Kacz ekelt sich leicht vor Menschen, deshalb die Mäuse, aber er hat dennoch auch Schwächen für die Frauen, vor allem deren Kniekehlen erschüttern ihn immer wieder. Außerdem trinkt er vorzugs- und flaschenweise Portwein (Tawny), auch Bordeaux und Schnaps, und arbeitet an verschiedenen Projekten, schreibt über "Die Arbeit und ihre seelischen Kosten", "Über die Geschichte des Pantoffelsarkophags bei den Phöniziern", über "Die Maus in der Mythologie" - das fordert "viel Material, viel Lektüre". Und eben viel Alkohol. Und läßt viel Raum, alle möglichen und unmöglichen Theorien nachzuerzählen oder zu erfinden und zu diskutieren, Pseudo- und reale Wissenschaftler zu zitieren und die absurdesten Erkenntnisse zu vermitteln, die meist auf dem Urgrund der Banalitäten wachsen.
Ein klassisches Szenario aus dem Musterkoffer Kieseritzkyscher Romanwelten, offen fürjedwede Bizarrerie, und mittendrin ein larmoyanter und sentimentaler, verklemmter und versoffener Zentralheld, an dem all diese Bizarrerien befestigt werden - ein im Grunde unbeweglicher Kleiderständer für Episc)den, Anekdoten, Witzeleien.
Denn auch durch die Tatsache, daß Kacz durch einen langen, den Sohn ebenso wie den Leser verwirrenden Brief seines Vaters an dessen Sterbebett nach Berlin gerufen wird, der Ort der Handlung sich also verändert, entsteht keine Geschichte, keine Handlung. Es gibt nur neue Anlässe, den Kleiderständer mit anderen Faxen immergleichen Erzählmusters zu behängen. Weder ändert sich etwas am Klima des Erzählens noch an seinem Verlauf. Freilich wird ein neues Humorfeld eröffnet, das Kieseritzky nun unerbittlich abrast. Nach den Mäusen ist es nun das Bestattungsinstitut "Ambrosia", das Alfred vom Vater erben soll; doch der Vater will und will nicht sterben, und der Sohn muß immer neue Proben seiner Überlebenskunst abliefern, um das Beerdigungsinstitut zu retten und vor allem um Erzählplatz zu schaffen, auf dem Kieseritzky seine Abschweifungen in Liebesdesaster und Sauforgien, seine digressiven Wissenschaftsphantasien und Ekelanfälle abladen kann.
Und dann stirbt der Vater schließlich doch, denn alles, auch dieses Buch, muß ein Ende haben, und natürlich hat sich Papa zum Sterben selbst in den schönsten Sarg seines Instituts gebettet: "Die Pantoffeln hatte Papa ordentlich unter die Lafette, Kopfende, gestellt. Im Sarg fanden wir eine Flasche Bordeaux, einen Château Figeac, eine leere Schachtel Katzenzungen, einen verschlossenen Briefumschlag, der an mich adressiert war, und unter seiner Pyjamajacke ruhte die Schwarzweiß-Photographie einer nackten Allegra, die auf einem Sessel seines Zimmers saß, ein Bein gestreckt, das andere angewinkeit in keuscher Anmut. - Mergel starrte auf den stillen Leichnam, seufzte von ganzem Herzen und sagte: Was ist der Mensch. Das war eine gute Frage, sogar in dieser Situation. Die Menschen, hatte mal ein Philosoph geschrieben, sind verschieden."
Womit wir wieder fast am Anfang wären. Da freilich hatte ein Anthropologe diese grundlegende Erkenntnis formuliert. In dem Brief, den der Vater dem Sohn hinterlassen hat, war übrigens eine Hoffnung formuliert: "Ich hoffe", schrieb der Vater, "daß ein bißchen Bewegung in Dein langweiliges Leben geraten ist. Ich jedenfalls habe mich ausgezeichnet unterhalten, vom ersten Brief nach England bis zum Finale. Deine hochherzigen Rettungsmanöver waren doch wirklich einmal etwas ganz anderes als deine sinnlosen Studien in Humanities, Science & Arts. Gott, die Mäuse nicht zu vergessen." Aber die Rettungsmanöver waren vergeblich, jedenfalls für Alfred Kacz. Denn er erbt nicht das Institut, sondern des Vaters laszive Geliebte Allegra. Und so endet das Buch in einem ungeheuren Besäufnis und mit einem Kollaps: "Das Leben ein Rausch ... umgeben von Geistern, Gespenstern oder Wesenheiten, aber nun ist Schluß mit dem Rausch. Man muß die Dinge nüchtern betrachten, die Tatsachen überprüfen und alles im Licht der Erfahrung kontrollieren - und die Kontrolle habe ich bedauerlicherweise komplett verloren. Nüchtern betrachtet, muß ich sie alle abschaffen, sind die doch ohnehin Schimären; die Population meiner Halluzinose muß endlich reduziert werden, sie ist ohnehin zu schwatzhaft."
So mit Selbsterkenntnis begabt läßt Kieseritzky seinen Alfred "in einem Bett mit Gittern" enden. Er hat das Nichts, zu dem diese Reise fuhren sollte, erreicht. Schreibend.
"Schreiben Sie das alles ruhig auf.., wenn Sie darunter leiden, und schreiben Sie meinetwegen die ganze Wahrheit, auch wenn sie peinlich ist." Das hatte schon am Anfang des Romans der Psychoanalytiker Dr. Searl unserem Alfred Kacz geraten. Und der schrieb und schrieb und schrieb. Einmal aber schrieb auch die Witwe Rose Hawkings aus Brighton ihrem ehemaligen Untermieter Alfred Kacz einen Brief nach Berlin und eröffnet ihn mit der Frage: "Lieber Alfred, Sie sind doch ein gebildeter Mann, wenn ich auch nie wußte, in welchen Dingen eigentlich?" Diese Frage ist wie eine Maske vor einer anderen, die der unentwegt ironische Autor Kieseritzky seine Leser ihm selbst hätte stellen lassen können: Lieber Kieseritzky, Sie sind doch ein gebildeter Autor, aber wenn ich Sie lese, weiß ich nie genau, wie gebildet eigentlich.
Es ist die Schlüsselfrage. Auch dieses wie alle Bücher Kieseritzkys ist durchsetzt von Andeutungen und Namen aus den unterschiedlichsten Wissenschaftsgebieten, bevorzugt aus ihren psychoanalytischen, naturwissenschaftlichen, linguistischen, anthropologischen, philosophischen Fakultäten. Doch all die Anspielungen sind für den normal gebildeten Leser häufig kaum zu entschlüsseln, die Wege, die sie zu einem weiteren Verständnis scheinbar weisen, sind deshalb meist Sackgassen: weil solch ein Leser mit den Schlüsseln, die ihm da angeblich an die Hand gegeben werden, nicht umgehen kann. Deshalb verschleißt sich ihre Witz- und Humorhaftigkeit auch alsbald und wird zur Masche, zum bloßen Gestus.
Aber vielleicht soll man damit ja auch gar nichts aufschließen - es reicht schließlich der Gestus der Möglichkeit. Aber dieser Gestus, mit dem abseitige Bücher, wunderliche Theorien, seltsame wissenschaftliche Diskurse und scheinwissenschaftliche Nonsense-Traktate verabreicht werden, die aus Kieseritzkys Erzählungen Feuerwerke intellektuellen Amüsernents machen, trägt leider kaum über soviele Seiten eines Romans hinweg. Auch den zerstiebenden Luftbildern und schönen Illusionen von Feuerwerken schaut man mal eben eine halbe Stunde lang aufmerksam zu, nicht länger.
Und so gewinnt denn der letzte Satz dieses "Kleinen Reiseführers ins Nichts", die letzte Erkenntnis des im vergitterten Krankenbett liegenden Alfred Kacz eine eigenwillige Bedeutung: "Schließlich muß man sich vernünftigerweise an die Erinnerung halten, die man hat, und darf nicht Phantome jagen, die keinerlei Bedeutung haben."
Ein klassisches Szenario aus dem Musterkoffer Kieseritzkyscher Romanwelten, offen fürjedwede Bizarrerie, und mittendrin ein larmoyanter und sentimentaler, verklemmter und versoffener Zentralheld, an dem all diese Bizarrerien befestigt werden - ein im Grunde unbeweglicher Kleiderständer für Episc)den, Anekdoten, Witzeleien.
Denn auch durch die Tatsache, daß Kacz durch einen langen, den Sohn ebenso wie den Leser verwirrenden Brief seines Vaters an dessen Sterbebett nach Berlin gerufen wird, der Ort der Handlung sich also verändert, entsteht keine Geschichte, keine Handlung. Es gibt nur neue Anlässe, den Kleiderständer mit anderen Faxen immergleichen Erzählmusters zu behängen. Weder ändert sich etwas am Klima des Erzählens noch an seinem Verlauf. Freilich wird ein neues Humorfeld eröffnet, das Kieseritzky nun unerbittlich abrast. Nach den Mäusen ist es nun das Bestattungsinstitut "Ambrosia", das Alfred vom Vater erben soll; doch der Vater will und will nicht sterben, und der Sohn muß immer neue Proben seiner Überlebenskunst abliefern, um das Beerdigungsinstitut zu retten und vor allem um Erzählplatz zu schaffen, auf dem Kieseritzky seine Abschweifungen in Liebesdesaster und Sauforgien, seine digressiven Wissenschaftsphantasien und Ekelanfälle abladen kann.
Und dann stirbt der Vater schließlich doch, denn alles, auch dieses Buch, muß ein Ende haben, und natürlich hat sich Papa zum Sterben selbst in den schönsten Sarg seines Instituts gebettet: "Die Pantoffeln hatte Papa ordentlich unter die Lafette, Kopfende, gestellt. Im Sarg fanden wir eine Flasche Bordeaux, einen Château Figeac, eine leere Schachtel Katzenzungen, einen verschlossenen Briefumschlag, der an mich adressiert war, und unter seiner Pyjamajacke ruhte die Schwarzweiß-Photographie einer nackten Allegra, die auf einem Sessel seines Zimmers saß, ein Bein gestreckt, das andere angewinkeit in keuscher Anmut. - Mergel starrte auf den stillen Leichnam, seufzte von ganzem Herzen und sagte: Was ist der Mensch. Das war eine gute Frage, sogar in dieser Situation. Die Menschen, hatte mal ein Philosoph geschrieben, sind verschieden."
Womit wir wieder fast am Anfang wären. Da freilich hatte ein Anthropologe diese grundlegende Erkenntnis formuliert. In dem Brief, den der Vater dem Sohn hinterlassen hat, war übrigens eine Hoffnung formuliert: "Ich hoffe", schrieb der Vater, "daß ein bißchen Bewegung in Dein langweiliges Leben geraten ist. Ich jedenfalls habe mich ausgezeichnet unterhalten, vom ersten Brief nach England bis zum Finale. Deine hochherzigen Rettungsmanöver waren doch wirklich einmal etwas ganz anderes als deine sinnlosen Studien in Humanities, Science & Arts. Gott, die Mäuse nicht zu vergessen." Aber die Rettungsmanöver waren vergeblich, jedenfalls für Alfred Kacz. Denn er erbt nicht das Institut, sondern des Vaters laszive Geliebte Allegra. Und so endet das Buch in einem ungeheuren Besäufnis und mit einem Kollaps: "Das Leben ein Rausch ... umgeben von Geistern, Gespenstern oder Wesenheiten, aber nun ist Schluß mit dem Rausch. Man muß die Dinge nüchtern betrachten, die Tatsachen überprüfen und alles im Licht der Erfahrung kontrollieren - und die Kontrolle habe ich bedauerlicherweise komplett verloren. Nüchtern betrachtet, muß ich sie alle abschaffen, sind die doch ohnehin Schimären; die Population meiner Halluzinose muß endlich reduziert werden, sie ist ohnehin zu schwatzhaft."
So mit Selbsterkenntnis begabt läßt Kieseritzky seinen Alfred "in einem Bett mit Gittern" enden. Er hat das Nichts, zu dem diese Reise fuhren sollte, erreicht. Schreibend.
"Schreiben Sie das alles ruhig auf.., wenn Sie darunter leiden, und schreiben Sie meinetwegen die ganze Wahrheit, auch wenn sie peinlich ist." Das hatte schon am Anfang des Romans der Psychoanalytiker Dr. Searl unserem Alfred Kacz geraten. Und der schrieb und schrieb und schrieb. Einmal aber schrieb auch die Witwe Rose Hawkings aus Brighton ihrem ehemaligen Untermieter Alfred Kacz einen Brief nach Berlin und eröffnet ihn mit der Frage: "Lieber Alfred, Sie sind doch ein gebildeter Mann, wenn ich auch nie wußte, in welchen Dingen eigentlich?" Diese Frage ist wie eine Maske vor einer anderen, die der unentwegt ironische Autor Kieseritzky seine Leser ihm selbst hätte stellen lassen können: Lieber Kieseritzky, Sie sind doch ein gebildeter Autor, aber wenn ich Sie lese, weiß ich nie genau, wie gebildet eigentlich.
Es ist die Schlüsselfrage. Auch dieses wie alle Bücher Kieseritzkys ist durchsetzt von Andeutungen und Namen aus den unterschiedlichsten Wissenschaftsgebieten, bevorzugt aus ihren psychoanalytischen, naturwissenschaftlichen, linguistischen, anthropologischen, philosophischen Fakultäten. Doch all die Anspielungen sind für den normal gebildeten Leser häufig kaum zu entschlüsseln, die Wege, die sie zu einem weiteren Verständnis scheinbar weisen, sind deshalb meist Sackgassen: weil solch ein Leser mit den Schlüsseln, die ihm da angeblich an die Hand gegeben werden, nicht umgehen kann. Deshalb verschleißt sich ihre Witz- und Humorhaftigkeit auch alsbald und wird zur Masche, zum bloßen Gestus.
Aber vielleicht soll man damit ja auch gar nichts aufschließen - es reicht schließlich der Gestus der Möglichkeit. Aber dieser Gestus, mit dem abseitige Bücher, wunderliche Theorien, seltsame wissenschaftliche Diskurse und scheinwissenschaftliche Nonsense-Traktate verabreicht werden, die aus Kieseritzkys Erzählungen Feuerwerke intellektuellen Amüsernents machen, trägt leider kaum über soviele Seiten eines Romans hinweg. Auch den zerstiebenden Luftbildern und schönen Illusionen von Feuerwerken schaut man mal eben eine halbe Stunde lang aufmerksam zu, nicht länger.
Und so gewinnt denn der letzte Satz dieses "Kleinen Reiseführers ins Nichts", die letzte Erkenntnis des im vergitterten Krankenbett liegenden Alfred Kacz eine eigenwillige Bedeutung: "Schließlich muß man sich vernünftigerweise an die Erinnerung halten, die man hat, und darf nicht Phantome jagen, die keinerlei Bedeutung haben."