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Klimawandel
"Risiko von Kippelemente ist bei Temperaturbegrenzung geringer"

Kippelemente müssen bei der Klimaerwärmung mehr Aufmerksamkeit erhalten, sagte Ricarda Winkelmann im DLF, denn sie lösten vielfältige Dominoeffekte aus. Je mehr Treibhausgas-Emissionen in die Atmosphäre kommen, desto mehr steige die Temperatur an und desto größer wird das Risiko, dass solche unwiderruflichen Prozesse ausgelöst würden, sagte die Wissenschaftlerin am Potsdam Institut für Klimafolgenforschung.

Ricarda Winkelmann im Gespräch mit Mirjam Kid   | 23.06.2016
    Das Foto zeigt einen einen Fluss, der im Eis eines Gletschers auf Grönland verschwindet.
    Ein Fluss, der im Eis eines Gletschers auf Grönland verschwindet. (picture alliance / dpa / Thomas Nylen)
    Mirjam Kid: Extreme Wetterereignisse, die würden auch in Zukunft weiter zunehmen, wenn wir den Klimawandel und den Temperaturanstieg auf der Erde nicht begrenzen. Das sagen die Experten. Nicht mehr als zwei Grad Erwärmung, dieses Ziel hat sich die internationale Gemeinschaft bei der Pariser Klimakonferenz gegeben, und das ist auch bitter nötig, sagen Forscher. Denn bereits bei zwei Grad mehr werden in unserem Ökosystem Dominoeffekte ausgelöst, die sich nicht mehr aufhalten lassen könnten. Eine, die zu diesen Effekten forscht, ist Ricarda Winkelmann. Sie ist Wissenschaftlerin am Potsdam Institut für Klimafolgenforschung. Guten Tag, Frau Winkelmann.
    Ricarda Winkelmann: Guten Tag.
    Kid: Tipping Points oder Kippelemente heißen diese Dominoeffekte im Fachjargon. Worum handelt es sich dabei?
    Winkelmann: Die Kippelemente, das kann man sich wirklich vorstellen wie die Achillesfersen in unserem Erdsystem oder im Klimasystem. Das sind wirklich die entscheidenden Bestandteile für unser Erdsystem und die können schon durch kleine Störungen in einen neuen Zustand versetzt werden. Diese Kippelemente, die werden schon seit einigen Jahren untersucht und erforscht und reichen von den beiden Eisschilden auf Grönland und der Antarktis über den Amazonas-Regenwald bis hin zu den großteiligen Ozeanen und atmosphärischen Strömungen.
    Kippelemente bedürfen besondere Aufmerksamkeit
    Kid: Das heißt, die Klimaerwärmung läuft nicht linear ab, der Klimawandel läuft nicht linear, sondern wenn eine bestimmte Temperaturgrenze überschritten wird, dann werden bestimmte Effekte im Ökosystem ausgelöst. Richtig?
    Winkelmann: Genau. Es ist tatsächlich so, dass gerade diese Kippprozesse sich häufig selbst verstärken. Um ein Beispiel zu nennen: Wir kennen das alle, wenn wir einen Berg rauflaufen. Dann nimmt die Temperatur ja mit der Höhe ab. Das kennen wir aus eigener Erfahrung vom Bergsteigen. Das ist einer der Gründe, warum zum Beispiel der grönländische Eisschild zu den Kippelementen im Klimasystem gehört. Denn man kann sich das gut vorstellen: Wenn vom grönländischen Eisschild an der Oberfläche etwas abschmilzt, dann wird eine niedrigere Höhe erreicht, dann steigt die Temperatur und es kommt zu mehr Schmelzen. Das heißt, dieses Schmelzen von Grönland kann sich, wenn eine bestimmte Grenze überschritten ist, selbst antreiben, und das ist der Grund, warum diese Kippelemente besonderer Aufmerksamkeit bedürfen.
    Kid: Ein gutes Bild ist vielleicht auch dieses Bild vom Kippen mit dem Stuhl. Man ist im Gleichgewicht, aber ab dem Moment, wo man aus dem Gleichgewicht herauskommt, dann fällt man sehr schnell, und so werden diese Kippelemente ja teilweise auch beschrieben.
    In Ihrer aktuellen Studie zeigen Sie in einem Diagramm, welche Kippelemente bei wie viel Grad Celsius in Gang gesetzt werden. Womit haben wir denn bei zwei Grad Erderwärmung bereits zu rechnen?
    Winkelmann: In unseren Diagrammen fassen wir ja gerade zusammen, was wir im Moment über diese Kippelemente wissen, und die entscheidende Aussage ist zunächst einmal, dass das Risiko, dass solche Kippprozesse im Erdsystem ausgelöst werden, mit der globalen Erwärmung ansteigt. Das heißt, je mehr Treibhausgas-Emissionen in die Atmosphäre kommen, desto mehr steigt die Temperatur an und desto größer wird das Risiko, dass solche unwiderruflichen Prozesse ausgelöst werden.
    Kid: Was sind denn die Konsequenzen? Wenn wir mal auflisten: Wir haben Abschmelzen von Gletschern. Und was gibt es noch? Was wird ausgelöst möglicherweise?
    Winkelmann: Zu den Kippelementen gehören, wie Sie gerade schon gesagt haben, die beiden Eisschilde auf Grönland und der Antarktis. Es gehört das arktische Meereis dazu, es gehören die Gebirgsgletscher dazu, also wirklich die ganze Eislandschaft gehört dazu. Aber auch Kippelemente in der Biosphäre, zum Beispiel der Amazonas-Regenwald, Kippelemente im Ozean wie etwa Strömungen wie der Golfstrom. Das sind alles Kippelemente in unserem Erdsystem, die wirklich nicht isoliert sich verhalten, sondern den gesamten Planeten betreffen und die Lebensgrundlage von vielen Millionen Menschen bilden.
    Kid: Was verändert sich dann bei den Meeresströmen? Sie haben eben den Golfstrom angesprochen.
    Winkelmann: Wenn der Golfstrom sich verändert, dann hat das tatsächlich Auswirkungen auf das gesamte Klimasystem. Die reichen von einer Abkühlung auf der Nordhemisphäre, einer Erwärmung auf der Südhemisphäre bis hin zu Auswirkungen auf die atmosphärische Zirkulation oder auch auf das Ökosystem im Ozean.
    Kid: Ist das schon zu befürchten bei einer Erwärmung von zwei Grad Celsius?
    Winkelmann: Bei der Ozeanzirkulation ist es tatsächlich so, dass wir denken, dass das Risiko, dass sich dort große Veränderungen abspielen, stark reduziert wird, wenn wir das Pariser Klimaabkommen einhalten, und das ist gerade der Grund, warum es aus wissenschaftlicher Sicht so notwendig ist, wenn wir diese starken Risiken vermeiden wollen, dass das Klimaabkommen eingehalten wird.
    Kid: Über Kippelemente im Ökosystem und wie das in Verbindung steht mit dem Klimawandel, darüber haben wir mit Ricarda Winkelmann gesprochen. Sie ist Wissenschaftlerin am Potsdam Institut für Klimafolgenforschung und sie sagt, wenn wir die Temperaturerwärmung auf zwei Grad begrenzen, dann gibt es ein deutlich geringeres Risiko, dass katastrophale Kippelemente ausgelöst werden. Frau Winkelmann, vielen Dank.
    Winkelmann: Vielen Dank.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.