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Klimawandel
Das Wattenmeer droht zu ertrinken

Klimaschutz, Klimawandel, steigende Meeresspiegel. Das klingt für viele Menschen hier in Deutschland nach einem Problem, das irgendwie ziemlich weit weg ist. Steigende Meeresspiegel bedrohen aber nicht nur ferne Inselstaaten, sondern auch das deutsche Wattenmeer. Es droht laut einer aktuellen Studie regelrecht zu ertrinken.

Von Dietrich Mohaupt |
    Eine alte Buhne an der Nordseeküste bei Niedrigwasser vor Cuxhaven in Niedersachsen.
    Eine alte Buhne an der Nordseeküste bei Niedrigwasser vor Cuxhaven in Niedersachsen. (Imago / blickwinkel)
    Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache – es sind sich zwar nicht alle Experten ganz einig, aber es gibt eine klare Tendenz, meint Jannes Fröhlich vom WWF in Husum. "Wir haben im Moment einen Meeresspiegelanstieg von etwa 1,6 Millimeter pro Jahr – das entspricht dann 16 Zentimetern in einhundert Jahren hier in der Region. Und zukünftig erwarten wir, dass der Meeresspiegel zwischen 20 und 80 Zentimetern ansteigen wird. Manche gehen auch mit größeren Zahlen um – also bis zu einem Meter bis 2100, das ist so in etwa der Horizont."
    Die Folgen wären dramatisch – man müsse mit massiven Veränderungen an den sogenannten weichen Küsten rechnen, die Szenarien sind eindeutig. "Für das Wattenmeer bedeutet das zunächst einmal, dass es sein könnte, dass Wattflächen verschwinden, Wattflächen erodieren, Inselufer abbrechen, Halligufer. Plakativ gesprochen kann man sagen, dass das Wattenmeer zum Ende des Jahrhunderts droht zu ertrinken."
    Bislang eher zufälliges Sedimentmanagement
    Deshalb müsse das Wattenmeer mit dem Meeresspiegel in die Höhe wachsen. Wie – das zeigt die aktuelle WWF-Studie an beispielhaften Projekten, die belegen, dass das Wattenmeer ein aktives Sedimentmanagement braucht. Es muss also zusätzlich Sand zum Beispiel in das Wattenmeer eingetragen werden. In Schleswig-Holstein geschieht das schon seit Jahrzehnten – allerdings eher zufällig im Zusammenhang mit den Sandaufspülungen unter anderem auf den Stränden der Insel Sylt. Jahr für Jahr versucht man dort, mit gut einer Million Kubikmetern Sand die Insel zu sichern, erläutert Johannes Oelerich, Direktor des Landesbetriebs für Küstenschutz, Nationalpark und Meeresschutz, kurz LKN. "Seit über 40 Jahren schützen wir die Westküste von Sylt dadurch, dass wir Sand vorbringen. Dieser Sand wird dann in den natürlichen erosiven Prozessen an der Küste wiederum transportiert – das heißt also: Das Material, das wir dort einbringen, ist nicht einfach weg, sondern wird an anderer Stelle durch die Natur wieder eingesetzt."
    Um diesen Prozess künftig besser steuern zu können, soll aus den über fast 100 Jahre gesammelten Daten zu Strömungsverhältnissen, Seegang und dem Meeresspiegelanstieg sowie den Prognosen für die Zukunft ein dynamisches Modell künftiger Veränderungen im Wattenmeer errechnet werden. "Wenn wir dann weiterhin modelltechnisch einsetzen können, dass wir Materialien an bestimmten Stellen vor dem Wattenmeer zum Beispiel einbringen, dann erhoffen wir uns, dass wir dort Entscheidungshilfen bekommen aus den Ergebnissen heraus, die uns sagen: An dieser Stelle solltet ihr so und so viel an Material einsetzen, und das würde sich dann wie folgt verteilen."
    Deiche haben schon einen "Klimazuschlag"
    Mit ihrer im Sommer verabschiedeten "Wattenmeerstrategie 2100" setzt die Landesregierung vor allem auf diese Art des Sedimentmanagements – der WWF hat in seiner Studie darüber hinaus aber noch weitere Maßnahmen beispielhaft vorgestellt. Dabei spielt unter anderem die Renaturierung von Marschflächen eine wichtige Rolle, betont Jannes Fröhlich. "Da gibt es Beispiele vom Mississippi-Delta, wo solche Gebiete im großen Stil renaturiert worden sind. Es gibt Beispiele aus England – Wallasea Island – und das Wichtige ist eben, dass diese renaturierten Küstenmarschen, Salzwiesen, nicht nur einmalige Naturgebiete sind, sondern auch eine Küstenschutzfunktion erfüllen, weil sie eben die Wellenenergie des Meeres abpuffern an diesen flachen Küsten."
    In Schleswig-Holstein müssten zum Beispiel auf den Halligen im Wattenmeer die sogenannten Sommerdeiche aufgegeben werden. Und auf dem Festland müsste man eventuell sogar Deichlinien ins Landesinnere verlegen, um Marschflächen wieder den Gezeiten zu überlassen. Die Experten im LKN halten davon gar nichts. Der Küstenschutz sei mit den aktuellen Deichverstärkungen, bei denen ein "Klimazuschlag" von einem halben Meter über dem erwarteten Meeresspiegelanstieg berücksichtigt sei, bis zum Jahr 2100 gewährleistet. Durch breitere Profile und eine breitere Deichkrone ermögliche man es außerdem künftigen Generationen, die Deiche ohne großen Aufwand noch weiter aufzustocken. Über andere Deichlinien müsse man deshalb derzeit nicht diskutieren, betont LKN-Direktor Johannes Oelerich. "Also, wir haben ausdrücklich gesagt, dass die erste Deichlinie an der Festlandküste für uns die Grenze des Betrachtungsraumes ist – also das ist nicht Bestandteil der Strategie für das Wattenmeer 2100!"