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Kleists Preußendrama als Kammerspiel

In seinem Drama "Prinz Friedrich von Homburg" hat Heinrich von Kleist kurz vor seinem Freitod wohl vergeblich versucht, das Auseinanderfallen von Welt und Ich zu versöhnen. So geht sein Prinz machtblind, traumwandelnd und selbstverliebt durch die Welt von Krieg und Liebe. Jetzt hat an den Münchener Kammerspielen der holländische Regisseur Johan Simons zum ersten Mal Kleist inszeniert. Er erzählt das Drama als philosophierendes Kammerspiel.

Von Sven Ricklefs |
    Dieser Raum ist ein Paradies für Narzisse und wahrscheinlich zunächst ein Alptraum für Schauspieler. Zwei haushohe Spiegelwände verkeilen sich in der Bühnenmitte, so dass sich die Figuren bis zu vier mal in den Raum hineinspiegeln und sich jeder Schauspieler beim Spiel zusehen kann und zusehen muss. Natürlich kann man sich hier auch immer wieder freiwillig betrachten, sich seiner selbst im Spiegel vergewissern, was insbesondere der Prinz von Homburg tut: er, der wohl ein Held sein will und dafür durchaus rücksichtslos den Ungehorsam riskiert.

    " Das Leben nennt der Derwisch eine Reise, und eine kurze. Freilich, von zwei Spannen diesseits der Erde nach zwei Spannen drunter. "

    Gleich zweimal spricht der Münchner Prinz von Homburg diese Zeilen, einmal zu Beginn und einmal am Schluss des Stückes. Zweimal diese Erkenntnis der kargen Lebensrealität des Menschen. Doch dazwischen liegt eine Entwicklung: diejenige vom jungendlichen Heißsporn, der nur auf sich bezogen ist, zum Menschen, der sich zu seiner Verantwortung gegenüber der Gemeinschaft bekennt. Er, Homburg, der die Schlacht bei Fehrbellin gewann, weil er nicht gehorchte und auf den Einsatzbefehl des Feldherrn wartete, er, der für diesen Ungehorsam vom Kurfürsten zum Tode verurteilt wird, er, der an der schieren und menschlichen Todesangst fast zu Grunde geht, er erkennt schließlich die Notwendigkeit sich einem Gesetz zu beugen und wird daraufhin begnadigt.

    "Dir mein Fürst, dir leg ich tief bewegt zu Füßen mich. Vergib wenn ich am Tag der Schlacht mit übereiltem Eifer dir gedient, der Tod wäscht jetzt von jeder Schuld mich rein. "

    Nun ist Heinrich von Kleists "Prinz von Homburg" von je her, aber insbesondere in der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts, überaus kritisch betrachtet oder zumindest eindeutig interpretiert worden: im Angesicht von zwei Weltkriegen und im Angesicht der Erfahrung zu welcher monströsen Konsequenz die Unterwerfung unter die Macht und das vermeintliche Gesetz eines pervertierten Staates führen kann. Trotzdem muss wieder festgestellt werden dürfen, dass es Kleist wohl nie um das Anprangern eines gnadenlosen Kriegsrechts oder eines ebensolchen Staatssystems ging, sondern dass er dieses Ambiente aus seinem historischen Kontext heraus gleichsam unbedarft wählte und wählen konnte, ebenso wie er nicht wissen konnte, in welchen Abgrund die deutsche Geschichte einmal blicken würde. Es muss also wieder gefragt werden dürfen, ob es im "Prinz von Homburg" nicht eigentlich darum geht, zu klären, wo die Freiheit des Einzelnen endet und die Unterordnung unter das Gesetz der Gemeinschaft beginnen muss. Für Johan Simons in ihrer szenischen und interpretatorischen Subtilität höchst beeindruckende Münchner Inszenierung jedenfalls scheint das Recht auf diese Frage eindeutig.

    Hier geht es keineswegs um Schlachtenlärm oder das blutige Geschäft des Krieges auf dem die Handlung ja eigentlich basiert. Und kaum dass es um das Drama eines Helden geht, der plötzlich dem Tode geweiht ist, jedenfalls nicht in der dafür sonst zu erwartenden Emotionalität. Nein, Regisseur Johan Simons zeigt den Prinzen von Homburg von Beginn an eingeschlossen in seine Todeszelle, in der nur eine silberne Toilettenschüssel als einziges Inventar noch einmal auf seine auf das menschlich Existentielle reduzierte Situation hinweist. Zu diesem Gefangenen im Spiegelkabinett seines Egozentrismus aber eben auch seiner kümmerlichen menschlichen Existenz, zu ihm treten die übrigen Figuren wie in einen Traum hinzu, gleichsam als Erfüllungsgehilfen auf seinem schweren Weg zur notwendigen Erkenntnis. Dabei lässt Simons sein wunderbares Ensemble höchst reduziert spielen, kaum dass sie sich einmal berühren, kaum, dass sie einmal laut werden oder dass ihnen eine Geste entgleitet. Eher, dass sie sich ihrer selbst nicht immer sicher sind. Aber auch so entsteht noch einmal diese Sphäre des Traums, die zum einen in der somnambulen Aura wurzelt, die Kleist seinem Homburg ohnehin verliehen hat, die aber zum anderen dieser Interpretation einen vorläufigen oder vorsichtigen Charakter verleiht und sich damit zu ihrer Verantwortung im hier und heute bekennt. Wenn Theater das leisten kann, Position zu beziehen und trotzdem zugleich die Geschichte mitzudenken, dann ist das unendlich viel.