Katja Lückert: Heute Morgen um exakt 4 Uhr 27 war Vollmond im Sternbild Zwilling. Die Konflikte des 21. Jahrhunderts könnten sich weniger um Ideologie und konkurrierende Systeme, sondern mehr um Glaubens- und vor allem um Ressourcenfragen drehen. Der Kampf um Trinkwasser, Bürgerkriege, gerade in den ärmsten Ländern, und endlose Flüchtlingsströme bestimmen schon jetzt die Gegenwart.
Harald Welzer leitet die Forschungsgruppe "Erinnerung und Gedächtnis" am Kulturwissenschaftlichen Institut in Essen und ist Forschungsprofessor für Sozialpsychologie an der Universität Witten-Herdecke. Im letzten Jahr erschien sein Buch "Klimakriege".
An ihn die Frage: Von den Gasnotständen in Südosteuropa war in den letzten Tagen viel die Rede, gerade heute scheint sich eine Wende abzuzeichnen, die Ukraine hat das Abkommen für den Transit russischen Gases unterzeichnet und damit den Weg für die Wiederaufnahme der russischen Gaslieferungen nach Europa freigemacht. Dennoch muss man sich wohl fragen, wie weit der Firnis der Zivilisation reicht, wenn Menschen erfrieren.
Harald Welzer: Na ja, vielleicht sollte man eher fragen, auf welche Form von Selbstverständlichkeit unser Alltag gebaut ist. Und an solchen Dingen wie eben diesem Lieferstopp, der ja nun die Bundesrepublik gar nicht erreicht hat, sieht man ja, dass auch das Gas genauso wie andere Energie, die wir nutzen, nicht einfach aus den Leitungen kommt, sondern von irgendwoher bezogen wird. Und insofern muss man sich schon die Frage stellen, ob das eigentlich ein wünschenswerter Zustand auf Dauer ist.
Lückert: Es scheint aber, als ob die Menschheit sehr schnell so überfordert ist, wenn extreme klimatische Bedingungen herrschen. Man denke da an den heißen Supersommer vor einigen Jahren, wo dann auch in Frankreich viele Menschen gestorben sind, viele alte Menschen, weil das Gesundheitssystem auf eine intensivere Versorgung nicht eingerichtet war, oder auch die Lage nach diesem Wirbelsturm Katrina in New Orleans. Also da scheint es doch eine Überforderung zu geben?
Welzer: Ja, wir sind im Grunde genommen ja eingestellt darauf, dass hinsichtlich der Versorgung und hinsichtlich der Technologien, dieses Sicherstellen, hinsichtlich des guten Willens derjenigen, mit denen man da Vereinbarungen hat, die Sache ganz normal läuft.
Nun sind moderne Gesellschaften hochgradig verletzlich, eben deswegen, weil sie so komplex sind und weil sie so viel Energie benötigen. Und man merkt an den genannten Beispielen eben tatsächlich, dass diese Verletzlichkeit doch sehr schnell gegeben sein kann. Also die Hitzetoten seinerzeit in Europa bewegten sich ja im Bereich von 30.000 bis 50.000 Personen, das ist ja nicht ganz wenig.
Und das Beispiel New Orleans hat gezeigt, dass soziale Ordnung innerhalb kürzester Zeit auch eben nicht in Drittweltländern, sondern in hoch technisierten, sehr reichen Ländern zusammenbrechen kann. Insofern sind solche Beispiele eigentlich sehr aussagekräftig dafür, wie unsere Gesellschaften funktionieren und wie gefährdet sie sind, wenn irgendwelche Elemente dieser Funktionen dann ausfallen.
Lückert: In Ihrem Buch "Klimakriege" stellen Sie ja eindrücklich die sozialen Folgen des Klimawandels dar, die zu regelrechten Kriegen führen können. Sind die wirklich fast wichtiger als die klimatischen Änderungen?
Welzer: Na, das hängt ja unmittelbar zusammen. Also wenn zum Beispiel Gewalt dadurch entsteht, dass Menschen ihr Überleben nicht mehr sichern können, weil der Boden durch Wüstenbildung unfruchtbar wird, wenn sie dann wandern oder in Konkurrenz mit anderen Gruppen treten und dadurch Gewalt entsteht, dann ist ein ganz enger Zusammenhang zwischen Klimaerwärmung und sozialen Folgen, hier in dem Sinne Krieg und Gewalt, zu sehen.
Man muss ja überhaupt sehen, dass der Klimawandel nur insofern überhaupt wichtig ist, als er Gesellschaften und Kulturen trifft. Der Welt selber ist es ja egal, ob das Klima sich verändert.
Lückert: Es gibt ein Buch auch von Wolfgang Behringer, das kennen Sie sicher, der in seiner "Kulturgeschichte des Klimas" auch von Gewinnern und Verlierern spricht. Also er sagt zum Beispiel, dass im Mittelalter in gewissen Gegenden blühende Landschaften es gegeben hat, die jetzt eher kälteren Weltgegenden zugerechnet werden müssen.
Aber das ist dann eben eine sehr, wie soll man sagen, es ist keine Frage des moralischen Kontextes, es geht einfach darum: Es gibt manche, die gewinnen an dieser Klimaänderung, und andere, die verlieren andere Weltgegenden.
Welzer: Das ist völlig richtig, und das wird auch bei der gegenwärtigen Klimaveränderung der Fall sein. Es ist aber keine Funktion des Klimas allein. Man muss bei diesem Zusammenhang einfach sehen, dass die Regionen in der Welt, die von den Folgen der Klimaerwärmung am meisten betroffen sind, erstens diejenigen sind, die am wenigsten zu den Ursachen beigetragen haben.
Und zweitens, und da kommt eigentlich das Soziale ins Spiel, sind es gleichzeitig die Regionen, die am wenigsten Kapazitäten haben, mit den Folgen umzugehen. Also, im Unterschied zu Europa gibt es dort keinen Katastrophenschutz, der funktioniert, es gibt auch keine Versicherungen, die dafür aufkommen würden, wenn Schäden angerichtet werden, es gibt keine Kompensationszahlung.
Wir haben also eine doppelte Problemlage, höchste Betroffenheit, geringste Bewältigungsmöglichkeiten. Und genau das ist bei den reichen Ländern umgekehrt. Und insofern gibt es natürlich hier noch mal potenzierte Gewinner und Verlierer.
Lückert: Wenn wir von den Ursachen sprechen, wie sicher kann man Ihrer Ansicht nach sein, dass die klimatische Veränderung auf der Erde alle menschengemacht sind?
Welzer: Na ja, ich würde dann doch sagen wir mal der weit über 90-prozentigen Mehrheit aller Klimaforscher und -forscherinnen folgen und weniger den sich interessant machenden Klimaskeptikern, die dann sagen, das käme von woanders her.
Ich selber bin kein Klimaforscher, würde aber aus rationalen Gründen dann doch eher der wissenschaftlichen Mehrheitsmeinung folgen, zumal wenn sie so überwältigend ist. Übrigens ist es für die Folgenseite, über das, was wir jetzt gesprochen haben, letztlich sogar völlig egal, ob die Klimaveränderung menschengemacht ist oder nicht, mit den Folgen müssen wir so oder so umgehen.
Lückert: Können Sie sich noch daran erinnern, so vor 25 Jahren hatte man Angst vor einer Eiszeit. Jetzt ist immer die Klimaerwärmung das Thema. Also eine Klimaveränderung gibt es wohl in jedem Fall. Aber erinnern Sie sich an diese Eiszeit-Diskussion?
Welzer: Ja, aber die ist ja auch gar nicht abwegig in diesem Zusammenhang. Denn dass das Klima sich global um bis zu drei, vier, fünf Grad verändern wird in absehbaren Zeiträumen, hat ja nicht zur Folge, dass es an jeder Stelle der Welt wärmer wird, sondern das hat zur Folge, dass sich das Klimasystem insgesamt verändert, was natürlich in bestimmten Gegenden der Welt auch Erhöhung von Frostperioden und so was zur Folge haben kann.
Die Extreme nehmen zu. Das ist zumindest das, was man zunächst mal sehen kann und übrigens ja auch empfinden kann, wenn Sie an Extremwetterereignisse aus den vergangenen Jahren denken.
Lückert: Harald Welzer über Gaskrise, Klimawandel und frostige Zeiten.
Harald Welzer leitet die Forschungsgruppe "Erinnerung und Gedächtnis" am Kulturwissenschaftlichen Institut in Essen und ist Forschungsprofessor für Sozialpsychologie an der Universität Witten-Herdecke. Im letzten Jahr erschien sein Buch "Klimakriege".
An ihn die Frage: Von den Gasnotständen in Südosteuropa war in den letzten Tagen viel die Rede, gerade heute scheint sich eine Wende abzuzeichnen, die Ukraine hat das Abkommen für den Transit russischen Gases unterzeichnet und damit den Weg für die Wiederaufnahme der russischen Gaslieferungen nach Europa freigemacht. Dennoch muss man sich wohl fragen, wie weit der Firnis der Zivilisation reicht, wenn Menschen erfrieren.
Harald Welzer: Na ja, vielleicht sollte man eher fragen, auf welche Form von Selbstverständlichkeit unser Alltag gebaut ist. Und an solchen Dingen wie eben diesem Lieferstopp, der ja nun die Bundesrepublik gar nicht erreicht hat, sieht man ja, dass auch das Gas genauso wie andere Energie, die wir nutzen, nicht einfach aus den Leitungen kommt, sondern von irgendwoher bezogen wird. Und insofern muss man sich schon die Frage stellen, ob das eigentlich ein wünschenswerter Zustand auf Dauer ist.
Lückert: Es scheint aber, als ob die Menschheit sehr schnell so überfordert ist, wenn extreme klimatische Bedingungen herrschen. Man denke da an den heißen Supersommer vor einigen Jahren, wo dann auch in Frankreich viele Menschen gestorben sind, viele alte Menschen, weil das Gesundheitssystem auf eine intensivere Versorgung nicht eingerichtet war, oder auch die Lage nach diesem Wirbelsturm Katrina in New Orleans. Also da scheint es doch eine Überforderung zu geben?
Welzer: Ja, wir sind im Grunde genommen ja eingestellt darauf, dass hinsichtlich der Versorgung und hinsichtlich der Technologien, dieses Sicherstellen, hinsichtlich des guten Willens derjenigen, mit denen man da Vereinbarungen hat, die Sache ganz normal läuft.
Nun sind moderne Gesellschaften hochgradig verletzlich, eben deswegen, weil sie so komplex sind und weil sie so viel Energie benötigen. Und man merkt an den genannten Beispielen eben tatsächlich, dass diese Verletzlichkeit doch sehr schnell gegeben sein kann. Also die Hitzetoten seinerzeit in Europa bewegten sich ja im Bereich von 30.000 bis 50.000 Personen, das ist ja nicht ganz wenig.
Und das Beispiel New Orleans hat gezeigt, dass soziale Ordnung innerhalb kürzester Zeit auch eben nicht in Drittweltländern, sondern in hoch technisierten, sehr reichen Ländern zusammenbrechen kann. Insofern sind solche Beispiele eigentlich sehr aussagekräftig dafür, wie unsere Gesellschaften funktionieren und wie gefährdet sie sind, wenn irgendwelche Elemente dieser Funktionen dann ausfallen.
Lückert: In Ihrem Buch "Klimakriege" stellen Sie ja eindrücklich die sozialen Folgen des Klimawandels dar, die zu regelrechten Kriegen führen können. Sind die wirklich fast wichtiger als die klimatischen Änderungen?
Welzer: Na, das hängt ja unmittelbar zusammen. Also wenn zum Beispiel Gewalt dadurch entsteht, dass Menschen ihr Überleben nicht mehr sichern können, weil der Boden durch Wüstenbildung unfruchtbar wird, wenn sie dann wandern oder in Konkurrenz mit anderen Gruppen treten und dadurch Gewalt entsteht, dann ist ein ganz enger Zusammenhang zwischen Klimaerwärmung und sozialen Folgen, hier in dem Sinne Krieg und Gewalt, zu sehen.
Man muss ja überhaupt sehen, dass der Klimawandel nur insofern überhaupt wichtig ist, als er Gesellschaften und Kulturen trifft. Der Welt selber ist es ja egal, ob das Klima sich verändert.
Lückert: Es gibt ein Buch auch von Wolfgang Behringer, das kennen Sie sicher, der in seiner "Kulturgeschichte des Klimas" auch von Gewinnern und Verlierern spricht. Also er sagt zum Beispiel, dass im Mittelalter in gewissen Gegenden blühende Landschaften es gegeben hat, die jetzt eher kälteren Weltgegenden zugerechnet werden müssen.
Aber das ist dann eben eine sehr, wie soll man sagen, es ist keine Frage des moralischen Kontextes, es geht einfach darum: Es gibt manche, die gewinnen an dieser Klimaänderung, und andere, die verlieren andere Weltgegenden.
Welzer: Das ist völlig richtig, und das wird auch bei der gegenwärtigen Klimaveränderung der Fall sein. Es ist aber keine Funktion des Klimas allein. Man muss bei diesem Zusammenhang einfach sehen, dass die Regionen in der Welt, die von den Folgen der Klimaerwärmung am meisten betroffen sind, erstens diejenigen sind, die am wenigsten zu den Ursachen beigetragen haben.
Und zweitens, und da kommt eigentlich das Soziale ins Spiel, sind es gleichzeitig die Regionen, die am wenigsten Kapazitäten haben, mit den Folgen umzugehen. Also, im Unterschied zu Europa gibt es dort keinen Katastrophenschutz, der funktioniert, es gibt auch keine Versicherungen, die dafür aufkommen würden, wenn Schäden angerichtet werden, es gibt keine Kompensationszahlung.
Wir haben also eine doppelte Problemlage, höchste Betroffenheit, geringste Bewältigungsmöglichkeiten. Und genau das ist bei den reichen Ländern umgekehrt. Und insofern gibt es natürlich hier noch mal potenzierte Gewinner und Verlierer.
Lückert: Wenn wir von den Ursachen sprechen, wie sicher kann man Ihrer Ansicht nach sein, dass die klimatische Veränderung auf der Erde alle menschengemacht sind?
Welzer: Na ja, ich würde dann doch sagen wir mal der weit über 90-prozentigen Mehrheit aller Klimaforscher und -forscherinnen folgen und weniger den sich interessant machenden Klimaskeptikern, die dann sagen, das käme von woanders her.
Ich selber bin kein Klimaforscher, würde aber aus rationalen Gründen dann doch eher der wissenschaftlichen Mehrheitsmeinung folgen, zumal wenn sie so überwältigend ist. Übrigens ist es für die Folgenseite, über das, was wir jetzt gesprochen haben, letztlich sogar völlig egal, ob die Klimaveränderung menschengemacht ist oder nicht, mit den Folgen müssen wir so oder so umgehen.
Lückert: Können Sie sich noch daran erinnern, so vor 25 Jahren hatte man Angst vor einer Eiszeit. Jetzt ist immer die Klimaerwärmung das Thema. Also eine Klimaveränderung gibt es wohl in jedem Fall. Aber erinnern Sie sich an diese Eiszeit-Diskussion?
Welzer: Ja, aber die ist ja auch gar nicht abwegig in diesem Zusammenhang. Denn dass das Klima sich global um bis zu drei, vier, fünf Grad verändern wird in absehbaren Zeiträumen, hat ja nicht zur Folge, dass es an jeder Stelle der Welt wärmer wird, sondern das hat zur Folge, dass sich das Klimasystem insgesamt verändert, was natürlich in bestimmten Gegenden der Welt auch Erhöhung von Frostperioden und so was zur Folge haben kann.
Die Extreme nehmen zu. Das ist zumindest das, was man zunächst mal sehen kann und übrigens ja auch empfinden kann, wenn Sie an Extremwetterereignisse aus den vergangenen Jahren denken.
Lückert: Harald Welzer über Gaskrise, Klimawandel und frostige Zeiten.