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Klimawandel gefährdet Küsten von Entwicklungsländern

Klimaforschung. - Die Weltbank hat untersucht, wie sich der steigende Meeresspiegel auf mehr als 80 Entwicklungsländer auswirkt. Während sich reiche Industrieländer gegen diese Folge des Klimawandels teilweise schützen und teure Deiche bezahlen können, stehen die armen Küstenländer dem Problem hilflos gegenüber. Die Ergebnisse der Studie haben die Weltbankexperten in der internationalen Fachzeitschrift "Climatic Change" veröffentlicht.

Von Volker Mrasek | 17.12.2008
    Das größte Kunststück gelang den Weltbank-Forschern schon zu Beginn ihrer Studie: verlässliche Daten aus so vielen Entwicklungsländern aufzutreiben. Über die Geographie ihrer Küstenstriche, über Siedlungs- und Agrarstrukturen. Dafür klopfte Susmita Dasgupta sogar bei der US-Raumfahrtbehörde Nasa an. Die Inderin ist Chef-Ökonomin in der Abteilung für Entwicklungsforschung der Weltbank. Und die Daten von Radarsatelliten erlaubten es ihrem Forscherteam, topographische Modelle von über 80 Entwicklungsländern zu erstellen - bis auf einen Höhenmeter genau. Dann wurde simuliert, was passiert, wenn der Meeresspiegel um einen Meter und mehr ansteigt:

    " Wir haben herausgefunden, dass schon bei einem Meeresspiegel-Anstieg von einem Meter mehr als 190.000 Quadratkilometer verloren gehen - 0,3 Prozent der Fläche dieser Länder. Sie werden überflutet, wenn niemand Schutzmaßnahmen ergreift. "

    0,3 Prozent. Eine erstaunlich kleine Zahl, wie es scheint. Wäre ein Anstieg des Meeresspiegels also gar nicht so dramatisch?

    " Man muss sich klar machen, dass die Küstenregionen oft viel dichter besiedelt sind als das Inland. Unsere Kalkulationen ergaben, dass allein auf diesen 0,3 Prozent Landesfläche 56 Millionen Menschen leben. Wenn der Meeresspiegel steigt, werden sie zu Umweltflüchtlingen. "

    Wahrscheinlich ist diese Zahl sogar zu tief gegriffen. Denn ausgerechnet die am stärksten bedrohten Entwicklungsländer tauchen in der Weltbank-Studie gar nicht auf:

    " Für unsere Studie brauchten wir detaillierte geographische und ökonomische Daten aus den einzelnen Ländern. In kleinen Inselstaaten liegen aber keine so genauen vor. Deswegen konnten wir sie leider nicht berücksichtigen. "

    Zuletzt gerieten die Malediven in die Schlagzeilen. Wie es hieß, schaut sich ihr Regierungschef bereits nach Ausweichquartieren für die Bevölkerung um - weil das Urlaubsparadies ein Raub des anschwellenden Meeres werden könnte. Der Verzicht auf die kleinen Inselstaaten ist sicher ein Manko der Weltbank-Studie. Dafür geht sie bei den behandelten Entwicklungsländern stärker ins Detail. Herausgekommen ist am Ende eine Top Ten. In der Liste stehen die zehn Küstenländer, die der Meeresspiegel-Anstieg besonders gefährdet. Weltbank-Expertin Susmita Dasgupta:

    " Generell wird die Pazifikküste in Ostasien am stärksten vom Meeresspiegelanstieg betroffen sein. Am härtesten dürfte es Vietnam treffen. "

    Mehr als ein Zehntel der Bevölkerung Vietnams lebt im flachen Küstengebiet und muss fürchten, von dort vertrieben zu werden. Der größte relative Landverlust kommt dagegen auf die Bahamas zu: Knapp zwölf Prozent könnte er betragen. In Ägypten ist mehr als ein Achtel der nationalen Agrarfläche in Gefahr - weil das fruchtbare Schwemmland im Nil-Delta so tief liegt. All das sind Zahlen aus der Weltbank-Studie. Eine große Frage bleibt allerdings: Wird der Meeresspiegel im Zuge der Klimaerwärmung überhaupt um einen Meter zulegen? Für den Vorsitzenden des Welt-Klimarates, Rajendra Pachauri, ist das auf jeden Fall möglich:

    " Selbst wenn wir unsere Treibhausgas-Emissionen zügig reduzieren, wird der Meeresspiegel um 40 bis 140 Zentimeter steigen - allein durch die thermische Ausdehnung des Wassers. Das mag vielleicht nicht mehr in diesem Jahrhundert geschehen. Aber den Grundstein dafür haben wir bereits gelegt. "

    Es ist sogar von einem noch höheren Meeresspiegel auszugehen - wenn die Gletscher in Grönland und der West-Antarktis weiter abtauen und ihr Schmelzwasser in den Ozean fließt. Bedrohte Entwicklungsländer können nur hoffen, dass sie bis dahin wirtschaftlich erstarkt sind, um sich vor der Überflutung zu schützen.