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Klettern
"Die Freiheit aufzubrechen, wohin ich möchte"

Klettern gehört zu den boomenden Populär-Sportarten. Es werden allerorten Kletterparks und Steige gebaut. Auch das Bergsteigen in großen Höhen ist keine Sache von einigen wenigen Persönlichkeiten mehr. Was aber treibt immer mehr Menschen zum Klettern an?

Von Jessica Sturmberg | 17.08.2015
    Sportler erproben ihr Können an einer Kletterwand.
    Sportler erproben ihr Können an einer Kletterwand. (Jessica Sturmberg)
    "Für mich ist somit das Wichtigste im Klettern auch die Freiheit, aufzubrechen wann und wohin ich möchte."
    Stefan Glowacz ist Extremkletterer, er lebt für das Klettern und vom Klettern. Es ist sein Lebensmittelpunkt. Seitdem er denken kann.
    "Ich denke, dass es bei fast allen Bergwachtlern in Deutschland so ist, dass alle irgendwann angefangen haben mit einer Sportkletterei. Die Freude am Klettern. Darauf ist dann irgendwann der Gedanke entstanden, man könnte das ja auch weiter machen und anderen bei ihrem Hobby helfen, wenn sie denn in Not geraten."
    Christopher Kettner, Landesleiter der Bergwacht Nordrhein. Er hat seine Faszination zum Beruf zur Berufung gemacht.
    "Runter ist etwas anderes als Hochklettern. Weil man sich überwinden, muss nach unten zu gehen, und wenn man die Wand hochklettert, hat man ja immer eher den Blick nach oben gerichtet zur Wand und nicht nach unten."
    Anna Kania, Studentin, mit Lust auf Adrenalinkick. Geht zum ersten Mal an Gurten gesichert eine Gebäudewand senkrecht nach unten. Ohne zu zucken. Es ist die Aussicht, die Höhe, das Streben nach einem Ziel, das Spiel mit dem Nervenkitzel. Und auch eine Lebensphilosophie, das Menschen zum Klettern antreibt.
    Klettern auch ohne Vorkenntnisse
    Ein Klettersteig in Brühl bei Köln. Ein früheres Getreidesilo ist zu einem Kletterturm umgerüstet worden. 50 Meter hoch, drei Parcours gibt es mit Griffen, Steigeisen, Hängebrücken. Zum Schluss seilt man sich mit einem Base Jump aus der Höhe wieder ab. Alles ohne Vorkenntnisse möglich.
    "Überall bei uns im Parcours, wo es senkrecht nach oben geht, sind Leitern, Strickleitern oder hängen Höhensicherungsgeräte. Das sind meistens schwarze Seile dran, wie ihr das auch an der Leiter seht."
    Matthias Boll ist einer der Trainer am Steig, die einweisen, helfen, wenn es nötig wird und einfach zur Sicherheit da sind.
    "Und da hakt ihr euren Einhand-Karabiner ein, dann könnt ihr senkrecht nach oben klettern und dann ganz wichtig, wenn ihr oben angekommen seid, den Sasa als erstes über die Platte führen und danach erst den Einhand-Karabiner betätigen."
    Eine Gruppe von zehn Leuten hört aufmerksam zu, wie Matthias Boll das Sicherungssystem erklärt. Keiner von ihnen hat echte Klettererfahrung, die meisten machen es zum ersten Mal. Alle sind doppelt und durchgängig gesichert. Einige der Trainer, die hier arbeiten, sind Industriekletterer und sehen das wie einen Fitnesssport mit Aussicht. Ebenso die zahlenden Gäste. Durchtrainierte schaffen den schwierigsten Parcours in zehn Minuten, andere wollen überhaupt ausprobieren, ob Klettern etwas für sie ist.
    "Hoch mal gucken, ob man's schafft. - Das Ziel ist oben - Hier hat man einfach ein sicheres Gefühl, dass man da heile auch wieder herunterkommt."
    Auch wenn Kletterhallen oder -parks nicht mit dem Klettern an einem Felsen, an einer Gebirgswand zu vergleichen ist, so gibt es erst einmal ein Gefühl für Höhe und die Kräfte, die in einem stecken, sagt Bergwachtler Christopher Kettner. Er ist derjenige, der die Menschen rausholt, wenn sie sich in Gefahr gebracht haben. Und das geschieht gar nicht so selten.
    "Die meisten Fehler passieren in der Kletterei einfach deswegen, weil Leute sich überschätzen."
    Und das weniger in dem was sie an Geschick und Fertigkeit generell mitbringen.
    "Sondern einfach weil sie sich in dem überschätzen, dass die Strecke, die Route, wie auch immer zu lang ist, zu schwierig ist, man dann einfach aus der Zeit gerät. Und ein Körper, der nicht lange darauf vorbereitet ist oder überhaupt sportlich darauf vorbereitet ist, der hat dann einfach in einer Extremsituation Probleme. Da merkt man, ich verliere die Kraft, man fängt an zu zittern, man verliert dann einfach den Überblick und dann passieren Fehler, und diese Fehler können im schlimmsten Fall tödlich sein."
    Extremkletterer Stefan Glowacz
    Extreme Situationen, die alles abverlangen, was ein Körper physisch und psychisch aushalten kann, hat Stefan Glowacz erlebt. Der frühere Wettkampfkletterer ist mittlerweile 50 und hat den Wettkampfgedanken völlig abgelegt und sucht die Herausforderung vielmehr in Expeditionen zu den weißen Flecken der Erde. Gebirgswände, die erst jetzt bestiegen werden können, weil die technische Ausrüstung, die Kenntnisse über die Wände es erst jetzt überhaupt zulassen.
    So hatte ihn beispielsweise der Cerro Murallon in Patagonien in seinen Bann gezogen. Ein Massiv fernab der Zivilisation, die Nordwand bricht überhängend mehr als 1.000 Meter auf das Inlandeis ab. Drei Jahre seines Lebens hat er damit verbracht, diese Wand zu bezwingen, und brauchte drei Anläufe. Eisstürme, schwindende Nahrungsvorräte, ein Sturm, der die Zelte zerfetzt, alles hat er erlebt. Dass er es überlebt hat, liegt auch daran, dass er wusste, wann er und sein Team trotz aller investierten Kräfte und Mittel nicht mehr weitermachen durften:
    "Im richtigen Moment abzubrechen und zu sagen, das ist ein Risiko, das hier vor mir liegt, das ist unkalkulierbar, es gibt keinen Plan B, um dieses Risiko zu umgehen oder zu minimieren und hier ist ein Punkt gekommen, wo ich die Expedition abbrechen muss, zurückkehren in die Zivilisation, um sie nochmal neu aufzustellen."
    Demut sei das Wichtigste, was er beim Klettern gelernt habe und auch lernen musste. Ein fataler Sturz vor 20 Jahren sei für ihn womöglich das Beste gewesen, was ihm passieren konnte:
    "Ich bildete mir ein, dass ich besser klettern kann als alle anderen und sogar so gut klettern kann, dass ich auf das Seil zur Sicherung im Fall eines Sturzes verzichten kann. Aber das hat sich dann böse gerächt, weil ich dann eines Tages bei einer Trainingstour aus zehn Meter Höhe, als mir ein hundertprozentig sicher geglaubter Griff ausbrach, zu Boden zurückfiel, auf dem Boden aufschlug und mich dabei schwer verletzte, die Ferse zertrümmerte, die Knie kaputt gemacht habe, Handgelenk gebrochen, schwerste Prellungen. Zwei Jahre benötigte ich, um wieder da anzuschließen, wo ich eigentlich vor der Verletzung oder dem Absturz stand."
    Der Sturz hat Stefan Glowacz verändert, seinen Blick auf das Klettern und die Frage, warum er das macht: Es ist die Herausforderung an Leistungsgrenzen zu gehen, kreativ mit unvorhersehbaren Situationen fertig zu werden und sich dabei immer richtig einzuschätzen.