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Kleiner Mann für junge Leser

Ein Buch mit lediglich 32 Seiten für immerhin 24 Euro 90 - kann man das ernsthaft empfehlen? Man kann - denn es handelt sich um eine Biografie Napoleons für junge Leser, bei der nicht nur die Aufmachung, sondern auch der Text zu überzeugen weiß.

Von Sandra Pfister |
    Napoleon auf 32 Seiten – für erwachsene Leser ist das lächerlich wenig, doch für Kinder im Alter von acht Jahren, wie es die Verlagsempfehlung nahe legt, ist das viel Stoff. Ob Drittklässler wirklich schon eine solche Stofffülle und so viel Kleingedrucktes bewältigen? Denn hier soll kein Personenkult betrieben, sondern der Mensch in seinen Verhältnissen dargestellt werden, wie es die Sozialgeschichte vorgemacht hat.

    Europa gegen Ende des 18. Jahrhunderts: eine Zeit mächtiger Herrscher und großer geschichtlicher Veränderungen. Der Hof des französischen Königs Ludwig XVI. ist Vorbild für alle anderen europäischen Königshäuser. Dort spricht man Französisch und trägt die Pariser Mode.
    Die politische Situation in Europa ist verwickelt genug, doch Susanne Rebscher muss auch das noch kleinteiligere Geschachere in Frankreich und Korsika bewältigen, bevor sie die Familie Buonaparte und deren zweitältesten Sohn Napoleone vorstellen kann. Absolutismus, Französische Revolution, Kaiserkrönung und Feldzüge: Das alles verwebt die erfahrene Autorin zu einem Zeitbild. Vor diesem Hintergrund zeichnet sie das Porträt Napoleons: eines ehrgeizigen Zu-kurz-Gekommenen, der in Paris seine Ausbildung macht, zum General ernannt wird, Feldherr und Kaiser wird, nebenbei auch noch Reformer – und schließlich Verbannter. Rebscher ist weit davon entfernt, in den Tonfall einer Hagiografin zu verfallen; sie beschreibt auch, wie Napoleon hochmütig wird, wann er sich verrennt. Erfrischend ist, dass die Erzählerin auch ironische Akzente setzt:

    Anschließend diktiert Napoleon Befehle, schreibt Briefe – wobei seine Rechtschreibung zu wünschen übrig lässt.
    Auch im Übrigen gelingt es ihr, die Kinder in ihrer lebensweltlichen Erfahrung abzuholen, beispielsweise bei der Schilderung der Hochzeitsanbahnung.

    Napoleon möchte heiraten. Die Bonapartes sind entsetzt. Was ist denn das bitte für eine Frau, die das Herz des Korsen gewonnen hat? Die Pariser hingegen fragen sich: Welche Frau heiratet freiwillig diesen 1,68 Meter kleinen Mann mit den fettigen Haaren, der schmuddeligen Kleidung und dem gelblichen Gesicht, das von Zuckungen heimgesucht wird?
    In dieser rhetorischen Frage verdichtet sich ein Vorzug der Rebschen Erzählweise: Zwar erzählt die Autorin streng chronologisch, zieht den Leser aber mit Fragen in eine Art Dialog hinein. Und wirft dabei genau die Fragen auf, die auch vielen von uns Erwachsenen in der Schulzeit nie ganz plausibel beantwortet worden sind.

    Frankreich ist das inzwischen mächtigste Land in Europa und Napoleon bald einer seiner größten Herrscher. Aber warum sollten die Franzosen einen Kaiser wollen, wo sie doch erst vor kurzem den König enthauptet hatten?
    Zum Gelingen trägt aber auch die äußerst üppige Ausstattung des Bandes hervor: Er ist ein Augenschmaus. Dicke, große Seiten, eingefasst von einem Umschlag, der einem alten Leder nachempfunden ist. Die Seiten lassen grafischen Elementen viel Raum: Hier durfte der Gestalter ein Arsenal an Illustrationen, zeitgenössischen Gemälden und aufwendigen Details abfeuern: eingeklebte Stofffahnen, Schiebetafeln, Heftchen und Briefe und Botschaften in Geheimschrift, die die jungen Leser selbst entschlüsseln können. Das alles in einem teuren Druck und gestochenen Farben. Das alles macht Kindern garantiert Spaß, und so halten Verlag und Autorin das Buch in einer gelungenen Schwebe zwischen Unterhaltung, Spielerei und solider Information. Erfrischend unverkrampft macht Rebscher abschließend transparent, dass auch der beste Erzähler nicht alles erklären kann – und Historiker sowieso nicht.

    Bis heute fragt man sich, warum Napoleon seine rechte Hand immer so eigentümlich zwischen die Knopfreihen seines Fracks steckte. Vielleicht, weil die Hosen damals keine Taschen hatten, vielleicht aber auch, weil er oft an starken Unterleibsschmerzen litt.
    Am Ende wartet auf den Leser ein rotes Briefchen mit Siegel. Was sich darin verbirgt (Napoleons Erbe? Sein Vermächtnis?), wird nicht verraten.

    Susanne Rebscher: "Napoleon Bonaparte". Das Buch ist im Loewe-Verlag erschienen, 32 Seiten kosten, wie gesagt, 24 Euro 90, ISBN: 978-3-7855-6851-4.