Ute Nebel: " Kabarett und Kleinkunst sind die Spielarten der kleinen Form. Es ist die Kunst der kleinen Form. "
Ewald Dietrich: " Varieté sind wir nicht. "
Rita Baus: " Dann hat man fälschlicherweise gedacht, Kleinkunst hätte was mit klein zu tun, also inhaltlich klein, oder finanziell klein, oder professionell klein. Und das stimmt heute eben alles gar nicht mehr. "
Michael Söndermann: " Dieser kleine unbeachtete Sektor Kultur hat immerhin 35 Mrd. Euro auf die Waagschale zu bringen, übrigens so groß wie die Softwareindustrie und Energiebranche. "
Horst Schroth: " Ich bin ein Selbständiger, ich bin eine Ich-AG. Ich arbeite für mich selbst. Unser Geschäft ist ganz einfach. Es funktioniert nach dem Prinzip: Viele Leute, viele Zuschauer, viel Geld. Wenig Zuschauer, wenig Geld. Keine Zuschauer, kein Geld. "
Der 57-jährige Schauspieler und Kabarettist Horst Schroth tourt gerade mit seinem neuen Programm "Nur die Größe zählt". Er ist gewissermaßen schon ein alter Hase, kennt das Geschäft und tritt in Traditionshäusern wie dem Düsseldorfer Kommödchen, dem Berliner Theater "Die Wühlmäuse" oder im Mainzer "Unterhaus" auf, das gerade vierzig Jahre alt geworden ist und heute abend im Forum-Theater (5.3.2006) den deutschen Kleinkunstpreis 2006 vergibt.
" Der deutsche Kleinkunstpreis ist einer der ältesten Preise, 1972 erstmals vergeben an Hans Dieter Hüsch, wird vom Unterhaus vergeben. "
Ute Nebel ist die Programmmacherin. Seit drei Jahren steht ihr Ewald Dietrich als Geschäftsführer zur Seite. Er war 25 Jahre lang bei IBM beschäftigt, zuletzt als Controller.
" Das Unterhaus ist ein Unternehmen. Ein Unternehmen , das 500 Aufführungen pro Jahr hat, durch zwei Bühnen. Wir spielen neun Monate. Das heißt wir haben sechs Tage Spielbetrieb. 250 mal steht ein Künstler auf der Bühne, 504 Abende Programm "
Auch Rita Baus, die 1987 das Bonner Pantheon gründete, das heute zu den wichtigsten Bühnen zählt, sagt
" Wir sind zu 90 Prozent ein ganz normales mittelständisches Unternehmen, und zu 10 Prozent sind da Kunst, Kultur, Künstler. "
Schroth: " Das Geschäft funktioniert ganz einfach, kann ich ihnen erklären. Es ist in der Regel so, dass ich mit meiner Agentin, die die Auftritte bucht, ?und dann läuft es so, dass man sich mit Veranstaltern in der Regel die Einnahmen teilt, nach einem bestimmten Schlüssel. Ein Teil geht an die Veranstalter, der Größere an die Künstler und der Rest ist eine Multiplikationsaufgabe. "
Baus: " Heute kann man mit der Kleinkunst sehr, sehr viel Geld verdienen als Künstler und natürlich hat sich was verändert. "
Söndermann: " Es handelt sich in der Statistik immer um einen Zwerg, weil die Statistik sie nicht richtig erfassen kann. Man muss eine Reklassifizierung betreiben, damit man überhaupt auf Basiswerte kommt. "
Für das Jahrbuch Kulturpolitik, das mit Unterstützung des Staatsministers für Kultur und Medien herausgegeben wird, verfasst Michael Söndermann jährlich seinen Beitrag zur Kulturstatistik. Der Sozialwissenschaftler leitet den Bonner Arbeitskreis Kulturstatistik. Er hat bemerkenswertes herausgefunden.
" Ein Blick in den Mikrozensus und ein Blick in dieBeschäftigtenstatistik der Bundesanstalt für Arbeit hat mich eines Besseren belehrt. Und zwar folgendermaßen ist der Kultursektor zu gliedern. Wir haben ein abhängig beschäftigtes Potential von 618.000 bis 620.000 abhängig Beschäftigten. Dort sind ein großer Teil geringfügig. Das sind insgesamt 440.000 sozialversicherungspflichtig Beschäftigte. "
Weil es sich in der Kultur um einen heterogenen Markt, mit vielen Überschneidungen und Durchlässigkeiten handelt und es überhaupt scheinbar ein Volk fahrender Gesellen und windiger Vögel ist, hat man nie genau drauf geguckt. Michael Söndermann hingegen vergleicht es mit dem deutschen Lieblingsbereich der Wirtschaft.
" Das Potential in der Autoindustrie mit 460.000 sozialversicherungspflichtig Beschäftigten steht dem Kernbestand in dem Kultursektor gegenüber von 444.000 sozialversicherungspflichtig Beschäftigten. Ist ja ein Phänomen! Der Unterschied allerdings besteht darin, wenn man überlegt wie viel Firmen sind es, die diese Arbeitsplätze schaffen, dann habe ich im Kultursektor 30.000 Firmen, in der Autoindustrie sind es 400 Firmen. "
Seit 1995 ist der Kultursektor ein Beschäftigungsmarkt, der im zweistelligen%bereich gewachsen ist. Arbeitsplatzabbau und Arbeitszeitverkürzung sind für die Kleinkunst Fremdworte. Nur mal zur Erinnerung: Bei Volkswagen sind 20.000 Mitarbeiter vom Sparkurs betroffen, Daimler Chrysler streicht über 6000 Stellen in Verwaltung und Management, 8500 in der Mercedes-Gruppe, und die Telekom plant den Abbau von 19.000 Stellen. Nun wird man schnell einwenden. Das könne man nicht vergleichen, weil die Produktivität und Wertschöpfung eine andere sei.
Söndermann: " Wir haben für den engeren Kultursektor, den Buchmarkt, Filmsektor, keine Software, keine IT-Branchen, demnach konservativ eng abgegrenzt, können wir sagen, dass die Kultur einen Beitrag von 35 Milliarden Euro leistet zur Wertschöpfung. Die Autoindustrie hat vergleichbar 64 Mrd. Euro zur Wertschöpfung. "
Baus:" Für so wenig Geld, so viel Kultur, und so viel Ankurbelung letztendlich auch des Marktes, kriegt man nirgends. "
Sehr zögerlich erkennen das auch hie und da die Industrie- und Handelskammern. Vor drei Jahren hat Rita Baus in Bonn einen Marketing Preis für ihre Arbeit erhalten. Sie ist nicht nur Arbeitgeberin und macht einen Umsatz von knapp zwei Millionen Euro.
" Da es nämlich keine Leute gab, die ausgebildet waren, habe ich gesagt, um es genau so zu haben wie ich es möchte, muss ich selbst ausbilden. "
Zwei bis drei ausgelernte Veranstaltungskaufleute verlassen so jedes Jahr den Betrieb von Rita Baus. Sie räumt aber auch ein, dass man als Angestellter nicht reich werden kann.
" Sie können nicht davon ausgehen, das sie mehr als viertausend Euro in so nem Laden verdienen können. "
Ein gut Teil der Entlohnung besteht in der Zufriedenheit mit der Sache, mit der Tätigkeit. Das motiviert ganz anders. Es handelt sich dabei um eine Form der Prämierung, die keine Lohntabelle erfasst: Spaß und Begeisterung, weiche Faktoren also.
Söndermann: " Die Szene hat sich ein libidinöses Moment erhalten können. Die hat eine Libido zu ihren Themen. "
Die Probleme mit Arbeitslosigkeit, neuen Beschäftigungsformen, Entlohnung, Arbeitsplatz, Arbeitszeit, Wachstum und Finanzierung,Vorsorge und Einkommen, greift die Kleinkunst auch selber in Sketchen auf.
" Ich habe mich selbständig gemacht. Ich hab eine Ich-AG. Ich hab jetzt ne Hähnchenschlachterei in der Waschküche" Chickens Paradise" ( Lachen). Einmal in der Woche treffen wir uns im Partykeller vom Arbeitsamt zum Singletreff. Da stehen Telefone auf dem Tisch, wenn man mal fusionieren will. "
Upmann und Weissenberg aus Westfalen haben ihre CD bei Wortart gemacht, einer führenden Produktionsfirma auf dem Sektor. Geschäftsführer Alexander Stelkens beschäftigt zehn Leute, macht knapp zwei Millionen Umsatz und ist gelernter Sonderpädagoge. Er betreibt das Geschäft seit zwölf Jahren. Inzwischen hat er auch zwei Hörbuchläden aufgemacht. Er formuliert einen sehr wirklichkeitsnahen Zusammenhang zwischen Gesundheit und Girokonto.
" Ich als Geschäftsführer kümmere mich um Finanzen, Verträge. Man kann viele Pläne machen, aber wenn ich auf mein Konto gucke, weiß ich wie es mir geht. "
Horst Schroth: " Altersversorgung ist ein Thema für mich. Ich bin jetzt in einem Alter, da haben andere schon Pflegestufe drei. Ich muss sparen, ja sparen. Ich kann nicht wie die Politiker brutto und netto verwechseln."
Viele haben sich durchschlagen müssen. Wie Hanno Siepmann, gelernter Komponist mit Diplom. Im Moment tourt er mit der A-Capella-Frauenformation "Womedy" aus Berlin
" Ich bin jetzt 40 und bin froh, dass ich jetzt mehr verdiene als das Existenzminimum, so war das jahrelang. "
" "Womedy" ist keine Strumpffirma oder Hüfthalter. "Womedy" ist ein Comedy-Musikprogramm mit drei seh r unterschiedlichen Frauen und einem kleinen Würstchen am Klavier "
Durchschnittlich verdienen diese Kleinkünstler heute 2500 Euro brutto.
" Ja, höchstwahrscheinlich 30.000 pro Jahr. Hallo Finanzamt! "
" Ich mach das so, ich schau in den Kalender. Was steht an? Dann rechne ich, pro Auftritt 200 Euro. So zwischen 200 und 400 Abendgage pro Kopf. "
Die A-Capella "Frauengruppe" "Womedy" treten so 80 - 100 mal im Jahr auf. Horst Schroth kommt nach eigenen Angaben auf maximal 120 Vorstellungen. Es gibt auch Leute, die machen mehr, die meisten aber weniger.
Schroth: " Das ist ein blöder Begriff mit der Kleinkunst. Es kommt aus einer Zeit, wo man mit kleinen Mitteln auskommt. Wie wir alle wissen, findet die Kleinkunst in großen Sälen statt. "
Überhaupt muss sie nicht großstädtisch sein. Es gibt sie in Lüdenscheid im Sauerland, genauso wie in Heringsdorf auf Usedom.Kleinkunst kann im Veranstaltungssaal des örtlichen Museums stattfinden, im dörflichen Clubheim oder in der Stadthalle. Mal sind es fünfzig Besucher und mal 500. Und eine eigene Messe für die Branche, eine "Kulturbörse" in Freiburg, gibt es natürlich auch.
Söndermann: " Wir haben in der Gesamtbeschäftigung Erwerbstätigkeit 10 Prozent Selbständige, im Kulturbereich haben wir 25 Prozent Selbständige. Das sind Leute, die nicht immer müssen, sondern die wollen. "
Sozialwissenschaftler Söndermann sieht in der postindustriellenArbeitsweise, in der Diskussion um die Tätigkeitsgesellschaft, im Abstreifen alter ideologischer Reste in der Kleinkunst, wie Alternativ- und Gegenkultur, heute ganz normale Profis am Werk.
" Ich glaube, dass der Kulturbereich ein Vorreiter für Modernisierung ist. "
Wenn nur nicht die üblichen Schwierigkeiten des "kleinen Würstchen", des Gewerbetreibenden aus der Kleinkunst wären. Alexander Stelkens von Wortart, der CD-Produktionsfirma für Kabarett. und Kleinkunst
" Bei uns ist es so, dass die Bankenlandschaft damit gar nichts anfangen kann. Es hat gedauert bis Vertrauen kam. Sind wir ehrlich, wenn ich nicht Reserven hab, die Bank gibt's mir nicht. "
Söndermann: " Das ist eines der größten Probleme für die Kulturbranche, dass sie nicht an die Mikrokredite heran kann, keine Chancen vor irgendeiner Bank. Sie brauchen oft nicht 10.000 Euro, sondern nur 3000 und die kriegen sie nicht. "
Stelkens: " Wenn sie eine Firma aufmachen, dann kommt erstmal die IHK will Geld, dann das Finanzamt, dann die schlimmsten Verbrecher, die Berufsgenossenschaften "
Die Branche ist keinen Aktionären verpflichtet, kennt keine starren Arbeitszeiten und insbesondere keine starren Hierarchien. Jeder muss alles können und auch alles machen: Einkaufen, Kaffee machen, Künstler betreuen, Meetings und Marketing leiten.
Stelkens: " Wer bei uns nicht selbständig klar kommt? er muss es wissen, oder er geht, freiwillig. "
Auch mit dem Thema Wachstum geht diese Branche ganz anders um. Die Kunst steht im Vordergrund. Ewald Dietrich, Geschäftsführer des Mainzer Unterhauses:
" Wachstum im klassischen Sinn im Unterhaus, ich hab 100 Plätze im Kleinen Haus. Sie könne Eintrittskarten erhöhen auf 18 Euro. Dann ist die Gefahr, die Leute können das nicht mehr bezahlen. Effizienz, Kostenkontrolle. Sparen das ist ein Thema! Wo liegt mein Einkauf? "
Baus: " Mein Haus lässt sich nicht vergrößern und Künstler kann ich nicht klonen. Ich habe 300 - 500 Plätze. Ich geh? in die Oper: da hab ich 1000 Plätze, oder in die Beethovenhalle, da hab ich 2000 Plätze. Das heißt, das ist Wachstum. "
Schroth: " Es hat einen Marktwert. Wie viel Zuschauer kommen? Wir haben mal errechnet, dass die ganze Szene, wir haben im Jahr ungefähr 20 Mio Zuschauer. Das ist ungefähr soviel wie die in Deutschland geförderten Stadt- und Staatstheater haben, inklusive der Opernhäuser. "
Baus: " Wir haben heute häufig mehr Publikum als eine hoch subventionierte städtische Bühne. "
Schroth: " Nein natürlich, kann jemand gut davon leben. Wenn jemand ein erfolgreiches Kabarett Programm hat. Dann kann diese Person gut davon leben, natürlich! "
Hannno Siepmann " Ich komme gar nicht aus der Kleinkunstecke, sondern aus der E-Musik, hätte vorher wissen sollen, dass man als Diplomkomponist nicht den Unterhalt verdienen kann. "
Ute Nebel: " Wir machen Kabarett und Kleinkunst. Und so soll das auch bleiben. "
Dietrich: " Es werden nirgendwo in Deutschland so viel Arbeitsplätze geschaffen wie in der Kultur "
Baus " Wir bringen ja Geld. Ich müsste keine Abgabe zahlen, weil ich nicht ausbilde."
Söndermann: " Man muss diesen Typus verstehen lernen. Die traditionellen Wirtschaftsforschungsinstitute haben nicht den Hauch von Ahnung. Was kommt da für eine kommende Branche hoch. "
Baus: " Es war insgesamt ideologischer. Es hat sich alles verändert "
Ewald Dietrich: " Varieté sind wir nicht. "
Rita Baus: " Dann hat man fälschlicherweise gedacht, Kleinkunst hätte was mit klein zu tun, also inhaltlich klein, oder finanziell klein, oder professionell klein. Und das stimmt heute eben alles gar nicht mehr. "
Michael Söndermann: " Dieser kleine unbeachtete Sektor Kultur hat immerhin 35 Mrd. Euro auf die Waagschale zu bringen, übrigens so groß wie die Softwareindustrie und Energiebranche. "
Horst Schroth: " Ich bin ein Selbständiger, ich bin eine Ich-AG. Ich arbeite für mich selbst. Unser Geschäft ist ganz einfach. Es funktioniert nach dem Prinzip: Viele Leute, viele Zuschauer, viel Geld. Wenig Zuschauer, wenig Geld. Keine Zuschauer, kein Geld. "
Der 57-jährige Schauspieler und Kabarettist Horst Schroth tourt gerade mit seinem neuen Programm "Nur die Größe zählt". Er ist gewissermaßen schon ein alter Hase, kennt das Geschäft und tritt in Traditionshäusern wie dem Düsseldorfer Kommödchen, dem Berliner Theater "Die Wühlmäuse" oder im Mainzer "Unterhaus" auf, das gerade vierzig Jahre alt geworden ist und heute abend im Forum-Theater (5.3.2006) den deutschen Kleinkunstpreis 2006 vergibt.
" Der deutsche Kleinkunstpreis ist einer der ältesten Preise, 1972 erstmals vergeben an Hans Dieter Hüsch, wird vom Unterhaus vergeben. "
Ute Nebel ist die Programmmacherin. Seit drei Jahren steht ihr Ewald Dietrich als Geschäftsführer zur Seite. Er war 25 Jahre lang bei IBM beschäftigt, zuletzt als Controller.
" Das Unterhaus ist ein Unternehmen. Ein Unternehmen , das 500 Aufführungen pro Jahr hat, durch zwei Bühnen. Wir spielen neun Monate. Das heißt wir haben sechs Tage Spielbetrieb. 250 mal steht ein Künstler auf der Bühne, 504 Abende Programm "
Auch Rita Baus, die 1987 das Bonner Pantheon gründete, das heute zu den wichtigsten Bühnen zählt, sagt
" Wir sind zu 90 Prozent ein ganz normales mittelständisches Unternehmen, und zu 10 Prozent sind da Kunst, Kultur, Künstler. "
Schroth: " Das Geschäft funktioniert ganz einfach, kann ich ihnen erklären. Es ist in der Regel so, dass ich mit meiner Agentin, die die Auftritte bucht, ?und dann läuft es so, dass man sich mit Veranstaltern in der Regel die Einnahmen teilt, nach einem bestimmten Schlüssel. Ein Teil geht an die Veranstalter, der Größere an die Künstler und der Rest ist eine Multiplikationsaufgabe. "
Baus: " Heute kann man mit der Kleinkunst sehr, sehr viel Geld verdienen als Künstler und natürlich hat sich was verändert. "
Söndermann: " Es handelt sich in der Statistik immer um einen Zwerg, weil die Statistik sie nicht richtig erfassen kann. Man muss eine Reklassifizierung betreiben, damit man überhaupt auf Basiswerte kommt. "
Für das Jahrbuch Kulturpolitik, das mit Unterstützung des Staatsministers für Kultur und Medien herausgegeben wird, verfasst Michael Söndermann jährlich seinen Beitrag zur Kulturstatistik. Der Sozialwissenschaftler leitet den Bonner Arbeitskreis Kulturstatistik. Er hat bemerkenswertes herausgefunden.
" Ein Blick in den Mikrozensus und ein Blick in dieBeschäftigtenstatistik der Bundesanstalt für Arbeit hat mich eines Besseren belehrt. Und zwar folgendermaßen ist der Kultursektor zu gliedern. Wir haben ein abhängig beschäftigtes Potential von 618.000 bis 620.000 abhängig Beschäftigten. Dort sind ein großer Teil geringfügig. Das sind insgesamt 440.000 sozialversicherungspflichtig Beschäftigte. "
Weil es sich in der Kultur um einen heterogenen Markt, mit vielen Überschneidungen und Durchlässigkeiten handelt und es überhaupt scheinbar ein Volk fahrender Gesellen und windiger Vögel ist, hat man nie genau drauf geguckt. Michael Söndermann hingegen vergleicht es mit dem deutschen Lieblingsbereich der Wirtschaft.
" Das Potential in der Autoindustrie mit 460.000 sozialversicherungspflichtig Beschäftigten steht dem Kernbestand in dem Kultursektor gegenüber von 444.000 sozialversicherungspflichtig Beschäftigten. Ist ja ein Phänomen! Der Unterschied allerdings besteht darin, wenn man überlegt wie viel Firmen sind es, die diese Arbeitsplätze schaffen, dann habe ich im Kultursektor 30.000 Firmen, in der Autoindustrie sind es 400 Firmen. "
Seit 1995 ist der Kultursektor ein Beschäftigungsmarkt, der im zweistelligen%bereich gewachsen ist. Arbeitsplatzabbau und Arbeitszeitverkürzung sind für die Kleinkunst Fremdworte. Nur mal zur Erinnerung: Bei Volkswagen sind 20.000 Mitarbeiter vom Sparkurs betroffen, Daimler Chrysler streicht über 6000 Stellen in Verwaltung und Management, 8500 in der Mercedes-Gruppe, und die Telekom plant den Abbau von 19.000 Stellen. Nun wird man schnell einwenden. Das könne man nicht vergleichen, weil die Produktivität und Wertschöpfung eine andere sei.
Söndermann: " Wir haben für den engeren Kultursektor, den Buchmarkt, Filmsektor, keine Software, keine IT-Branchen, demnach konservativ eng abgegrenzt, können wir sagen, dass die Kultur einen Beitrag von 35 Milliarden Euro leistet zur Wertschöpfung. Die Autoindustrie hat vergleichbar 64 Mrd. Euro zur Wertschöpfung. "
Baus:" Für so wenig Geld, so viel Kultur, und so viel Ankurbelung letztendlich auch des Marktes, kriegt man nirgends. "
Sehr zögerlich erkennen das auch hie und da die Industrie- und Handelskammern. Vor drei Jahren hat Rita Baus in Bonn einen Marketing Preis für ihre Arbeit erhalten. Sie ist nicht nur Arbeitgeberin und macht einen Umsatz von knapp zwei Millionen Euro.
" Da es nämlich keine Leute gab, die ausgebildet waren, habe ich gesagt, um es genau so zu haben wie ich es möchte, muss ich selbst ausbilden. "
Zwei bis drei ausgelernte Veranstaltungskaufleute verlassen so jedes Jahr den Betrieb von Rita Baus. Sie räumt aber auch ein, dass man als Angestellter nicht reich werden kann.
" Sie können nicht davon ausgehen, das sie mehr als viertausend Euro in so nem Laden verdienen können. "
Ein gut Teil der Entlohnung besteht in der Zufriedenheit mit der Sache, mit der Tätigkeit. Das motiviert ganz anders. Es handelt sich dabei um eine Form der Prämierung, die keine Lohntabelle erfasst: Spaß und Begeisterung, weiche Faktoren also.
Söndermann: " Die Szene hat sich ein libidinöses Moment erhalten können. Die hat eine Libido zu ihren Themen. "
Die Probleme mit Arbeitslosigkeit, neuen Beschäftigungsformen, Entlohnung, Arbeitsplatz, Arbeitszeit, Wachstum und Finanzierung,Vorsorge und Einkommen, greift die Kleinkunst auch selber in Sketchen auf.
" Ich habe mich selbständig gemacht. Ich hab eine Ich-AG. Ich hab jetzt ne Hähnchenschlachterei in der Waschküche" Chickens Paradise" ( Lachen). Einmal in der Woche treffen wir uns im Partykeller vom Arbeitsamt zum Singletreff. Da stehen Telefone auf dem Tisch, wenn man mal fusionieren will. "
Upmann und Weissenberg aus Westfalen haben ihre CD bei Wortart gemacht, einer führenden Produktionsfirma auf dem Sektor. Geschäftsführer Alexander Stelkens beschäftigt zehn Leute, macht knapp zwei Millionen Umsatz und ist gelernter Sonderpädagoge. Er betreibt das Geschäft seit zwölf Jahren. Inzwischen hat er auch zwei Hörbuchläden aufgemacht. Er formuliert einen sehr wirklichkeitsnahen Zusammenhang zwischen Gesundheit und Girokonto.
" Ich als Geschäftsführer kümmere mich um Finanzen, Verträge. Man kann viele Pläne machen, aber wenn ich auf mein Konto gucke, weiß ich wie es mir geht. "
Horst Schroth: " Altersversorgung ist ein Thema für mich. Ich bin jetzt in einem Alter, da haben andere schon Pflegestufe drei. Ich muss sparen, ja sparen. Ich kann nicht wie die Politiker brutto und netto verwechseln."
Viele haben sich durchschlagen müssen. Wie Hanno Siepmann, gelernter Komponist mit Diplom. Im Moment tourt er mit der A-Capella-Frauenformation "Womedy" aus Berlin
" Ich bin jetzt 40 und bin froh, dass ich jetzt mehr verdiene als das Existenzminimum, so war das jahrelang. "
" "Womedy" ist keine Strumpffirma oder Hüfthalter. "Womedy" ist ein Comedy-Musikprogramm mit drei seh r unterschiedlichen Frauen und einem kleinen Würstchen am Klavier "
Durchschnittlich verdienen diese Kleinkünstler heute 2500 Euro brutto.
" Ja, höchstwahrscheinlich 30.000 pro Jahr. Hallo Finanzamt! "
" Ich mach das so, ich schau in den Kalender. Was steht an? Dann rechne ich, pro Auftritt 200 Euro. So zwischen 200 und 400 Abendgage pro Kopf. "
Die A-Capella "Frauengruppe" "Womedy" treten so 80 - 100 mal im Jahr auf. Horst Schroth kommt nach eigenen Angaben auf maximal 120 Vorstellungen. Es gibt auch Leute, die machen mehr, die meisten aber weniger.
Schroth: " Das ist ein blöder Begriff mit der Kleinkunst. Es kommt aus einer Zeit, wo man mit kleinen Mitteln auskommt. Wie wir alle wissen, findet die Kleinkunst in großen Sälen statt. "
Überhaupt muss sie nicht großstädtisch sein. Es gibt sie in Lüdenscheid im Sauerland, genauso wie in Heringsdorf auf Usedom.Kleinkunst kann im Veranstaltungssaal des örtlichen Museums stattfinden, im dörflichen Clubheim oder in der Stadthalle. Mal sind es fünfzig Besucher und mal 500. Und eine eigene Messe für die Branche, eine "Kulturbörse" in Freiburg, gibt es natürlich auch.
Söndermann: " Wir haben in der Gesamtbeschäftigung Erwerbstätigkeit 10 Prozent Selbständige, im Kulturbereich haben wir 25 Prozent Selbständige. Das sind Leute, die nicht immer müssen, sondern die wollen. "
Sozialwissenschaftler Söndermann sieht in der postindustriellenArbeitsweise, in der Diskussion um die Tätigkeitsgesellschaft, im Abstreifen alter ideologischer Reste in der Kleinkunst, wie Alternativ- und Gegenkultur, heute ganz normale Profis am Werk.
" Ich glaube, dass der Kulturbereich ein Vorreiter für Modernisierung ist. "
Wenn nur nicht die üblichen Schwierigkeiten des "kleinen Würstchen", des Gewerbetreibenden aus der Kleinkunst wären. Alexander Stelkens von Wortart, der CD-Produktionsfirma für Kabarett. und Kleinkunst
" Bei uns ist es so, dass die Bankenlandschaft damit gar nichts anfangen kann. Es hat gedauert bis Vertrauen kam. Sind wir ehrlich, wenn ich nicht Reserven hab, die Bank gibt's mir nicht. "
Söndermann: " Das ist eines der größten Probleme für die Kulturbranche, dass sie nicht an die Mikrokredite heran kann, keine Chancen vor irgendeiner Bank. Sie brauchen oft nicht 10.000 Euro, sondern nur 3000 und die kriegen sie nicht. "
Stelkens: " Wenn sie eine Firma aufmachen, dann kommt erstmal die IHK will Geld, dann das Finanzamt, dann die schlimmsten Verbrecher, die Berufsgenossenschaften "
Die Branche ist keinen Aktionären verpflichtet, kennt keine starren Arbeitszeiten und insbesondere keine starren Hierarchien. Jeder muss alles können und auch alles machen: Einkaufen, Kaffee machen, Künstler betreuen, Meetings und Marketing leiten.
Stelkens: " Wer bei uns nicht selbständig klar kommt? er muss es wissen, oder er geht, freiwillig. "
Auch mit dem Thema Wachstum geht diese Branche ganz anders um. Die Kunst steht im Vordergrund. Ewald Dietrich, Geschäftsführer des Mainzer Unterhauses:
" Wachstum im klassischen Sinn im Unterhaus, ich hab 100 Plätze im Kleinen Haus. Sie könne Eintrittskarten erhöhen auf 18 Euro. Dann ist die Gefahr, die Leute können das nicht mehr bezahlen. Effizienz, Kostenkontrolle. Sparen das ist ein Thema! Wo liegt mein Einkauf? "
Baus: " Mein Haus lässt sich nicht vergrößern und Künstler kann ich nicht klonen. Ich habe 300 - 500 Plätze. Ich geh? in die Oper: da hab ich 1000 Plätze, oder in die Beethovenhalle, da hab ich 2000 Plätze. Das heißt, das ist Wachstum. "
Schroth: " Es hat einen Marktwert. Wie viel Zuschauer kommen? Wir haben mal errechnet, dass die ganze Szene, wir haben im Jahr ungefähr 20 Mio Zuschauer. Das ist ungefähr soviel wie die in Deutschland geförderten Stadt- und Staatstheater haben, inklusive der Opernhäuser. "
Baus: " Wir haben heute häufig mehr Publikum als eine hoch subventionierte städtische Bühne. "
Schroth: " Nein natürlich, kann jemand gut davon leben. Wenn jemand ein erfolgreiches Kabarett Programm hat. Dann kann diese Person gut davon leben, natürlich! "
Hannno Siepmann " Ich komme gar nicht aus der Kleinkunstecke, sondern aus der E-Musik, hätte vorher wissen sollen, dass man als Diplomkomponist nicht den Unterhalt verdienen kann. "
Ute Nebel: " Wir machen Kabarett und Kleinkunst. Und so soll das auch bleiben. "
Dietrich: " Es werden nirgendwo in Deutschland so viel Arbeitsplätze geschaffen wie in der Kultur "
Baus " Wir bringen ja Geld. Ich müsste keine Abgabe zahlen, weil ich nicht ausbilde."
Söndermann: " Man muss diesen Typus verstehen lernen. Die traditionellen Wirtschaftsforschungsinstitute haben nicht den Hauch von Ahnung. Was kommt da für eine kommende Branche hoch. "
Baus: " Es war insgesamt ideologischer. Es hat sich alles verändert "