwarz gewandet - in der neuen Reihe Suhrkamp nova erschienen ist.
- Und damit weiter mit jener absurden Frage, die am Wechsel der Jahre allzu gerne an Rezensenten gestellt wird:
- Was, geneigter Rezensent, waren denn Ihre Krimis des vergangenen Jahres?
"Friedrich Ani und Don Winslow sind vorne mit dabei!"
- Und sonst? Jenseits von Deutschland und Amerika?
"Überraschung des Jahres eindeutig: Helon Habila, Öl auf Wasser."
- Der Nigerianer Helon Habila hat den verblüffendsten und - wie hier in der Kolumne bereits erwähnt - den erschütterndsten Thriller 2012 geschrieben: Die Geschichte zweier Männer, die im Nildelta nach einer von Rebellen entführten Frau suchen. Eine Geschichte so kraftvoll und irritierend wie "Apocalypse now" oder dessen literarisches Vorbild: Joseph Conrads "Herz der Finsternis".
- Nigeria: Ein verwüstetes Land, ein finsteres Land, eine korrupte Armee, ohnmächtige Landbewohner, überall Waffen und das krakenhafte Unheil des großen Geldes, das mit dem Öl in ein unterentwickeltes Land schwemmt. Ein Land, in dem ein Leben nichts zählt, vor allem nicht, wenn es in dunkler Haut dahin vegetiert, in einem Land, in dem die Interessen von Öl-Konzernen und fremden Investoren alles bestimmen.
- "Öl auf Wasser" ist gleichzeitig Thriller, Abenteuerroman und eine Dokumentation darüber, wo das Böse in der Welt sich auslebt. Ein gutes Buch, ein wichtiges Buch, eines der wenigen Bücher, die es aus Afrika zu uns schaffen konnten. Eine dunkle Offenbarung.
- Ich wiederhole gerne zum merken oder mitschreiben: Helon Habila. Öl auf Wasser, übersetzt von Thomas Brückner, erschienen im Verlag Afrika Wunderhorn.
"Unbedingt lesen."
- Nicht fehlen darf nach so viel Wichtigem:
- Das Ärgernis des Jahres:
"Der fortgesetzte Triumphzug der Provinzkrimis."
- Fast am erfolgreichsten und zugleich am ärgerlichsten und stellvertretend für alle stehe hier: Rita Falk, die mit "Griesnockerlaffäre" gerade ihre bei - man höre" - dtv-premium (!) erscheinende Erfolgsserie von "Winterkartoffelknödel", "Dampfnudelblues" und "Schweinskopf al dente" ins Bodenlose fortgeführt hat.
- Diesmal - wie das Impressum verheißt - "Mit Glossar und Originalrezepten von der Oma" und voll mit einer unerträglich aufgesetzten, schablonenhaften Lustigkeit, gegen die ein Komödienstadel wie Dantes "Göttliche Komödie" wirkt.
- Oder was würden Sie von einem Buch denken, in dessen Glossar das bayrische Wort "schnackseln" übersetzt wird mit:
- "Schnackseln ... pimpern, nudeln, ihr wisst schon"
"Nein, ich will es nicht wissen! - Nicht von Rita Falk. Kein Wort mehr."
- Vor allem nicht, weil es 2012 auch traumwandlerisch schöne Bücher gab: Zum Beispiel "Das schwarze Korps" der Französin Dominique Manotti, die sich immer mehr als eine der führenden Krimiautoren der gegenwärtigen Welt herauskristallisiert.
- "Manottis "Das Schwarze Korps" beginnt am Tag der Landung der Alliierten in der Normandie und spielt in Paris. Manottis Thema ist nicht die Résistance, sondern es sind die Kollaborateure, die Wirtschaftsmagnaten, die zweifelhaften, aber angesehenen Gestalten, die in jedem System nicht nur überleben, sondern rücksichtslos ihr Geld verdienen oder ihre Macht behalten.
- Paris 1944 ist eine eigenartige Stadt. "Ein Abenteuerland, wo alles möglich war", nennt es die Manotti und beschreibt genüsslich Salons, Gewalt und Gelage, Nazis und Kriegsgewinnler und der Champagner der zwischen all diesen Gestalten fließt.
- Zwischen allen Fronten, den Toten, dem Generalstreik in Paris, einer Riesenladung Champagner, die ihren Besitzer wechseln soll, zwischen all den Bomben und der Orientierungslosigkeit bleiben zwei Liebende, mit deren Akt am Tag der Befreiung von Paris das Buch am 25. August 1944 buchstäblich orgiastisch endet.
- Ein literarisches Ereignis, intelligenter kann historische Literatur nicht sein, und packender kein Krimi.
- Jubelt unser Rezensent über seinen europäischen Krimi des Jahres 2012, Dominique Manottis "Das schwarze Korps", ein Buch für die Ewigkeit, übersetzt von Andrea Stephani, erschienen als ariadne-Krimi im Argument-Verlag.
"Einen hätte ich noch!"
- Einen Krimi?
"Nicht ganz. Einen Band, der das Genre quasi transzendiert."
- Albert Ostermaiers bei Suhrkamp erschienenes Bändchen "Die Liebende", das beileibe kein Krimi ist, sondern eine Art mythische Hymne, die - allerdings angeregt von französischen Film Noir Krimis - im ganz hohen Ton davon erzählt, wie ein Kommissar eine Frau verhört. Zitat:
- "Als sie saß, kam er kurz in den Raum, grüßte nicht, sprach kein Wort, legte nur das Foto vor sie auf den Tisch, drückte auf das Aufnahmegerät, blickte sie an und ließ sie allein."
- Was der Kommissar Oliver dann aber zu hören bekommt, ist kein Geständnis, sondern eine seitenlange zitatenreiche Meditation über das Leben und die Liebe. Auch hier ein Zitat:
- "Die eisigen Morgen, an denen es noch schwarz vor den Augen ist, bei gestochener Luft - wenn die Lampen aufblitzen und die ersten Schlaflosen und die Trinker, die die Nacht noch nicht freigelassen hat, an der Bar stehen wie Verschwörer, Verbrecher -, geben einem die Illusion, der kommende Tag werde ein Abenteuer sein, wie es in meinem Buche steht."
- Albert Ostermaiers "Die Liebende" sei all denjenigen ans Herz gelegt, die wenig Interesse an einer Krimikolumne haben, sondern mal wieder gern als Gegengift gegen komplizierte Fälle ein kompliziertes Buch lesen wollen.
"Selbst ich brauch das ab und zu."
- Gesteht unser Rezensent, wobei erwähnt werden muss, dass der erdverbundene Ani, mit dem standesgemäß diese Kolumne begann, und der ätherische Ostermaier, jener Visionär eines lyrischen Tons in der Literatur, jene Antipoden der Kunst, im wahren Leben die besten Freunde sind.
- Wenn sie aber Albert Ostermaier für zu abgedreht, Friedrich Ani für zu normal und afrikanische Krimis generell für unlesbar halten, und auch den ganzen Hype um die fantastische Schriftstellerin namens Manotti nicht mehr hören können, dann sind sie ein hoffnungsloser Fall, für den gilt auch an diesem Tag, was hier in dieser Kolumne seit jeher gilt.
Besprochene Bücher:
Rita Falk: "Griessnockerl Affäre", dtv premium, München
Helon Habila: "Öl auf Wasser", Verlag Das Wunderhorn, Heidelberg
Dominique Manotti, "Das schwarze Korps", Argument, Hamburg
Albert Ostermaier, "Die Liebende", Suhrkamp, Berlin
Don Winslow, "Kings of Cool", Suhrkamp, Berlin
- Wie bitte?
- So lautet der erste Satz eines Buches, das es gleich zu feiern gilt. Weit drüben, drunten in Kalifornien. Hierzulande ist das anders.
- Hier beginnen die besten Krimis mit Sätzen wie: "Regen prasselte auf die Gartentische vor der offenen Tür. Kirchenglocken läuteten."
- Auch nicht schlecht.
- Die Krimikolumne: heute mit echten kalifornischen Hippies, grantigen bayrischen Wirtshausbedienungen, ein paar waschecht rekonstruierten Nazis und einem Krimi des Jahres 2012, der natürlich aus Nigeria kommt.
- Jetzt und für immerdar auf dem Kriminalsender ihres Vertrauens, nur echt mit dem Rezensenten.
- Wir beginnen mit einem kleinen Wunder und steigern uns dann langsam.
- Das kleine Wunder ist ein ganz kleiner Taschenbuchband aus dem Knaur-Verlag. Kostenpunkt Acht Euro 99, wofür es nicht mal ein geschmackvolles Cover gibt, sondern nur eine nackte Glühbirne fotografiert wird, die schief von der Decke hängt.
- Oben auf der Seite der Name des Autors:
- Friedrich Ani.
- Darunter der Titel des Billig-Bändchens: "Süden und das heimliche Leben"
- Tabor Süden heißt Friedrich Anis bester Held. Früher arbeitete er in der Vermisstenstelle bei der Polizei, jetzt in ähnlicher Funktion in einer Detektei. Manchmal schläft er mit seiner Vorgesetzten. Seinen Vornamen nennt er mittlerweile nicht mehr. Auf die Frage, woher der komische Name "Süden" kommt, antwortet er: "von den Eltern."
- Unser Rezensent wagt gleich mal eine steile These:
"Wenn es irgendetwas gibt, das von der deutschen Krimiszene in einem halben Jahrhundert noch Bestand hat, dann werden das die Süden-Krimis von Friedrich Ani sein."
- Das schreit nach einer Begründung!
- Es gibt sicherlich raffiniertere Schriftsteller als Friedrich Ani. Es gibt kompliziertere Fälle, brutalere Mörder und originellere Kommissare. Friedrich Ani hat sich in den letzten Jahren etwas anderes erschrieben: Seinen Worten, seinen Sätzen, seinen Geschichten haftet mittlerweile eine derart erhabene Selbstverständlichkeit an, dass es schwer fällt, hier nicht an die ganz großen Klassiker wie Simenon zu denken.
"Ani ist der große Bewahrer des deutschen Krimis."
- Hinzu kommt das sympathische Beharren Anis, nicht nur die großen Romane zur Zeit schreiben zu wollen - das tut er auch; letztes Jahr erst wurde sein großer Roman "Süden" zu Recht mit dem "Deutschen Krimi Preis" geehrt.
- Nein, mit noch viel größerer Freude scheint Ani die kleinen schmalen, schmuddeligen Bändchen zu schreiben, die dann für Acht 99 verkauft werden und allein deshalb in keiner Bestsellerliste vorkommen, aber in jede Arschtasche passen und in keiner U-Bahn auffallen.
- Und in diesen Bänden ist Ani frei. Selten hat man die Atmosphäre mittags in einer bayerischen Kneipe, wenn die Augen der Stammgäste schon glasig und die Sprüche unbedarfter werden, besser und authentischer beschrieben gesehen als hier in der Eingangsszene von "Süden und das heimliche Leben".
- Ilka, die Kellnerin der Münchner Kneipe, ist verschwunden, ihre Stammgäste haben gesammelt und wollen Südens Detektei beauftragen, sie zu suchen. Auch Süden kann sich dem Sog des Bieres nicht entziehen, er ist - wie es Ani gerne nennt - schließlich ziemlich "bebiert". Er nimmt 1000 Euro entgegen und den Fall an.
- Um es noch einmal klar auszudrücken: Auch wenn die Süden-Taschenbücher von Friedrich Ani sich den äußeren Anschein geben: hinter dem trashigen Äußeren verbirgt sich kein Schund, sondern sensible Krimi-Literatur, die ohne jeden Massenmörder, fast ohne Gewalt und Leichen, ohne weltumspannende Verschwörungen oder sensationelle Enthüllungen auskommt.
- Hier setzt einer auf die alltäglichen Abgründe der Seele und die Brüche in den menschlichen Biografien, um daraus literarisches Kapital zu schlagen. Und er macht sich auf dem Buchmarkt ganz klein und billig, auf dass ihm keiner dreinredet.
- Nur unser Rezensent hat ihn erspäht und kürt Friedrichs Anis Nebenwerk "Süden und das heimliche Leben" ...
"Zu meinem deutschsprachigen Krimi des vergangenen Jahres."
- Bei aller Kunstfertigkeit des Ani’schen Schreibens: Friedrich Ani ist Traditionalist. Er schreibt, wie Stifter nicht schöner hätte schreiben können, realistisch, klar und wie ein großer Klassiker.
- Es geht natürlich auch anders.
"Ganz anders, aber genau so gut."
- Don Winslow ist auf internationaler Ebene das, was Friedrich Ani, der auch gerne Drehbücher für Dominik Graf schreibt, für Deutschland ist: ein Schatzsucher für ergreifende Stoffe, die dann das Fernsehen oder das Kino ausnutzt. Auch Winslow ist ein großer Stilist, ein kalifornisches Urvieh, so wie der Ani Fritz ein bayerisches ist.
- "Savages" hieß der große Kinofilm von Oliver Stone, der letzten Herbst die Kinos der Welt beglückte: Die Geschichte der kalifornischen Drogenhändler Ben und Chon und ihrer truffautartig nymphenhaften Freundin O, die beide gleichzeitig lieben und die sie beide gerne beglückt. Als Buch hieß dieses Meisterwerk "Zeit des Zorns".
- Aber weil dessen Helden am Ende des Buches in ein morphiumgesättigtes Nirwana eingehen, war an eine Fortsetzung dieses fantastischen Buches leider nicht zu denken.
- Und so dichtete Winslow das, was man ein Prequel nennt, die Vorgeschichte zum großen Showdown. Eine Gebrauchsanweisung wie man in Kalifornien erfolgreicher Drogenhändler wird und was für Eltern man als ein solcher gehabt haben sollte, damals in Hippie-Kalifornien, als die Welt begann modern zu werden.
- Winslows neuer Band, "Kings of Cool", grandios übersetzt von Conny Lösch, und erschienen bei Suhrkamp, ist eine Archäologie des "Californian Dream" geworden. Niedergelegt in jenem abartig freien Stil, den sich Winslow in den letzten Jahren erarbeitet hat und der ihn zu einem der größten experimentellen Literaten unter den Krimiautoren hat werden lassen.
- Manchmal ist bei Winslow ein Kapitel nur vier Wörter lang, ein Fluch wie Eingangs dieser Kolumne. Manchmal ist es eine Passage aus einem Drehbuch. Manchmal ist es ein Gedicht.
"Lyrik im Krimi?"
- Das ganze Kapitel 79 lautet auf acht Gedichtzeilen verteilt:
"Wer weiß
ob
Aufrichtigkeit Risse bekommt
oder sich auflöst.
Der Fluss der Zeit nagt an seinen Ufern bis sie
bröckeln
Scheinbar plötzlich.
Nur scheinbar."
- Klingt gut.
- Ist gut.
- Und klingt noch besser, wenn es eingebettet ist in einen harten, orginellen, schnellen, freizügigen, fantastischen Drogenkrimi, der zudem historische Ambitionen hat. Die Handlung ist da zweitrangig, immerhin spannend. Auch wenn sie in etwa so läuft, wie Geschichten über Drogenbarone normalerweise ablaufen: Es gibt scharfe Frauen, korrupte Polizisten, ein bizarres Mastermind, einen brutalen Schläger und hin und wieder eine Orgie.
"Trotzdem: mein amerikanischer Krimi 2012!"
- Verkündet vollmundig unser Rezensent anlässlich von Don Winslows Prequel zu einem Meisterwerk, das "Kings of Cool" benamt ist und - rundherum in edles Schwarz gewandet - in der neuen Reihe Suhrkamp nova erschienen ist.
- Und damit weiter mit jener absurden Frage, die am Wechsel der Jahre allzu gerne an Rezensenten gestellt wird:
- Was, geneigter Rezensent, waren denn Ihre Krimis des vergangenen Jahres?
"Friedrich Ani und Don Winslow sind vorne mit dabei!"
- Und sonst? Jenseits von Deutschland und Amerika?
"Überraschung des Jahres eindeutig: Helon Habila, Öl auf Wasser."
- Der Nigerianer Helon Habila hat den verblüffendsten und - wie hier in der Kolumne bereits erwähnt - den erschütterndsten Thriller 2012 geschrieben: Die Geschichte zweier Männer, die im Nildelta nach einer von Rebellen entführten Frau suchen. Eine Geschichte so kraftvoll und irritierend wie "Apocalypse now" oder dessen literarisches Vorbild: Joseph Conrads "Herz der Finsternis".
- Nigeria: Ein verwüstetes Land, ein finsteres Land, eine korrupte Armee, ohnmächtige Landbewohner, überall Waffen und das krakenhafte Unheil des großen Geldes, das mit dem Öl in ein unterentwickeltes Land schwemmt. Ein Land, in dem ein Leben nichts zählt, vor allem nicht, wenn es in dunkler Haut dahin vegetiert, in einem Land, in dem die Interessen von Öl-Konzernen und fremden Investoren alles bestimmen.
- "Öl auf Wasser" ist gleichzeitig Thriller, Abenteuerroman und eine Dokumentation darüber, wo das Böse in der Welt sich auslebt. Ein gutes Buch, ein wichtiges Buch, eines der wenigen Bücher, die es aus Afrika zu uns schaffen konnten. Eine dunkle Offenbarung.
- Ich wiederhole gerne zum merken oder mitschreiben: Helon Habila. Öl auf Wasser, übersetzt von Thomas Brückner, erschienen im Verlag Afrika Wunderhorn.
"Unbedingt lesen."
- Nicht fehlen darf nach so viel Wichtigem:
- Das Ärgernis des Jahres:
"Der fortgesetzte Triumphzug der Provinzkrimis."
- Fast am erfolgreichsten und zugleich am ärgerlichsten und stellvertretend für alle stehe hier: Rita Falk, die mit "Griesnockerlaffäre" gerade ihre bei - man höre" - dtv-premium (!) erscheinende Erfolgsserie von "Winterkartoffelknödel", "Dampfnudelblues" und "Schweinskopf al dente" ins Bodenlose fortgeführt hat.
- Diesmal - wie das Impressum verheißt - "Mit Glossar und Originalrezepten von der Oma" und voll mit einer unerträglich aufgesetzten, schablonenhaften Lustigkeit, gegen die ein Komödienstadel wie Dantes "Göttliche Komödie" wirkt.
- Oder was würden Sie von einem Buch denken, in dessen Glossar das bayrische Wort "schnackseln" übersetzt wird mit:
- "Schnackseln ... pimpern, nudeln, ihr wisst schon"
"Nein, ich will es nicht wissen! - Nicht von Rita Falk. Kein Wort mehr."
- Vor allem nicht, weil es 2012 auch traumwandlerisch schöne Bücher gab: Zum Beispiel "Das schwarze Korps" der Französin Dominique Manotti, die sich immer mehr als eine der führenden Krimiautoren der gegenwärtigen Welt herauskristallisiert.
- "Manottis "Das Schwarze Korps" beginnt am Tag der Landung der Alliierten in der Normandie und spielt in Paris. Manottis Thema ist nicht die Résistance, sondern es sind die Kollaborateure, die Wirtschaftsmagnaten, die zweifelhaften, aber angesehenen Gestalten, die in jedem System nicht nur überleben, sondern rücksichtslos ihr Geld verdienen oder ihre Macht behalten.
- Paris 1944 ist eine eigenartige Stadt. "Ein Abenteuerland, wo alles möglich war", nennt es die Manotti und beschreibt genüsslich Salons, Gewalt und Gelage, Nazis und Kriegsgewinnler und der Champagner der zwischen all diesen Gestalten fließt.
- Zwischen allen Fronten, den Toten, dem Generalstreik in Paris, einer Riesenladung Champagner, die ihren Besitzer wechseln soll, zwischen all den Bomben und der Orientierungslosigkeit bleiben zwei Liebende, mit deren Akt am Tag der Befreiung von Paris das Buch am 25. August 1944 buchstäblich orgiastisch endet.
- Ein literarisches Ereignis, intelligenter kann historische Literatur nicht sein, und packender kein Krimi.
- Jubelt unser Rezensent über seinen europäischen Krimi des Jahres 2012, Dominique Manottis "Das schwarze Korps", ein Buch für die Ewigkeit, übersetzt von Andrea Stephani, erschienen als ariadne-Krimi im Argument-Verlag.
"Einen hätte ich noch!"
- Einen Krimi?
"Nicht ganz. Einen Band, der das Genre quasi transzendiert."
- Albert Ostermaiers bei Suhrkamp erschienenes Bändchen "Die Liebende", das beileibe kein Krimi ist, sondern eine Art mythische Hymne, die - allerdings angeregt von französischen Film Noir Krimis - im ganz hohen Ton davon erzählt, wie ein Kommissar eine Frau verhört. Zitat:
- "Als sie saß, kam er kurz in den Raum, grüßte nicht, sprach kein Wort, legte nur das Foto vor sie auf den Tisch, drückte auf das Aufnahmegerät, blickte sie an und ließ sie allein."
- Was der Kommissar Oliver dann aber zu hören bekommt, ist kein Geständnis, sondern eine seitenlange zitatenreiche Meditation über das Leben und die Liebe. Auch hier ein Zitat:
- "Die eisigen Morgen, an denen es noch schwarz vor den Augen ist, bei gestochener Luft - wenn die Lampen aufblitzen und die ersten Schlaflosen und die Trinker, die die Nacht noch nicht freigelassen hat, an der Bar stehen wie Verschwörer, Verbrecher -, geben einem die Illusion, der kommende Tag werde ein Abenteuer sein, wie es in meinem Buche steht."
- Albert Ostermaiers "Die Liebende" sei all denjenigen ans Herz gelegt, die wenig Interesse an einer Krimikolumne haben, sondern mal wieder gern als Gegengift gegen komplizierte Fälle ein kompliziertes Buch lesen wollen.
"Selbst ich brauch das ab und zu."
- Gesteht unser Rezensent, wobei erwähnt werden muss, dass der erdverbundene Ani, mit dem standesgemäß diese Kolumne begann, und der ätherische Ostermaier, jener Visionär eines lyrischen Tons in der Literatur, jene Antipoden der Kunst, im wahren Leben die besten Freunde sind.
- Wenn sie aber Albert Ostermaier für zu abgedreht, Friedrich Ani für zu normal und afrikanische Krimis generell für unlesbar halten, und auch den ganzen Hype um die fantastische Schriftstellerin namens Manotti nicht mehr hören können, dann sind sie ein hoffnungsloser Fall, für den gilt auch an diesem Tag, was hier in dieser Kolumne seit jeher gilt.
Besprochene Bücher:
Rita Falk: "Griessnockerl Affäre", dtv premium, München
Helon Habila: "Öl auf Wasser", Verlag Das Wunderhorn, Heidelberg
Dominique Manotti, "Das schwarze Korps", Argument, Hamburg
Albert Ostermaier, "Die Liebende", Suhrkamp, Berlin
Don Winslow, "Kings of Cool", Suhrkamp, Berlin