Seit der Verlängerung der Schmalspurbahn nach Mariazell fahren die Pilger an dem kleinen Ort Kirchberg an der Pielach meist vorbei. Zwölf Mal am Tag hin, und 16 mal zurück, verkehrt die Bahn. Gott weiß, wie sich das ausgeht. Gerhard Hackner ist der Amtsleiter der Gemeinde Kirchberg, er weiß sogar von einem Werbeverbot zu berichten, nachdem im ersten Jahr der Elektrifizierung 1907 schlagartig 532.000 Fahrgäste die Mariazellerbahn befuhren.
"Und da ist dann von der Bahn ein Erlass heraus gekommen, sinngemäß: Die Bahnwerbung hat sorgfältig vermieden zu werden, da ein weiteres Ansteigen des Bekanntheitsgrades einen erdrückenden Andrang hervorrufen könnte."
Heute würden die Orte der Region von einem derartigen Andrang träumen. Fast wäre die Bahn ja im Jahr 2002 eingestellt worden, das ganze Tal tat sich zusammen, um die Stilllegung der Mariazellerbahn zu verhindern. So schön eine Fahrt für die Touristen nach Mariazell auch ist, größer ist die Bedeutung der Eisenbahn für die Pendler der Region. Wer in Kirchberg aussteigt, ist demnach normalerweise kein Tourist, sondern Anrainer.
Kirchberg an der Pielach. Ein schönes, feistes, österreichisches Dorf mit 3000 Seelen am Fluss. Überdurchschnittlich gut gepflegte Gärten liegen um gut erhaltene Häuser, man meint etwas weniger Verkehr als anderswo zu registrieren. Ein alter Heuwagen steht bei der Ortseinfahrt, gemeinsam mit ein paar übrig gebliebenen Wahlplakaten: "mehr Polizisten für die Region" werden gefordert; eine Ankündigung der Seniorenmesse in St. Pölten; Kirchberg ist Klimabündnisgemeinde und: "Ist Gott gerecht?", eine Einladung zu einem Vortrag des katholischen Bildungswerks. Und mitten drin in der Idylle, ein altes verfallenes, früher einmal wunderschön gewesenes Haus - der alte Kinosaal - in Bahnhofsnähe. Graffiti darauf, auch unflätige - zum Beispiel: "Fick den Weiß".
"Dem Weiß" gehört dieses Haus. Ihn mag offenbar hier nicht jeder. Denn "der Weiß" teilt aus, mit fester Nachhaltigkeit, mit Entwicklungskonzepten, mit Ideen für sanften Tourismus und Ideen für die Öffnung des Tals.
"Meine ganz simple Einteilung ist in Querdenker und Längsdenker. Die Längsdenker denken das Tal entlang, die sehen die Möglichkeiten links und rechts nicht. Ich will nicht sagen, dass ich der größte Querdenker bin, ich versuche mich immer am Schlafittchen zu fassen. Du musst die Dinge kritisch anschauen, du musst querdenken und nicht nachgeben. Da sind die Lehr und Wanderjahre ganz wichtig für mich."
Johann Weiß ist einer, der hier im Tal geboren wurde, der es verlassen hat, und nach Jahren in Amerika, und Russland, in Deutschland und in England wieder zurückgekommen ist und ein Hotel gegründet hat, den Steinschalerhof. Gesundes Essen, Kräuterpädagogik, ausgezeichnet mit der grünen Haube. Alle Preise sind der Lohn fürs Querdenken, wie er sagt. Das ist seiner Meinung nach, die einzige Chance, hier wirtschaftlich zu überleben.
Die Haselnuss-Stauden spiegeln sich glitzernd in der Pielach, der Fluss mäandert, von menschlichen Zwangsmaßnahmen weitgehend unberührt durch die Voralpen. Er entspringt nahe dem Ötscher und mündet am Fuße des Stift Melks in die Donau. Die Entwicklung am Ufer setzte erst im 11. Jahrhundert mit der Ankunft der ersten Siedler ein. Sie wurden von ihren adeligen Grundherren, die auch für ihren Schutz sorgten, angeführt. Mit ihnen kamen auch Geistlichen, die ihnen beim Hausbau und bei der Herstellung von Geräten Lehrmeister waren. Damals war das Voralpenland eine geschlossene Waldlandschaft bis hinauf zur Waldgrenze. Heute ist die Region eine gepflegte Kulturlandschaft, die einlädt zu spazieren.
"Wir sind hier auf der Eben, das ist ein schöne Stück Land, weil es relativ flach ist, heißt es ja auf der Eben. Es liegt zirka 600 m hoch. Hier sind fünf Bauernhöfe, die in einem Dörfel auf der Eben zusammengebaut sind, und die hier diese Flächen rundherum die Häuser bewirtschaften. Und die Kulturlandschaft ist das Gegenstück zur Naturlandschaft: Die Naturlandschaft prägt die Natur, die Kulturlandschaft prägt der Mensch."
Johann Weiß ist zu einer wunderschön gelegenen Wiese hinaufgestiegen: Der Hang ist durchzogen von Hecken, Rändern, Säumen, Stauden. Weiter oben finden sich als so genannte Solitärbäume, einzelne Eichen. Von dort blickt man in ein Tal mit Streuobstbäumen: Birnen und Äpfel. Dort ist es etwas wärmer und nicht so exponiert.
"Grade vor uns haben wir eine Riesen Wildrosen, eine Hedscherlstaude, dazwischen wachsen Ahorn raus, Schlehen, Weißdorn, Haselnuss, Dirndlstaude, dort vorne ist eine Heinbuche, eine Esche. Wir haben hier diese Vielfalt auf - wie viele Meter haben wir da, auf 20 Meter Hecke."
Die Hecken sind natürliche Grenzen für Besitzungen und das Vieh, außerdem ein Windschutz und ein Eldorado für alles was kreucht, und fleucht und zwitschert. Dennoch sollte man diese lebendigen, wilden Grenzen, erzählt Johann Weiß nicht ganz sich selbst überlassen.
"Diese Hecken sind ja nur dann Hecken, wenn sie gepflegt werden. Das heißt, von Zeit zu Zeit geerntet werden, das Holz abgeschnitten, wie es heute üblich ist zerkleinert, Hackschnitzel produziert, dann lasst man sie wieder wachsen, man lässt einige Solitärbäume stehen, wie wir es da drüben sehen. Da drüben sind die Haselnüsse, die sind vielleicht fünf Jahre alt, und in zwei, drei, vier Jahre werden sie abgeschnitten und einer Ernte zugeführt. Eine Hecke die nicht beerntet wird, ist keine Hecke mehr, sondern ein kleiner Waldsaum."
Lange war es Schule, dass alles Kleinteilige entfernt wurde, um große Anbauflächen zu schaffen. Aber die Natur holte sich auch Boden zurück: Sträucher und Bäume gingen auf und wurden geduldet. Eine ganz besondere Pflanze hat sich in den mittleren Lagen an geschützten Stellen gehalten: die Dirndlstaude, oder Gelber Hartriegel oder auch Cornus Mas, alias Fürwitzl genannt, weil sie die erste Pflanze ist, die im Jahr blüht. Andere nennen sie: Kornelkirsche. Sag nicht "Kirsche", doziert Johann Weiß, es sind nämlich keine Kirschen, obwohl sie so aussehen. Der Hotelier und Querdenker hat die Bedeutung der Dirndl für das Tal wiederentdeckt: Die Staude samt ihren Früchten soll in Zukunft für den sanften Tourismus im Pielachtal - im Dirndltal stehen:
"Die Dirndl, der Dirndl, das Dirndl. Es gibt alle Artikel. Der Dirndlstamm, die Dirndlstaude, die Dirndlfrucht. Wobei das weibliche Wesen, lustigerweise sächlich ist, das Dirndl, das Dirndlkleidl ist ja auch sächlich. Das sind die drei Vertreter der Dirndl, die wir im Tal sehr zahlreich haben."
Die Entwicklungen nehmen ihren Lauf: die Dirndlstaude ist zum Markenzeichen im Pielachtal geworden und zurzeit ist man dabei Wanderwege zu befestigen. Das Tal und seine umgebenden Hügeln sollen für Besucher leichter begehbar und erfahrbar gemacht werden.
Eine weitere Facette des Pielachtals: Die Hammerschmiede von Soiss ist seit mehr als hundert Jahren in Betrieb: Sie nützt die Energie des Wassers, das nicht selten durch Unwetter auch schon für Überschwemmungen gesorgt hat. Trotz nötigem Fortschritt im Einklang mit der Natur stehen, das ist das erklärte Ziel der Regionalentwickler der Gegend. Die Kleinkraftwerke an der Pielach und ihrer Seitenarme werden daher verstärkt wieder aktiviert. Das Licht bricht durch die matten Scheiben und zieht scharfe Sonnenstrahlen in eine alte Schmiede. Josef Gravogel hat sie seit Lebzeiten betrieben. Der Seniorchef zeigt gerne das Herzstück der Anlage her - die Turbine.
"Zirka 15 kW Leistung, 20 PS. Da ist der Mühlbach, und das Laufrad von der Turbine ist in einem Schacht. Wanns da herschauen, da ist das Laufrad, und da rinnt das Wasser wieder in die Sauggrube, und dann rinnt es weg in den Teich. Die letzte große Reparatur war seit 35 Jahre, alle paar Jahre muss man sie zerlegen und schmieren. Na, die laufen, die ist vom 6er Jahr. Die ist fast, ich habe mich beim Turbinenbauer erkundigt. Um drei Prozent ist bei den neuen der Wirkungsgrad besser geworden."
An den Wochenenden kann Strom in das Netz des E-Werkes sogar verkauft werden. Auch gleichsam quer über die Straße, denn dort befindet sich eine ganz besondere Anlage, die für ihren Betrieb viel Energie braucht. Die Pielachtaler Champignonzucht des Helmut Weißenbacher. Betrachtet man die doch recht kleine Halle von außen, könnte man kaum vermuten, welche weißen Schätze hier drinnen gezüchtet werden.
"Es riecht schon ein bisschen nach Schwammerl da. Ja, aber das dauert jetzt noch zwei Wochen, bis man ernten kann, man sieht dann und riecht dann die Champignon sehr gut. Man sieht, es kommt schon fast hoch, das dauert noch ein paar Tage, dann kann man schon Frischluft geben, dann geht es los mit den Champignons."
Alle paar Tage wird eine der sieben Abteilungen der Halle neu gefüllt: mit Pferde- und Hühnermist, mit Kompost und Getreidekörner, die mit Myzelium beimpft sind - den Pilzfäden. In Kammer eins: noch nichts zu sehen. In Halle zwei: feucht und warm, weiße Fäden in der Erde, in Halle drei: kleine Pilzkörperchen und in Halle vier - kühl und dunkel - da wächst ein Märchenwald, still und heimlich, stolz und stattlich stehen sie da. Tausende von Champignons.
"So uns werden wir schauen, jetzt kommen wir in einen Raum, in dem die Ernte voll da ist. Da sieht man sie ganz gut. Wunderbare Qualität, wunderbare Champignons. Wir sind sehr zufrieden mit dieser Qualität. Gestern 100 Kilogramm gepflückt, heute 600 Kilogramm. Morgen werden es zirka 2000 sein! "
Gesund sind die Pilze, und wenn sie aus der Nachbarschaft schmecken sie am besten. Das weiß man auch im Steinschalerhof. Dort werden immer wieder Schulungstage für die Küchenmitarbeiter und auch Gäste des Hotels veranstaltet. Diesmal soll ein Biochemiker der Universität Wien den Mitarbeitern die Verwendung der Weißenbacher Champignons nahebringen.
"Ich kann eine Pilzkonsomee machen, was kann ich noch machen, Gemüsesuppe machen; Kohl ist die entwässernde Suppe."
Nachdem unterschiedlichste Variationen der Champignonküche vorgestellt wurden, geht es um die Nutzung von Wildkräutern. Denn naturnahe Küche wird im Steinschalerhof groß geschrieben. Bald findet sich die gesamte Crew in der Küche ein, der Biochemiker Fritz Pittner steht wie ein Dirigent in ihrer Mitte. Schwarz gekleidet lenkt er eine Kochaufführung, die einer Symphonie um nichts nachsteht. Es ist die kulinarische Symphonie der wilden Kräuterküche:
"Nur ist es natürlich ein Unterschied, ob ich einen Heiltee trinke, wo ich eine gewisse Wirkstoffkonzentration in Kauf nehme, und mir der Tee nicht schmeckt, oder ob ich ein schmackhaftes Essen herstellen kann, dass die Wirkstoffe hat, und trotzdem gut schmeckt. Da ist der Biochemiker gefragt, wie kann ich das aufbereiten, verpacken zum Teil in Aromaträger, dass genug gegeben ist, dass der Gesundheitswert erhalten bleibt, und der Genuss gewährleistet ist, und man nicht das Gefühl hat, mit Widerwillen muss ich etwas hinunterschlingen und dafür ist es gesund. "
Besonders die Früchte der Dirndlstaude haben es dem Biochemiker angetan. Ihre Inhaltsstoffe sind bemerkenswert, wenn sie richtig eingesetzt und aktiviert werden.
"Was sind da der Dirndl besonders gut: milde Fruchtsäuren, Verdauung, hoher Vitamingehalt, auch Schalen sind wertvolle Antioxidanzien und Radikalfänger, vorausgesetzt dass sie verfügbar gemacht werden, weil sie nicht rein wasserlöslich sind. Das heißt hier ist eine geringe Mengen Alkohol, der berühmte Schuss, den man zu Marmeladen dazugibt, oder unter Umständen auch beim Fruchtsaftmachen dazugibt, dient nicht nur dem Aroma sondern auch dem Lösen mancher dieser Pflanzenpolyphenole, die geringen Mengen Alkohol sind auch notwendig, dass wir es resorbieren können. Das ist das, was an der Dirndl bekannt ist. Was man auch machen könnte, ist, wenn die Kerne trocken erhitzt werden, dass sie dann ein Vanillearoma abgeben, wenn man sie verwendet, um Schnaps darüber zu lagern. Das ist eine Möglichkeit, um charmante Dirndlschnäpse zu machen, die ähnlich im Charakter sind wie ein Calvados, der mit gerösteten Haselnüssen entstanden ist."
Die naturnahe Küche ist risikoreich, wenn man sich nicht auskennt, erzählt Fritz Pittner. Denn viele Aromastoffe haben Pflanzen ja entwickelt, um eigentlich Fraßfeinde fernzuhalten, und so ein Fraßfeind ist auch der Mensch. Früher waren es die Kräuterhexen, die sich mit der richtigen Dosierung der Wirkstoffe auskannten, meint der Biochemiker. Diese Kräuterhexen waren Vermittlerinnen, zwischen der Zivilisation und der wilden Natur draußen. Sie beschäftigten sich mit dem Leben an den Grenzen, mit dem Leben in der Hecke.
"Primär waren es die Personen, die im Hag gelebt haben, Hexe kommt von Haga Zussa, die auf der Umfriedung lebt. Alles was Zaun hatte, war Dorf und sicher. Wurde nicht nur geachtet vom Fremdling, sondern auch von den Geistern. Draußen waren die Naturgeister noch, und diese weisen Frauen und Männer waren die, die vermittelt haben zwischen dem Hag zwischen drinnen und draußen."
So bekommen also die Hecken der Landschaft des Pielachtals plötzlich eine mystische Bedeutung. Die Zutaten für die Kräuterkochkurse und die gesamte Küche des Steinschalerhofs wachsen heute aber nur mehr zum Teil im Hag, sondern direkt vor der Haustür des Hotels an der Bahn, betreut von Frieda Griesauer, die Gärtnerin.
"Wir gehen in die Steinschaller Naturgärten, wo unser Gemüse und Kräuter für die Küche ist und da haben wir noch die Gänse."
"Und da ist dann von der Bahn ein Erlass heraus gekommen, sinngemäß: Die Bahnwerbung hat sorgfältig vermieden zu werden, da ein weiteres Ansteigen des Bekanntheitsgrades einen erdrückenden Andrang hervorrufen könnte."
Heute würden die Orte der Region von einem derartigen Andrang träumen. Fast wäre die Bahn ja im Jahr 2002 eingestellt worden, das ganze Tal tat sich zusammen, um die Stilllegung der Mariazellerbahn zu verhindern. So schön eine Fahrt für die Touristen nach Mariazell auch ist, größer ist die Bedeutung der Eisenbahn für die Pendler der Region. Wer in Kirchberg aussteigt, ist demnach normalerweise kein Tourist, sondern Anrainer.
Kirchberg an der Pielach. Ein schönes, feistes, österreichisches Dorf mit 3000 Seelen am Fluss. Überdurchschnittlich gut gepflegte Gärten liegen um gut erhaltene Häuser, man meint etwas weniger Verkehr als anderswo zu registrieren. Ein alter Heuwagen steht bei der Ortseinfahrt, gemeinsam mit ein paar übrig gebliebenen Wahlplakaten: "mehr Polizisten für die Region" werden gefordert; eine Ankündigung der Seniorenmesse in St. Pölten; Kirchberg ist Klimabündnisgemeinde und: "Ist Gott gerecht?", eine Einladung zu einem Vortrag des katholischen Bildungswerks. Und mitten drin in der Idylle, ein altes verfallenes, früher einmal wunderschön gewesenes Haus - der alte Kinosaal - in Bahnhofsnähe. Graffiti darauf, auch unflätige - zum Beispiel: "Fick den Weiß".
"Dem Weiß" gehört dieses Haus. Ihn mag offenbar hier nicht jeder. Denn "der Weiß" teilt aus, mit fester Nachhaltigkeit, mit Entwicklungskonzepten, mit Ideen für sanften Tourismus und Ideen für die Öffnung des Tals.
"Meine ganz simple Einteilung ist in Querdenker und Längsdenker. Die Längsdenker denken das Tal entlang, die sehen die Möglichkeiten links und rechts nicht. Ich will nicht sagen, dass ich der größte Querdenker bin, ich versuche mich immer am Schlafittchen zu fassen. Du musst die Dinge kritisch anschauen, du musst querdenken und nicht nachgeben. Da sind die Lehr und Wanderjahre ganz wichtig für mich."
Johann Weiß ist einer, der hier im Tal geboren wurde, der es verlassen hat, und nach Jahren in Amerika, und Russland, in Deutschland und in England wieder zurückgekommen ist und ein Hotel gegründet hat, den Steinschalerhof. Gesundes Essen, Kräuterpädagogik, ausgezeichnet mit der grünen Haube. Alle Preise sind der Lohn fürs Querdenken, wie er sagt. Das ist seiner Meinung nach, die einzige Chance, hier wirtschaftlich zu überleben.
Die Haselnuss-Stauden spiegeln sich glitzernd in der Pielach, der Fluss mäandert, von menschlichen Zwangsmaßnahmen weitgehend unberührt durch die Voralpen. Er entspringt nahe dem Ötscher und mündet am Fuße des Stift Melks in die Donau. Die Entwicklung am Ufer setzte erst im 11. Jahrhundert mit der Ankunft der ersten Siedler ein. Sie wurden von ihren adeligen Grundherren, die auch für ihren Schutz sorgten, angeführt. Mit ihnen kamen auch Geistlichen, die ihnen beim Hausbau und bei der Herstellung von Geräten Lehrmeister waren. Damals war das Voralpenland eine geschlossene Waldlandschaft bis hinauf zur Waldgrenze. Heute ist die Region eine gepflegte Kulturlandschaft, die einlädt zu spazieren.
"Wir sind hier auf der Eben, das ist ein schöne Stück Land, weil es relativ flach ist, heißt es ja auf der Eben. Es liegt zirka 600 m hoch. Hier sind fünf Bauernhöfe, die in einem Dörfel auf der Eben zusammengebaut sind, und die hier diese Flächen rundherum die Häuser bewirtschaften. Und die Kulturlandschaft ist das Gegenstück zur Naturlandschaft: Die Naturlandschaft prägt die Natur, die Kulturlandschaft prägt der Mensch."
Johann Weiß ist zu einer wunderschön gelegenen Wiese hinaufgestiegen: Der Hang ist durchzogen von Hecken, Rändern, Säumen, Stauden. Weiter oben finden sich als so genannte Solitärbäume, einzelne Eichen. Von dort blickt man in ein Tal mit Streuobstbäumen: Birnen und Äpfel. Dort ist es etwas wärmer und nicht so exponiert.
"Grade vor uns haben wir eine Riesen Wildrosen, eine Hedscherlstaude, dazwischen wachsen Ahorn raus, Schlehen, Weißdorn, Haselnuss, Dirndlstaude, dort vorne ist eine Heinbuche, eine Esche. Wir haben hier diese Vielfalt auf - wie viele Meter haben wir da, auf 20 Meter Hecke."
Die Hecken sind natürliche Grenzen für Besitzungen und das Vieh, außerdem ein Windschutz und ein Eldorado für alles was kreucht, und fleucht und zwitschert. Dennoch sollte man diese lebendigen, wilden Grenzen, erzählt Johann Weiß nicht ganz sich selbst überlassen.
"Diese Hecken sind ja nur dann Hecken, wenn sie gepflegt werden. Das heißt, von Zeit zu Zeit geerntet werden, das Holz abgeschnitten, wie es heute üblich ist zerkleinert, Hackschnitzel produziert, dann lasst man sie wieder wachsen, man lässt einige Solitärbäume stehen, wie wir es da drüben sehen. Da drüben sind die Haselnüsse, die sind vielleicht fünf Jahre alt, und in zwei, drei, vier Jahre werden sie abgeschnitten und einer Ernte zugeführt. Eine Hecke die nicht beerntet wird, ist keine Hecke mehr, sondern ein kleiner Waldsaum."
Lange war es Schule, dass alles Kleinteilige entfernt wurde, um große Anbauflächen zu schaffen. Aber die Natur holte sich auch Boden zurück: Sträucher und Bäume gingen auf und wurden geduldet. Eine ganz besondere Pflanze hat sich in den mittleren Lagen an geschützten Stellen gehalten: die Dirndlstaude, oder Gelber Hartriegel oder auch Cornus Mas, alias Fürwitzl genannt, weil sie die erste Pflanze ist, die im Jahr blüht. Andere nennen sie: Kornelkirsche. Sag nicht "Kirsche", doziert Johann Weiß, es sind nämlich keine Kirschen, obwohl sie so aussehen. Der Hotelier und Querdenker hat die Bedeutung der Dirndl für das Tal wiederentdeckt: Die Staude samt ihren Früchten soll in Zukunft für den sanften Tourismus im Pielachtal - im Dirndltal stehen:
"Die Dirndl, der Dirndl, das Dirndl. Es gibt alle Artikel. Der Dirndlstamm, die Dirndlstaude, die Dirndlfrucht. Wobei das weibliche Wesen, lustigerweise sächlich ist, das Dirndl, das Dirndlkleidl ist ja auch sächlich. Das sind die drei Vertreter der Dirndl, die wir im Tal sehr zahlreich haben."
Die Entwicklungen nehmen ihren Lauf: die Dirndlstaude ist zum Markenzeichen im Pielachtal geworden und zurzeit ist man dabei Wanderwege zu befestigen. Das Tal und seine umgebenden Hügeln sollen für Besucher leichter begehbar und erfahrbar gemacht werden.
Eine weitere Facette des Pielachtals: Die Hammerschmiede von Soiss ist seit mehr als hundert Jahren in Betrieb: Sie nützt die Energie des Wassers, das nicht selten durch Unwetter auch schon für Überschwemmungen gesorgt hat. Trotz nötigem Fortschritt im Einklang mit der Natur stehen, das ist das erklärte Ziel der Regionalentwickler der Gegend. Die Kleinkraftwerke an der Pielach und ihrer Seitenarme werden daher verstärkt wieder aktiviert. Das Licht bricht durch die matten Scheiben und zieht scharfe Sonnenstrahlen in eine alte Schmiede. Josef Gravogel hat sie seit Lebzeiten betrieben. Der Seniorchef zeigt gerne das Herzstück der Anlage her - die Turbine.
"Zirka 15 kW Leistung, 20 PS. Da ist der Mühlbach, und das Laufrad von der Turbine ist in einem Schacht. Wanns da herschauen, da ist das Laufrad, und da rinnt das Wasser wieder in die Sauggrube, und dann rinnt es weg in den Teich. Die letzte große Reparatur war seit 35 Jahre, alle paar Jahre muss man sie zerlegen und schmieren. Na, die laufen, die ist vom 6er Jahr. Die ist fast, ich habe mich beim Turbinenbauer erkundigt. Um drei Prozent ist bei den neuen der Wirkungsgrad besser geworden."
An den Wochenenden kann Strom in das Netz des E-Werkes sogar verkauft werden. Auch gleichsam quer über die Straße, denn dort befindet sich eine ganz besondere Anlage, die für ihren Betrieb viel Energie braucht. Die Pielachtaler Champignonzucht des Helmut Weißenbacher. Betrachtet man die doch recht kleine Halle von außen, könnte man kaum vermuten, welche weißen Schätze hier drinnen gezüchtet werden.
"Es riecht schon ein bisschen nach Schwammerl da. Ja, aber das dauert jetzt noch zwei Wochen, bis man ernten kann, man sieht dann und riecht dann die Champignon sehr gut. Man sieht, es kommt schon fast hoch, das dauert noch ein paar Tage, dann kann man schon Frischluft geben, dann geht es los mit den Champignons."
Alle paar Tage wird eine der sieben Abteilungen der Halle neu gefüllt: mit Pferde- und Hühnermist, mit Kompost und Getreidekörner, die mit Myzelium beimpft sind - den Pilzfäden. In Kammer eins: noch nichts zu sehen. In Halle zwei: feucht und warm, weiße Fäden in der Erde, in Halle drei: kleine Pilzkörperchen und in Halle vier - kühl und dunkel - da wächst ein Märchenwald, still und heimlich, stolz und stattlich stehen sie da. Tausende von Champignons.
"So uns werden wir schauen, jetzt kommen wir in einen Raum, in dem die Ernte voll da ist. Da sieht man sie ganz gut. Wunderbare Qualität, wunderbare Champignons. Wir sind sehr zufrieden mit dieser Qualität. Gestern 100 Kilogramm gepflückt, heute 600 Kilogramm. Morgen werden es zirka 2000 sein! "
Gesund sind die Pilze, und wenn sie aus der Nachbarschaft schmecken sie am besten. Das weiß man auch im Steinschalerhof. Dort werden immer wieder Schulungstage für die Küchenmitarbeiter und auch Gäste des Hotels veranstaltet. Diesmal soll ein Biochemiker der Universität Wien den Mitarbeitern die Verwendung der Weißenbacher Champignons nahebringen.
"Ich kann eine Pilzkonsomee machen, was kann ich noch machen, Gemüsesuppe machen; Kohl ist die entwässernde Suppe."
Nachdem unterschiedlichste Variationen der Champignonküche vorgestellt wurden, geht es um die Nutzung von Wildkräutern. Denn naturnahe Küche wird im Steinschalerhof groß geschrieben. Bald findet sich die gesamte Crew in der Küche ein, der Biochemiker Fritz Pittner steht wie ein Dirigent in ihrer Mitte. Schwarz gekleidet lenkt er eine Kochaufführung, die einer Symphonie um nichts nachsteht. Es ist die kulinarische Symphonie der wilden Kräuterküche:
"Nur ist es natürlich ein Unterschied, ob ich einen Heiltee trinke, wo ich eine gewisse Wirkstoffkonzentration in Kauf nehme, und mir der Tee nicht schmeckt, oder ob ich ein schmackhaftes Essen herstellen kann, dass die Wirkstoffe hat, und trotzdem gut schmeckt. Da ist der Biochemiker gefragt, wie kann ich das aufbereiten, verpacken zum Teil in Aromaträger, dass genug gegeben ist, dass der Gesundheitswert erhalten bleibt, und der Genuss gewährleistet ist, und man nicht das Gefühl hat, mit Widerwillen muss ich etwas hinunterschlingen und dafür ist es gesund. "
Besonders die Früchte der Dirndlstaude haben es dem Biochemiker angetan. Ihre Inhaltsstoffe sind bemerkenswert, wenn sie richtig eingesetzt und aktiviert werden.
"Was sind da der Dirndl besonders gut: milde Fruchtsäuren, Verdauung, hoher Vitamingehalt, auch Schalen sind wertvolle Antioxidanzien und Radikalfänger, vorausgesetzt dass sie verfügbar gemacht werden, weil sie nicht rein wasserlöslich sind. Das heißt hier ist eine geringe Mengen Alkohol, der berühmte Schuss, den man zu Marmeladen dazugibt, oder unter Umständen auch beim Fruchtsaftmachen dazugibt, dient nicht nur dem Aroma sondern auch dem Lösen mancher dieser Pflanzenpolyphenole, die geringen Mengen Alkohol sind auch notwendig, dass wir es resorbieren können. Das ist das, was an der Dirndl bekannt ist. Was man auch machen könnte, ist, wenn die Kerne trocken erhitzt werden, dass sie dann ein Vanillearoma abgeben, wenn man sie verwendet, um Schnaps darüber zu lagern. Das ist eine Möglichkeit, um charmante Dirndlschnäpse zu machen, die ähnlich im Charakter sind wie ein Calvados, der mit gerösteten Haselnüssen entstanden ist."
Die naturnahe Küche ist risikoreich, wenn man sich nicht auskennt, erzählt Fritz Pittner. Denn viele Aromastoffe haben Pflanzen ja entwickelt, um eigentlich Fraßfeinde fernzuhalten, und so ein Fraßfeind ist auch der Mensch. Früher waren es die Kräuterhexen, die sich mit der richtigen Dosierung der Wirkstoffe auskannten, meint der Biochemiker. Diese Kräuterhexen waren Vermittlerinnen, zwischen der Zivilisation und der wilden Natur draußen. Sie beschäftigten sich mit dem Leben an den Grenzen, mit dem Leben in der Hecke.
"Primär waren es die Personen, die im Hag gelebt haben, Hexe kommt von Haga Zussa, die auf der Umfriedung lebt. Alles was Zaun hatte, war Dorf und sicher. Wurde nicht nur geachtet vom Fremdling, sondern auch von den Geistern. Draußen waren die Naturgeister noch, und diese weisen Frauen und Männer waren die, die vermittelt haben zwischen dem Hag zwischen drinnen und draußen."
So bekommen also die Hecken der Landschaft des Pielachtals plötzlich eine mystische Bedeutung. Die Zutaten für die Kräuterkochkurse und die gesamte Küche des Steinschalerhofs wachsen heute aber nur mehr zum Teil im Hag, sondern direkt vor der Haustür des Hotels an der Bahn, betreut von Frieda Griesauer, die Gärtnerin.
"Wir gehen in die Steinschaller Naturgärten, wo unser Gemüse und Kräuter für die Küche ist und da haben wir noch die Gänse."