Sonntag, 14. April 2024

Klimaklage
Klimaseniorinnen klagen vor Menschengerichtshof

Zum ersten Mal überhaupt beschäftigt sich der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte mit einer Klage für mehr Klimaschutz. Auslöser ist die Klage von Seniorinnen aus der Schweiz, die sich durch die Klimapolitik ihres Landes diskriminiert sehen.

31.03.2023
Rosmarie Wydler-Wälti, Co-Präsidentin des Vereins „Klimaseniorinnen Schweiz“ - eine ältere Frau mit grauem, halblangen Haar in pinker Jacke lächelt bei einem Protest in die Kamera.
Rosmarie Wydler-Wälti, Co-Vorsitzende des Vereins "Klimaseniorinnen Schweiz", fordert von der Politik, Möglichkeiten und Gesetze zu schaffen, um die Klimakrise zu bewältigen. (picture alliance / KEYSTONE / JEAN-CHRISTOPHE BOTT)
Wenn über die Klimakrise gesprochen wird, fällt häufig der Begriff Generationenkonflikt. Denn – da ist sich die Wissenschaft einig – die großen Probleme werden erst in der Zukunft eintreten und die Entscheidungen, die heute gefällt werden, beeinflussen vor allem die Jüngsten der Gesellschaft.
Trotzdem hat nun ausgerechnet die Klage des Vereins „Klimaseniorinnen Schweiz“ dazu geführt, dass sich der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) nun erstmals mit der Frage beschäftigt, ob ein Staat Menschenrechte verletzen kann, wenn er nicht genügend gegen den Klimawandel tut.

Warum klagen ausgerechnet Seniorinnen?

Dass ausgerechnet die Klimaseniorinnen vom EGMR gehört werden, hängt mit dem Schweizer Rechtssystem zusammen. Dort seien nur Personen berechtigt, Klage einzureichen, die eine aktuelle und besondere Betroffenheit nachweisen können, erklärt Rosmarie Wydler-Wälti, Co-Präsidentin des Vereins. Sie sagt, dass besonders ältere Frauen durch Hitzewellen gefährdet sind.
Vor den Schweizer Gerichten sind die Klimaseniorinnen in dem seit Jahren andauernden Gerichtsstreit jedoch zweimal gescheitert. Anwalt Alain Chablais, der das Land vor dem EGMR vertritt, möchte die Klage als unzulässig abweisen lassen. Er sagte gegenüber Reuters, jede von dem Gericht erlassene Vorschrift würde eine Überschreitung bedeuten, die dem Gericht quasi das Gewicht eines Gesetzgebers verleihe.

Sind gerade ältere Frauen vom Klimawandel betroffen?

Die Klägerinnen berufen sich darauf, dass die Schweiz durch mangelhaften Klimaschutz vier Verletzungen an der Europäischen Menschenrechtskonvention begeht, darunter das Recht auf Leben. Tatsächlich sagen unter anderem die WHO und das Umweltbundesamt, dass vor allem Personen über 70 Jahren von vergangenen Hitzewellen am stärksten betroffen waren und Frauen häufiger unter den Folgen leiden als Männer.

Was würde ein Urteil bedeuten?

Aktuell ist unklar, zu welcher Entscheidung das Gericht tendiert, weil es die erste Klage zu dem Thema ist. „Das Spektrum der möglichen Entscheidungen, die das Gericht treffen kann, ist daher weit gespannt: Es reicht von der Unzulässigkeit der Klage bis hin zu detaillierten gerichtlichen Vorgaben für die schweizerische Klimapolitik“, erklärte der Umweltrechtler Johannes Reich von der Universität Zürich der dpa.
Zwar würde ein Urteil des EGMR erst mal nur die Schweiz betreffen, es wäre aber für alle Mitgliedsstaaten des Europarats wegweisend. Denn bisher ist unklar, ob sie zur Erhaltung des Pariser Klimaabkommens gezwungen werden können. Der Gerichtshof ist offensichtlich sehr interessiert daran, diese Frage zu klären. Denn der Fall wurde als dringlich eingestuft und wird in der großen Kammer verhandelt. Diese besteht aus 17 Richterinnen und Richtern, die sich nur mit besonders schwerwiegenden Fragen zur Auslegung oder Anwendung der Europäischen Menschenrechtskonvention beschäftigen.

Welche Klimaklagen werden noch vom EGMR gehört?

Dass es dem EGMR dabei nicht nur um den speziellen Fall der Klimaseniorinnen geht, zeigt ein Blick in den Kalender des Gerichtshofes. Denn am selben Tag wie der Fall der Schweizerinnen wurde auch die Klage eines französischen Bürgermeisters verhandelt und diesen Sommer folgt ein Prozess, bei dem Kinder und Jugendliche aus Portugal 33 Staaten wegen verfehlter Klimapolitik verklagen.
(Quellen: hte / dpa / reuters / deutschlandradio)