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Kleiner Unterschied ganz groß

Genetik. - Die vor fünf Jahren groß gefeierte Entzifferung des menschlichen Erbguts war nur der Startschuss zu einem weitaus größeren Vorhaben: der Untersuchung der Unterschiede zwischen den Menschen. Auf der 11. Tagung der Humangenom-Organisation HUGO in Helsinki wurde diese Suche nach den individuellen Unterschieden diskutiert.

Von Michael Lange |
    Wer Mutanten sehen will, muss nicht ins Kino gehen. Auf der Tagung der Human-Genomforscher in Helsinki sind sie allgegenwärtig, erklärt der Genetiker Lynn Jorde von der Universität von Utah in den USA. Offen gesteht er: Er selbst ist ein Mutant.

    "Wir alle sind Mutanten. Immer wieder verändert sich das Erbgut. Und diese Veränderungen machen jeden Menschen einzigartig. Manche dieser Mutationen können zu Krankheiten führen. Das wird aber nie so phantastisch aussehen wie bei den X-Men."

    Die meisten genetischen Besonderheiten hat der Mensch jedoch nicht für sich allein. Er hat sie von seinen Eltern erhalten, und die haben sie von ihren Eltern. Das heißt: Die Mutationen früherer Generationen wurden weiter vererbt und verteilten sich über ganze Bevölkerungsgruppen, so genannte Populationen. Je geringfügiger die Auswirkung einer solchen Mutation, um so leichter verbreitet sie sich. So wurden aus Mutanten Varianten. Sie sorgen dafür, dass die Menschen auf der Erde heute so unterschiedlich aussehen. Diese genetischen Unterschiede machen aber nur 0,1 Prozent, also ein Tausendstel, des gesamten Erbgutes aus. 99,9 Prozent sind absolut identisch. Jorde:

    "Die 0,1 Prozent Unterschied finden zum großen Teil innerhalb der Bevölkerungsgruppen statt. Wir schätzen heute, dass nur ein Zehntel davon - also 0,01 Prozent - für die offensichtlichen Unterschiede zwischen den großen Populationen sorgt: Also Unterschiede zwischen Afrikanern, Asiaten und Europäern. Der größte Teil der Vielfalt jedoch existiert innerhalb dieser Gruppen."

    Indem sie die Genvarianten untersuchen, können die Genetiker etwas über die genetische Herkunft eines Menschen sagen. Oder besser: Über die Herkunft einzelner Teile seines Erbguts. Das Ergebnis ist dabei oft überraschend. Jorde:

    "Wir finden Leute, die nach eigenen Angaben aus Schweden stammen, die aber einige Gene aus Afrika besitzen. Es gibt auch Chinesen mit Genen aus England. Das ist das Bemerkenswerte an uns Menschen. Wir blicken zurück auf viele 1000 Jahre Vermischung. Es gibt bei Menschen keine reinen Populationen. Wir alle sind eine wunderbare Mixtur von Genen aus der ganzen Welt."

    Die meisten genetischen Varianten haben die Wissenschaftler innerhalb Afrikas gefunden. Die Zahl der Unterschiede ist dort zehnmal höher als unter den Europäern oder unter den Asiaten. Für die Genetiker ist damit klar, woher unsere Vorfahren ursprünglich alle stammen: aus Afrika. Typisch afrikanische Gene sind viel weiter verbreitet als europäische oder asiatische. Da die Menschheit bereits länger in Afrika lebt als in anderen Kontinenten, konnten mehr Mutationen entstehen und sich verbreiten. Das hat sogar Konsequenzen für die Medizin, erklärt der europäisch aussehende Amerikaner Lynn Jorde:

    "Ich bin vielleicht Europäer, so viel ich weiß. Aber ich habe möglicherweise ein afrikanisches Gen, das meinen Blutdruck reguliert. Mich im Bezug auf meinen Blutdruck einen Europäer zu nennen, wäre zumindest ungenau."

    Einen Patienten mit afrikanischem Blutdruck-Gen wie einen Europäer zu behandeln, wäre verkehrt. Die Medizin soll deshalb - so wünschen es die Genetiker - persönlicher werden. Eine Rassenmedizin bringt nichts. Der Begriff der Rasse ist nach neuesten Erkenntnissen der Genetik nicht mehr zu halten. Er ist nicht nur politisch unkorrekt, sondern er ist medizinisch irreführend und wissenschaftlich falsch.