Ralf Krauter: Tien Shan, das ist eine Gebirgskette in Zentralasien, deren weiße Gipfel Millionen Menschen in Kasachstan, Kirgistan, Usbekistan und Teilen Chinas mit Wasser versorgen.
Allzu lange werden die Gebirgsbäche aber wohl nicht mehr sprudeln. Denn eine Langzeitbeobachtung, publiziert im Fachmagazin Nature Geoscience belegt jetzt, dass die Gletscher im Tien Shan in den vergangenen 50 Jahren ein Viertel ihrer Eismassen verloren haben. -25 Prozent in 50 Jahren. Ralf Krauter hat die Geoökologin Dr. Doris Düthmann vom Geoforschungszentrum Potsdam, die an der Studie beteiligt war, gefragt, ob das global gesehen viel oder wenig ist.
Doris Düthmann: Wenn man jetzt diesen Eisverlust als prozentualen Wert vergleicht, dann sind die 25 Prozent Verlust über 50 Jahre im Vergleich zum globalen Mittel eher ein recht hoher Wert. Aber das liegt hauptsächlich daran, dass die Gletscher in Zentralasien, auch wenn es eigentlich sehr große Gletscher sind, im globalen Vergleich dann doch wiederum klein sind und deswegen der prozentuale Eisverlust halt so hoch ist. Wenn wir uns dagegen spezifische Massenbilanzraten anschauen, wie stark die mittlere Mächtigkeit der Gletscher jährlich abnimmt, dann liegen unsere Schätzungen für den Tien Shans eigentlich ungefähr im globalen Mittel. Aber es ist trotzdem natürlich ein sehr großer Eisverlust.
Krauter: Welche Daten sind in Ihrer Analyse jetzt eingeflossen, um zu diesem Ergebnis zu kommen, minus 25 Prozent in 50 Jahren? Wie kommen Sie darauf?
Düthmann: Die Daten, die wir verwendet haben, sind ganz unterschiedliche Daten. Es sind einmal direkt glaziologisch gemessene Zeitreihen, wo man tatsächlich zu den Gletschern hingeht und dort im Akkumulationsbereich den Schnee misst und im unteren Bereich die Massenverluste. Diese Messungen sind sehr aufwendig, deswegen gibt es eigentlich nur sieben Zeitreihen mit Messungen, die länger als fünf Jahre sind, nur für einzelne Gletscher. Für den modernen Zeitraum haben wir dann zusätzlich Satellitendaten verwendet, die auch eine größere Fläche abdecken. Das sind zum einen Daten von GRACE. Das ist ein Satellitenpaar, mit dem Änderungen des Erdschwerefelds gemessen werden. Durch die Abnahme von dem Gletschereis kommt es ja auch zu einer Massenänderung und diese Massenänderung kann man dann auch aus dem GRACE-Signal ableiten. Die dritten Daten, die wir verwendet haben, sind auch Satellitendaten von ICESat. Das ist ein Satellit mit einem Laser, mit dem man die Höhe der Erdoberfläche messen kann, und durch wiederholte Messungen kann man dann aus der Differenz die Gletscherhöhenänderung ableiten, aus der man wiederum mit einer Annahme von einer Dichte auch die Gletschermassenänderung ableiten kann.
Deutlich höhere Sommertemperaturen als Ursache
Krauter: Also eine Kombination ganz unterschiedlicher Messverfahren, die eingeflossen sind in Ihre Analysen?
Düthmann: Ja.
Krauter: Was wissen Sie denn über die Ursachen der Gletscherschmelze im Tien Shans? Kann man das heute schon dingfest machen? Liegt es am Klimawandel oder woran eigentlich?
Düthmann: Das, denke ich, kann man eigentlich schon relativ klar sagen. Wir haben ja auch die Entwicklung der Gletscher über die ganze Zeit und können sie dann mit der Niederschlags- und Temperaturentwicklung vergleichen und sehen, welche Faktoren dann die größte Rolle spielen für die Gletscheränderung. Und in diesem Fall sind es sehr klar die Sommertemperaturen, die hier einen doppelten Einfluss haben, nämlich einmal ist es ja klar: Wenn die Temperaturen im Sommer ansteigen, haben wir eine höhere Gletscherschmelze. Und ein anderer Punkt, der noch da hinzukommt, ist, dass große Teile vom Tien Shans auch Gebiete sind mit Sommerniederschlägen, und da führen die höheren Temperaturen auch dazu, dass es dann teilweise auch in sehr hohen Gebieten im Sommer mal öfter regnet als es schneit und es dann zu weniger Akkumulation kommt.
Krauter: Wie wird es weitergehen? Was verraten Ihre Messungen und Modellierungen jetzt über die Zukunft der Gletscher im Tienschan?
Düthmann: In erster Linie ging es bei dieser Studie ganz klar darum, die Gletscheränderung in der Vergangenheit abzuschätzen und zu verstehen. Wenn wir dann aber verstehen, wie die Gletscher jetzt in der Vergangenheit auf Temperaturänderungen reagiert haben, können wir auch durchaus grob abschätzen, welche Folgen weitere Temperaturzunahmen haben. Nach Klimaszenarien sind die Temperaturen jetzt im Zeitraum 2021 bis 2050 um die zwei Grad wärmer als für den Zeitraum 1961 bis 90, und wenn wir das jetzt mal mit unseren Daten ganz grob abschätzen, kommen wir dann zu einer Gletscherabnahme in 2050 im Vergleich zu heute von rund 50 Prozent, wobei aber die Unsicherheiten dabei wirklich sehr groß sind und das ist nur eine ganz einfache grobe Schätzung, wo man bestimmt noch mehr machen muss.
Wasserspeicher-Funktion bedroht
Krauter: Aber diese Schätzung würde besagen, dass von dem, was heute noch übrig ist, noch mal die Hälfte verschwinden würde. Welche Folgen hätte denn das Schwinden dieser Eismassen für die Menschen in der Region, in Zentralasien?
Düthmann: Spürbare Folgen für die Menschen ergeben sich hauptsächlich durch die Auswirkungen auf den Wasserhaushalt. Die Gletscher wirken ja als Speicher und speichern einmal Wasser zwischen Jahren und können damit regulierend wirken zwischen feuchten und trockenen Jahren, indem sie in trockenen Jahren mehr Wasser abgeben und dadurch einen Teil des fehlenden Niederschlages kompensieren. Und dann wirken sie auch saisonal als Speicher, indem sie den Winterniederschlag als Schnee und Gletschereis speichern, der dann erst im Sommer wieder tauen wird, und das ist gerade die Zeit, in der das Wasser auch für die Bewässerung benötigt wird.
Krauter: Das heißt, den Menschen dort könnte einfach das Wasser ausgehen für die Landwirtschaft in der Form, wie sie sie jetzt betreiben zum Beispiel?
Düthmann: Genau. Da müsste man dann darauf reagieren, indem man zum Beispiel schaut, ob man noch mehr zusätzliche Wasserspeicher errichten kann, Talsperren, in denen man das Wasser, was dann möglicherweise zu früh zum Abfluss kommt, zwischenspeichern kann.
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