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Klimagas-Bilanz für einen ganzen Kontinent

Medizin. - Im Kyoto-Protokoll verpflichteten sich die Industrienationen, ihren Ausstoß an Treibhausgasen deutlich zu drosseln - vor allem die Emission an Kohlendioxid aus der Verbrennung von Kohle, Gas und Öl. Damit entbrannte aber auch eine Kontroverse um Klimagas-Bilanzen, denn verschiedene Länder verwiesen, darauf, dass etwa ihre Wälder auch zur Senkung des Klimagases beitragen. Wie zuverlässig ermittelt werden kann, wie viel Kohlendioxid ein Land einerseits ausstößt und wie groß andererseits seine ''Kohlendioxid-Senken'' sind, damit befassen sich europäische Forscher seit drei Jahren im Rahmen des Vorhabens ''CarboEurope''. Das weltweit größte Forschungsprojekt seiner Art stellte jetzt erste Ergebnisse an einem seiner Forschungsstützpunkte im spanischen Valencia vor.

    Von Volker Mrasek

    Ein kleiner Test mit einem kleinen Flugzeug. "Sky arrow" – "Himmelspfeil" - so heißt die zweisitzige Propeller-Maschine. Mit acht Metern Länge ist sie wahrhaftig ein Winzling ...

    Die ist das kleinste zugelassene Flugzeug der Welt. Beobachter reiben sich manchmal die Augen, denn wir fliegen damit nur knapp über die Baumgipfel hinweg. Je tiefer wir uns bewegen, desto genauer erfassen wir den Gas-Austausch.

    Der Italiener Franco Miglietta ist einer von über 250 Wissenschaftlern, die mitmachen bei CarboEurope, einem Projekt der EU-Kommission. Es hat ein sehr anspruchsvolles Ziel: Die Forscher wollen ermitteln, wie viel Kohlendioxid ein ganzer Kontinent ausstößt, nämlich: Europa. Und: Welcher Anteil der geballten Industrie- und Verkehrsemissionen gleich wieder verschwindet. In so genannten Kohlenstoff-Senken oder -Speichern. Dazu muss man sich mit der Vegetation beschäftigen. Denn die braucht ja Kohlendioxid für die Photosynthese. Mehr Kohlendioxid in der Außenluft - für Pflanzen bedeutet das zusätzliches Lebenselixier. Man spricht auch von einem "Düngungs-Effekt". Doch wie stark ist er? Wie groß ist die pflanzliche Kohlenstoff-Senke? Antworten auf diese Frage suchen die CarboEurope-Forscher vor allem in Europas Wäldern. Die spanische Chemie-Ingenieurin Silvia Cosin erklimmt ein riesiges Metall-Gestell im Naturpark Albufera nahe Valencia. Am Ende thront sie auf einer Plattform 30 Meter über dem Waldboden, bestückt mit diversen Messinstrumenten, Probensammlern und Mini-Pumpen:

    Von hier können wir das Meer sehen. Und viel Vegetation direkt unter uns. Vor allem Aleppo-Kiefern. Aber auch Pinien und viele Sträucher: Pistazien und Stechpalmen. Das ist ein typischer mediterraner Nadelwald auf sandigem Boden.

    Messtürme wie dieser an der spanischen Mittelmeer-Küste sind über ganz Europa verteilt. Sie stehen in Italien, in Schweden, in Portugal, in England und in

    ... Deutschland - mehr als drei Dutzend mittlerweile. Die meisten in Wäldern, einige aber auch auf Gras- und Ackerland. Alle sammeln fleißig Daten für CarboEurope - genauso wie das Mini-Flugzeug "Sky arrow", das bei seinen Mess-Kampagnen ganze Landstriche abdeckt. Drei Jahre ist das Forschungsprojekt jetzt alt. Und es gibt erste Ergebnisse. Die Wissenschaftler stellten sie jetzt in Valencia vor. Demnach bremst Europas Vegetation im Moment die Klimaerwärmung. Bis zu 30 Prozent der alljährlichen CO2-Emissionen aus Industrie und Verkehr wandern in die Pflanzenwelt, so die vorläufige Schätzung. Vor allem Wälder sind - zumindest gegenwärtig - also eine Kohlenstoff-Senke. Aber es gibt Unterschiede - was Ernst-Detlef Schulze für das wichtigste Resultat von CarboEurope hält. Der deutsche Forstbiologe ist Direktor am Max-Planck-Institut für Biogeochemie in Jena:

    Die großen Senken sind in Wäldern, die eine geringe Bewirtschaftungsintensität haben. Weil die Bewirtschaftung immer mit Störungen des Bodens verbunden ist, und dies wieder zu einer Quelle führt. Klein-Kompartimente - Krümel - werden wieder zerschlagen. Und damit wird der einmal schon festgelegte Kohlenstoff wieder immobilisiert.

    Der Appell der Europäer vor dem kommenden 8. Welt-Klimagipfel lautet deshalb: Schützt alle alten und unberührten Wälder mit ihren großen Kohlenstoff-Vorräten! Dann bewahrt ihr die größten Klimagas-Senken auf den Kontinenten. Tatsächlich aber tauchen Naturbestände im Kyoto-Klimaschutzprotokoll gar nicht auf. Bonuspunkte gibt es nur für bewirtschaftete Wälder. Nicht für die, die man sich selbst überlässt. Das müsse sich ändern, meint der CarboEurope-Forscher und Forstökologe Ricardo Valentini aus Italien:

    Zur Zeit gibt es so etwas wie einen Goldrausch. Man holzt tropischen Naturwald ab und pflanzt neue Plantagen. Um dafür dann einen Klima-Bonus zu bekommen. Das müssen wir verhindern.