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Klickbetrug oder Kunstprojekt?

Es gibt Produkte, deren Markenname hat sich durchgesetzt. In jüngerer Zeit ist ein solcher Erfolg vor allem der Internet-Suchmaschine Google gelungen. Im Internet sucht man seitdem nicht mehr, man "googled". Ein Künstlerduo versucht nun, in den Besitz von Google zu kommen.

Von Burkhard Müller-Ullrich |
    Der kleine Häwelmann lag bekanntlich wach in seinem Rollenbettchen, und weil er damit herumfahren wollte, spannte er sein Hemdchen mit den Beinen auf und blies mit aller Kraft in dieses Segel. Theodor Storm hat mit seiner berühmten Kindergeschichte einen alten Menschheitstraum aufgegriffen: das Perpetuum mobile. So eine utopische Maschine, die sich selbst antreibt und ohne Energieverbrauch dauernd Arbeit leistet, gibt es wirklich. Oder jedenfalls fast wirklich.

    "Also, uns interessiert es jetzt nicht so sehr, das jetzt in realo wirklich durchzuführen. Unser Ziel ist jetzt hierbei nicht, wirklich real Google zu übernehmen, sondern die illustrierte Vorstellung reicht uns."

    Klingt beruhigend, ist aber trotzdem aufregend, was die Wiener Künstlerin Elisabeth Haas da sagt. Zusammen mit ihrem Schweizer Gefährten Hans Bernhard betreibt sie ein Internet-Projekt, dass ziemlich nach der Erfindung eines Perpetuum mobiles klingt: "Google will eat itself", Google soll sich selbst auffressen, beziehungsweise schlicht und einfach und ganz von allein in das Eigentum von Elisabeth Haas und Hans Bernhard übergehen. Und jetzt noch mal zum Mitschreiben: Auf der einen Seite Google Incorporated, Marktwert: 100 Milliarden Dollar, mehr als alle Schweizer Banken zusammen. Auf der anderen Seite eine in Österreich, der Schweiz und Italien lebende Künstlergruppe.

    "Wir haben natürlich schon einen ordentlichen Schuldenpolster aufgrund von Rechtskosten. Also, wir legen es jetzt überhaupt nicht darauf an. Wir sind ja keine Provokateure."

    Ach ja? Und wie war das mit dem Projekt "Vote-auction" vor sechs Jahren? Damals stand halb Amerika Kopf, weil das Duo Haas/Bernhard eine Internetplattform für illegalen Stimmenkauf bei den US-Präsidentenwahlen gebastelt hatte. Natürlich nur zum Schein, es handelte sich ja um Kunst, aber das FBI ermittelte, und die beiden bekamen Einreiseverbot in den Vereinigten Staaten.

    Und wie war das mit dem "Injunction generator"? Ein spielerischer Mechanismus, um Einstweilige Verfügungen zu generieren, mit denen man zeitweilig fremde Websites aus dem Netz kicken kann, denn:

    "Die Lust am Experiment und am Fehlspiel des Instrumentariums ist natürlich sehr groß."

    Kein Wunder jedenfalls, dass da etliche Rechtskosten auflaufen und manche Leute diese Künstlergruppe mit Namen "Übermorgen-dot-com" für das halten, als was sie sich selbst vorstellt: Internet-Terroristen. Zumindest Internet-Nervensägen.

    Auch die Firmenleitung von Google sieht das so. Denn jetzt ist sie ins Visier der Elektronik-Aktionisten geraten. Das Prinzip der von ihnen in Gang gesetzten Eigentum-Übertragungs-Automatik ist ganz einfach: Google zahlt an Webseiten, auf denen Google-Werbung läuft, Gebühren fürs Angeklickt-Werden. Nun ist es ein Leichtes, jede Menge sinnloser Webseiten zu bauen, sie beim Google-Werbeprogramm anzumelden und sie von anderen Stellen aus massenhaft und automatisch anklicken zu lassen. Mit dem Google-Geld, das so zusammenkommt, kaufen Haas und Bernhard Google-Aktien, und in 200 Millionen Jahren, das haben sie schon ausgerechnet, gehört ihnen Google ganz. Wäre es kein Kunstprojekt, hieße das wohl Klickbetrug. Und man muss sich eigentlich nicht wundern, wenn es Ärger gibt.

    "Ja, also, ich meine, es ist ja nicht so, dass wir es machen mit vorgehaltener Pistole oder so. Wir machen ja keine Karikatur draus."

    Aber ja doch! Was soll denn dieses ganze David-Goliath-Spiel sonst sein als ein radikaler Test auf das verborgene Lächerlichkeitspotential?

    "Natürlich ist Google, hat einen guten Such-Algorithmus und so weiter, aber die Tatsache, dass es diese Riesen-Monster-Mega-Überfirma ist, ist natürlich vollkommen lächerlich. Und diese Lächerlichkeit kann man durchaus mal in den Vordergrund ziehen, würde ich sagen."

    Dass sie Google hassen würde, streitet Elisabeth Haas ab. Aber sie hat sich in die Sache schon verbissen. Dabei war sie - als Studentin mit der irgendwie sehr wienerischen Fächerkombination Kunst und Wirtschaft - schon weitaus früher im Netz als die große Suchmaschine.

    "Wien hat ja früher eine hohe Modemdichte gehabe und war sehr Internet-ready relativ früh, und es war auch auf meiner Uni so, dass Internet ein großes Thema war und sehr umsetzbar war - sprich: Ich hab auch meine Diplomarbeit programmiert und nicht über irgend etwas geschrieben."

    Dieses technische Know-how stellen Haas und Bernhard in den Dienst einer in Wien schon geradezu klassischen Kunsttheorie. Mit den Aktionisten stehen sie auch in persönlicher Verbindung, und im Grunde handelt es sich bei ihrer Manipulation von Medientechnologie um eine digitale Version des alten Aktionismus. Oder ist ihr ganzer Kunstanspruch nur ein Trick, um sich juristisch unangreifbar zu machen?

    "Na, da sind wir extrem seriös, also das meinen wir ganz, ganz ernst. Wir sind auch wirklich da sehr unpolitisch und wir arbeiten aber auch halt in Bereichen, die wir als "legal art" definieren, zum Beispiel solche Projekte wie der "injunction generator", also ein Verfügungsgenerator sind natürlich relativ hardlinig auf der juristischen Form, das ist schon klar, aber das meinen wir schon sehr, sehr ernst."

    Aber Spaß macht dieses ernste Treiben auch, weil es einfach faszinierend ist, die Ausbreitung von selbstgemachten Artefakten im sozialen Organismus zu verfolgen. Gleich dem Kinde, das von einer Brücke Papierschnipsel in einen Bach wirft, um zu sehen, wann und wo sie auf der anderen Seite herauskommen, macht es vielen Menschen Freude, an Informationskanälen herumzuspielen und dabei festzustellen, wie anfällig der arrogante, glamouröse und hochtechnisierte Medienbetrieb tatsächlich ist. Die Gruppe Übermorgen hat das zu ihrem ästhetischen Programm erhoben.