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Kleinste Gitarre der Welt
Nanoforscher basteln an winzigen schwingenden Strukturen

Haarfeine mechanische Strukturen arbeiten in Digitalkameras, Handys, Autos. Nach dem Willen der Ingenieure soll Nanomechanik noch kleiner und kompakter werden. Nanoforscher loten die Grenzen des Machbaren aus - mit dem Bau einer Nano-Gitarre.

Von Ralf Krauter | 01.07.2014
    ZZ Top: Die nach eigenen Angaben "kleinste Big-Band der Welt" - bald an der kleinsten Gitarre?
    ZZ Top: Die nach eigenen Angaben "kleinste Big-Band der Welt" - bald an der kleinsten Gitarre? (dpa/Kay Nietfeld)
    Der Physiker Jörg Kotthaus ist emeritierter Professor im Unruhestand an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Sein Steckenpferd ist die Nanotechnologie - und eines seiner aktuellen Projekte der Bau der kleinsten "Gitarre" der Welt.
    "Im Prinzip ist es klassische Mechanik mit sehr, sehr kleinen Objekten. Also unsere Nanosaiten haben typische Durchmesser von 100 Nanometern. Ein Haar hat ungefähr 50 Mikrometer, also hundertmal so viel Durchmesser. Da können Sie sich vorstellen, wie dünn die Saiten sind. Und da muss man erst mal lernen, wie kann ich so eine Saite spielen. Auch mein Daumen ist etwas zu dick, um etwas, was einen tausendstel Millimeter lang ist, anzutreiben."
    Selbst das Plektrum von Jimi Hendrix wäre bei Weitem nicht filigran genug, zumal die Saiten der Nanogitarre nur einige Hundertstel bis Zehntel-Millimeter lang sind. Hergestellt werden sie aus Siliziumnitrid, einem glasartigen Isolator, der in der Halbleiterindustrie häufig zum Einsatz kommt. Aus einer dünnen Schicht davon werden ultrafeine Stege herausgeätzt, die mit Frequenzen im Megahertzbereich schwingen, wenn man sie anregt. Die grobe Stimmung dieser Nanosaiten stellen Jörg Kotthaus und sein Team über die Länge und Vorspannung der filigranen Strukturen ein.
    "Und dann können wir in situ noch stimmen, dadurch, dass wir elektrische Felder anlegen. Und die verstimmen sozusagen den Ton der Saite. Das geht nicht beliebig, aber weit genug, um feinzustimmen."
    Die Nanogitarre lässt sich präzise stimmen und anschlagen
    Elektroden unter den schwingenden Strukturen erzeugen elektrische Felder, die die Saiten polarisieren und dadurch eine Kraft auf sie ausüben. Auf diese Weise lässt sich die Nanogitarre nicht nur präzise stimmen, sondern auch anschlagen.
    Um den Klang hörbar zu machen, braucht es dann nur noch einen Tonabnehmer. Statt Induktionsspulen, wie bei einer klassischen E-Gitarre, verwenden die Forscher Mikrowellenschwingkreise, um die Bewegung der einzelnen Saiten präzise zu erfassen.
    Doch wozu der ganze Aufwand? Auch wenn es den Forschern jetzt gelungen ist, alle wichtigen Funktionen einer Gitarre im Nanomaßstab zu realisieren – Musik wird man mit dem winzigen Instrument sicher nie machen können. Doch darum geht es Jörg Kotthaus auch gar nicht. Für ihn sind seine Nanogitarren anschauliche Testobjekte, um auszuloten, wie weit man mechanische Systeme miniaturisieren kann. Mögliche Anwendungen solcher nanoelektromechanischen Strukturen sieht er unter anderem in der Sensorik: Weil die schwingenden Saiten bei winzigsten Masseänderungen ihre Frequenz ändern, lassen sich damit hochempfindliche Messfühler bauen.
    "Da sie so klein sind, ist die geringste Kraftänderung in der Umgebung, die auf sie wirkt, messbar. Man redet heute von Kräften von Attonewton, das sind 10 hoch minus 18 Newton. Das sind ungefähr Billiarden hoch drei. Also man kann extrem kleine Kräfte messen. Man kann Massen messen, inzwischen bis zu einzelnen Atomen. Wenn also ein einzelnes Atom selektiv auf so einer schwingenden Nanosaite absorbiert wird, dann führt das zu einer Frequenzänderung, die messbar ist."
    Einsatz als Frequenzfilter
    Auch als Frequenzfilter könnten Nanogitarren künftig zum Einsatz kommen. Oder in der Signalverarbeitung, wo es häufig darum geht, Signale zu vergleichen und winzige Unterschiede zu erkennen.
    "Und da will man natürlich dann auch die Kopplung benutzen, um Sachen auszusortieren. Es kommt ein Signal rein und das mische ich mit einem Signal meiner Saite. Und diese Kopplungseffekte möchte ich ausnutzen, um damit Information zu übertragen und zu beeinflussen."
    Da sich die schwingenden Nanosaiten gegenseitig beeinflussen – genau wie bei einer echten Gitarre – lassen sich auch gezielt überlagerte Schwingungszustände erzeugen, die künftig einmal für das Speichern und Verarbeiten von Quanteninformation interessant werden könnten. Die Möglichkeiten scheinen fast so grenzenlos, wie das Tonspektrum, das Jimi Hendrix seiner Stratocaster zu entlocken wusste.
    Was der Meister wohl zu all diesen Entwicklungen gesagt hätte?
    "Er würde sagen: Ich verstehe nicht, was Du da redest. Aber ich kann es besser."