Samstag, 27. April 2024

Archiv


Kleist und Lessing in Dresden

"Das Erbeben in Chili" unter der Regie von Armin Petras eröffnet 2011 das Kleist-Jahr in Frankfurt an der Oder und ist derzeit am Staatsschauspiel Dresden zu sehen, ebenso wie Lessings "Minna von Barnhelm". Das Stück unter der Regie von Simon Solberg feierte am 26. Februar Premiere.

Von Hartmut Krug | 27.02.2011
    Die Körper zittern und toben, und während die fünf Schauspieler aufgedreht in wilden, recht konventionellen Tanz- und Bewegungsposen über die Bühne toben, fällt kein Wort. Wir sehen eine Inszenierung, die wie eine Art Workshop wirkt. Gesucht wird nach szenischen Ausdrucksmitteln für Kleists "Das Erdbeben in Chili". Wie die Figuren bei Kleist aus ihren Gefühlen und ihrer Sicherheit geschleudert werden, so werden bei Petras die Schauspielerkörper geschleudert. Man rollt übereinander, wirft sich hin und her, schiebt sich in Koitus-Positionen über den Bühnenboden und richtet sich zu verdrehten Körpertürmen auf. Dann wird den Erzählformen Ausdruckstanz und übersteigerter Körpersprache Kleists Text entgegengestellt. Der einfach und recht sachlich gesprochen wird. Mal von einzelnen, mal von mehreren, auch chorisch oder ins Mikro.

    An die innere Ausdruckskraft von Kleists Sprache wagt sich diese Inszenierung bewusst nicht. Sie versucht, körperliche Ausdrucksformen für die Gefühle in dieser ungeheuren Geschichte eines Liebespaares zu finden, das bei seiner Glückssuche brutal von der Gesellschaft gehindert und gemordet wird. Was Glück sein könnte, zeigen Videos von wehenden Palmen, aber auch Filmsequenzen mit den Darstellern, in denen Skat mit der Oma, Reiten oder Urlaub mit Kindern als Glück beschrieben wird. Während in der Inszenierung Kleists Beschreibung des einen Glücksmomentes des Liebespaares ironisiert wird.

    Der Dichter tritt auch selber auf. Er spricht seinen Abschiedsbrief an die Gefährtin Ulrike, worauf sich beide nackt ausziehen und Kleist Ulrike von der Bühne trägt, - in den gemeinsamen Tod, weil das Glück im Leben nicht zu haben ist. Neben dieser eher albernen Szene gibt es szenisch beeindruckende, so, wenn die Menschen mit den Spitzhüten der Inquisitionsverurteilung zur Hinrichtung gehen. In einfacher Trainingskleidung, nur ein Darsteller trägt über Turnschuhen und offener Brust einen Uniformrock, agieren die Schauspieler auf einer von weißen Styroporplatten übersäten Bühne. Das Material knirscht grässlich, wenn die Darsteller es wild zertreten. Mal fällt es wie beim Erdbeben auf sie nieder, mal werden seine Trümmer zum Neuaufbau benutzt. An den Wänden türmen sich die Styroporplatten so auf wie die Eisschollen auf Caspar David Friedrichs Bild "Gescheiterte Hoffnung." Ein Darsteller arbeitet mit Synthesizer und Handy, nimmt die Bühnengeräusche auf und spielt sie, versampelt mit Musik, wieder ein. Nachdem "Purple Rain" erklungen und die Scheinwerferbatterie auf die Figuren niedergefahren ist, regnet es purpurne Flitterstreifen aus dem Bühnenhimmel und ein letztes, existentielles Atmen ertönt.

    Die Aufführung schwankt zwischen szenisch überzeugenden Einfällen und inszenatorisch-darstellerischen Albernheiten. Als szenische Versuchsanordnung verspielt sie aber leider die Kleistsche Fallhöhe des Schreckens und vermag nicht zu begründen, warum man diese grandiose Erzählung auf die Bühne bringen muss.

    Vor allem um die Schrecken des Krieges geht es in Simon Solbergs Version von Lessings "Minna von Barnhelm". Stärker als bei Lessing haben hier die Erfahrungen des Krieges Major von Tellheim körperlich wie seelisch versehrt. Ungepflegt sitzt der Rollstuhlfahrer in einem Container, setzt sich eine Spritze und begleitet sich zu seinen tieftraurigen Liedern. Der Regisseur überblendet in seiner radikalen Aktualisierung die Schrecken des Krieges und die Schwierigkeiten des Aufklärungsbegriffes Sein Tellheim war in Afghanistan, liest Sloterdijk und stellt Pappkreuze auf. Mehrmals wird das grausige Video vom Einsatz eines US-Kampfhubschraubers gezeigt, der eine kleine Gruppe von Zivilisten in Bagdad niedermähte. Vor allem aber wird Lessings Typenkomödie mit derb-komischen Trashnummern in unsere Spaßgesellschaft überführt.

    Der Diener Just ist ein wilder Comedian, dessen Darsteller auch die Rolle des Wachtmeisters Werner übernommen hat. Der kommt als Vietnam-Veteran in einer Panzerwannen-Badewanne daher. Und Ricaut de la Marlinière, bei Lessing Betrüger beim Kartenspiel, wird zu einem Straßenmusikanten, der Minna mit Hedgefonds zu Börsenspekulationen zu verleiten sucht. Minna sieht bei Tellheim postdramatische Belastungsstörungen und will sie mit therapeutischen Mitteln beheben. Solberg Version verträgt Lessings Komödienschluss nicht mehr. Deshalb muss Minna in einer großen Musicalnummer sterben.

    Die Inszenierung, die mit dem Krieg und der Unterhaltung zwei Seiten unserer gesellschaftlichen Wirklichkeit miteinander überblendet, überzeugt konzeptionell, zerfällt aber in viele Einzelteile.