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Kleiner Hebel, große Wirkung

Medizin. - Nach wie vor Todesursache Nummer Eins sind der akute Herzinfarkt und seine Folgen. Neue Methoden, bei akutem Herzinfarkt in den ersten Minuten der Behandlung mehr Gewebe zu retten und das stotternde Herz auf Dauer zu schützen, wurden auf der Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie in Mannheim vorgestellt.

Von Klaus Herbst |
    "Der gegenwärtige Stand der Behandlung ist, dass man bei einem akuten Koronarverschluss, was einen Myokardinfarkt erzeugt, eine Wiederöffnung des Gefäßes macht über ein Herzkatheter. Und dann lässt man eigentlich das Blut strömen","

    sagt der Kardiologe Professor Hans Michael Piper von der Universität Gießen. Mit einem Ballonkatheter lassen sich die verschlossene Herzkranzgefäße aufdehnen und wieder öffnen. Durch diesen Reperfusion genannten medizinischen Eingriff wird der Untergang von Herzgewebe in den ersten dreißig Minuten nach Beginn der Behandlung - und eventuell noch länger - deutlich vermindert. Immer häufiger gelingt es, den akuten Herztod abzuwenden, sagt Piper. Zwei innovative Verfahren sollen dazu beitragen, das kurze therapeutische Fenster noch besser zu nutzen. Mit einem körpereigenen Hormon, dem so genannten Atrialen Natriuretischen Peptid, kurz ANP, lässt sich der Schaden des mangelversorgten Herzgewebes wieder rückgängig machen, sagt Piper.

    ""Es gibt in den Herzzellen ein Enzym, die so genannte Proteinkinase G, die wird über die Gabe von ANP aktiviert. Und wir wissen durch ein Verständnis dessen, was auf zellulärer Ebene stattfindet, inzwischen, dass dadurch die Herzen von dem akuten Tod, der in der Reperfusion auch stattfinden kann, geschützt werden können."

    ANP aktiviert also ein Eiweiß, die Proteinkinase G, die den Signalverkehr in den betroffenen Herzzellen reguliert und bestenfalls wieder normalisiert. Im Tierversuch hat dies bereits Erfolg. Maximal vierzig Prozent des angegriffenen Gewebes lässt sich wieder herstellen. Der Schutz des Herzens ist von messbarer Dauer. Viele Jahre nach dem Eingriff bleibt der Herzmuskel gesund. Ob diese Ergebnisse auch in der Klinik so gut sein werden wie bei den Labortieren, dazu besteht noch Forschungsbedarf. Tagungspräsident Hans Michael Piper rechnet mit signifikanten, also deutlich messbaren Verbesserungen – vor allem wenn so früh wie möglich ein zweites neues Verfahren zum Einsatz kommt. Piper:

    "Man macht, nachdem man den Blutfluss wiederhergestellt hat, ganz kurz, in den ersten Minuten wiederum, mehrfach den Ballon auf und zu und erzeugt damit ganz kurze Zeiten der Durchblutungsunterbrechung. Und diese Art von gestotterte Ischämie, die man mit dem Namen Post-Conditioning belegt hat, die erzeugt ebenfalls einen stark protektiven Effekt, der dazu dient, den Herzinfarkt stärker zu reduzieren."

    Das Aufdehnen, das stotterartige Pumpen des Ballons am Katheter, führt zu einem sanften Wiederaufwecken des Herzens. Die Forscher verstehen, welche Signalwege durch das gewollte Stottern des Ballons angeregt werden. Die stärksten Impulse treffen auf das so genannte Sarkoplasmatische Retikulum, das ist als großer Calciumspeicher in den Zellen bekannt. Wird er angeregt, dann führt dies zur verstärkten Ausschüttung von Calcium. Calcium reguliert die Reizübertragung zwischen Nerven und dem Herzmuskel. Angeregt durch das Stottern des Ballons schüttet der Calciumspeicher wieder genügend Calcium aus, um Risse im Herzmuskel zu reparieren, glauben die Forscher. Und um weitere zu vermeiden, indem die Reperfusion, die Wiederdurchströmung, normalisiert wird. Piper:
    "Diese spezifische Therapie, die in ihrer Wirksamkeit erst jetzt klar geworden ist, in den ersten Minuten der Reperfusion ist bisher kein Teil des klinischen Repertoires. Und wir hoffen eben, dass die Erkenntnisse jetzt soweit sind, dass das bald auch in die Klinik eingeführt werden kann."

    Beide neuen Verfahren, das Einschwemmen von ANP und das gewollte Stottern des Ballons, sind für jeden Notfallarzt einfach zu erlernen, sagt Piper. Bei weiterem Forschungsbedarf wird es wohl noch etwa fünf Jahre dauern, bis die innovative Erste Hilfe beim Herzinfarkt Teil der medizinischen Routine wird.