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Klimawandel
"Starke Zunahme der Schäden"

Starkregen hat diesen Sommer schwere Schäden verursacht - und es könnte noch schlimmer kommen: Forscher des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung rechnen mit doppelt bis viermal so schweren Flutschäden bis zum Ende des Jahrhunderts, erklärt Leitautor Fred Hattermann im DLF.

Fred Hattermann im Gespräch mit Lennart Pyritz | 20.07.2016
    Helfer arbeiten in dem vom Tiefenbach überfluteten Polling (Bayern). Unwetter mit starkem Regen und zum Teil kräftigen Gewittern haben vielen Menschen in Bayern erneut schwer zu schaffen gemacht.
    Helfer arbeiten in dem vom Tiefenbach überfluteten Polling (Bayern). (picture alliance / dpa / Karl-Josef Hildenbrand)
    Lennart Pyritz: Bereits vor knapp zwei Jahren hatten Forscher des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung, kurz PIK, eine Studie zu möglichen Hochwasserschäden in Deutschland unter Berücksichtigung des Klimawandels vorgelegt. Auftraggeber war der Gesamtverband der Deutschen Versicherer. Diese Studie haben die Experten nun noch einmal überarbeitet. Leitautor beider Veröffentlichungen ist Fred Hattermann vom PIK. Mit ihm habe ich vor der Sendung telefoniert. Derzeit liegen die jährlichen Schadenskosten in Deutschland bei etwa 500 Millionen Euro. Meine erste Frage am Telefon war nun: In welchem Ausmaß müssen wir uns künftig in Deutschland auf Flutschäden einstellen?
    Fred Hattermann: Auf unseren Computersimulationen sehen wir, dass es im günstigen Fall zu einer Verdopplung bis zum Ende des Jahrhunderts kommt und im ungünstigeren Fall im Mittel bis zu einer Vervierfachung. Günstig bedeutet es, dass wir eben Vorsorge betreiben insofern, als dass der Klimawandel nicht so stark ausfällt und im ungünstigen Fall hätten wir dann eine Temperaturzunahme, die so bis zu 4,5 Grad ginge hier. Und das wäre dann wirklich auch mit einer starken Zunahme der Schäden bis zu einer Vervierfachung verbunden.
    Lennart Pyritz: Welche Schäden haben Sie da berücksichtigt?
    Hattermann: Das sind Schäden an Eigenheimen und kleinen Betrieben. Die Daten davon hatten wir von den großen deutschen Versicherern für 5.000 Flussabschnitte in Deutschland, und dann gucken wir uns eben an aus der Modellkette, Klimamodell, biologisches Modell, wie häufig haben wir hier extreme Hochwasser, die dann eben zu Schäden führen. Das summieren wir auf, und dann sehen wir eben, wie stark diese untern den jeweiligen Bedingungen ansteigen.
    Wärmeatmosphäre nimmt mehr Feuchtigkeit auf
    Pyritz: Bevor wir genauer auf die Methodik der Studie eingehen, möchte ich nach den Ursachen fragen: Was sind denn konkret die klimatischen Faktoren für das steigende Risiko von Hochwasserschäden, das Ihre Studie zeigt?
    Hattermann: Es ist insgesamt schon so weltweit, dass die Temperaturen um circa einen Grad gestiegen sind, und eine Wärmeatmosphäre kann auch mehr Feuchte aufnehmen. Und da die meisten Flächen der Erde Ozeane sind, kommt es zu einer Aussättigung der Atmosphäre mit Feuchte, und das ist ein höheres Potenzial für Niederschläge. Tatsächlich steigen die Niederschläge weltweit um sieben, acht Prozent, schon beobachtet, und auch die intensiven Niederschläge steigen. Das ist natürlich auch ein bisschen regional unterschiedlich, aber insgesamt ist das Potenzial einfach höher für starke Niederschläge. Und starke Niederschläge bedeuten dann auch mehr Hochwasser.
    Dr. Fred Hattermann vom Potsdam Institut für Klimafolgenforschung gestikuliert in einem Interview.
    Pyritz: Sie haben es eben schon erwähnt, Sie haben Modellrechnungen gemacht. Und zwar haben Sie untersucht, wie sich klimabedingte Veränderungen auf die fünf größten deutschen Flüsse – Rhein, Donau, Elbe, Weser und Ems – auswirken werden oder könnten. Wie genau sind Sie dabei vorgegangen? Können Sie das noch mal ein bisschen kleinschrittiger darstellen?
    Hattermann: Am Ende ist es eine Modellkette. Wir gucken uns erst mal an, wie sind die Temperaturen unter jeweiligen Szenariobedingungen, also wie viel mehr Autos fahren in Zukunft, wie stark vermeiden wir auch Emissionen. Unter diesen Szenariobedingungen läuft dann ein globales Klimamodell, das erst mal den Temperaturanstieg darstellt, und in dieses globale Modell werden dann regionale Klimamodelle genestet. Das ist dann zum Beispiel für Deutschland oder für Europa, das eben kleinskaliger auflöst, wie das Wettergeschehen, das Niederschlagsgeschehen und der Temperaturanstieg in unserer Region ist – in Deutschland zum Beispiel –, und diese Daten. Das sind dann im Grunde tägliche Wetterdaten, die dieses Klimamodell liefert. Das füttern wir dann in ein hydrologisches, also in ein Wassermodell, wobei wir da mehr als 5.000 Flussabschnitte für Deutschland abbilden, also die fünf großen Flüsse auch mit den Oberligagebieten, da wo ja auch die Hochwasser entstehen, zum Beispiel Österreich, Schweiz und so weiter. Dann wird die Hochwasserwelle über die Flussläufe bis zur Nordsee durchgeleitet. Und wir gucken uns dann an, wie hoch diese Hochwasser sind. Dann haben wir wiederum Schadensdaten von den Versicherern für diese Flussabschnitte, also spezifisch für diese Flussabschnitte. Die sehen dann anders aus in Köln-Mitte, sage ich mal so, wie in einem ländlichen Standort. Dann sehen wir, aha, bei dem hätten wir einen Schaden von so und so, und das summieren wir dann über Deutschland auf oder über die Flussgebiete. Und dann kommen wir zu diesen Aussagen des Anstieges.
    Neue Studie kombiniert verschiedene Klimamodelle
    Pyritz: Sie haben ja jetzt noch einmal eine Studie aus dem Jahr 2014 überarbeitet. Welche neuen Daten sind da konkret eingeflossen?
    Hattermann: Die Kritik an der alten Studie war so ein wenig, dass wir nur ein globales Modell betrachtet hatten. Das ist das vom Max-Planck-Institut in Hamburg, das ist das deutsche globale Klimamodell. Und dann hatten wir da verschiedene regionale Klimamodelle genestet und die Daten in das hydrologische Modell gefüttert. Die Kritik war so ein bisschen, na ja, ihr habt ja das deutsche Modell genommen. Was ist denn, wenn ihr das englische nehmt als globalen Treiber oder wenn ihr das schwedische, kanadische und so weiter nehmt, da könnte es ja Unterschiede geben. Die sind ja nicht alle in ihrer Aussage absolut gleich. Das haben wir jetzt gemacht, wir haben das viel breiter aufgestellt, also eine viel größere Kombination von globalen und regionalen Modellen betrachtet. Das Frappierende an den Ergebnissen ist, dass egal welche Kombination wir betrachtet haben und egal, ob wir auch, ich sage mal, eine stärkere Vermeidungspolitik betreiben, also der Klimawandel nicht so stark ausfällt, es kommt in den neueren Szenarien immer zu einem Anstieg der Schäden. Ich hatte durchaus damit gerechnet, dass auch in einer dieser ganzen Läufe – insgesamt haben wir 35 betrachtet – es vielleicht auch mal zu einer Abnahme der Schäden kommt, aber das war nicht der Fall.
    Pyritz: In diesem Sommer hat sich ja gezeigt, dass bei Starkregen nicht nur Orte an großen Flüssen von Hochwasser betroffen sein können, zum Beispiel Braunsbach oder Oberzinn. Können Sie auch zum Risiko abseits von Rhein und Co Aussagen machen anhand Ihrer Studie?
    Hattermann: Ja, insofern schon, als dass dieses Risiko auch deutlich ansteigt. Es ist aber, umso kleiner die Gebiete werden – das kann man sich ja vorstellen – umso schwieriger ist die Aussage. Irgendwann kumulieren sich diese ganzen Abflüsse in den großen Flüssen. Die werden eigentlich immer betroffen sein. Es ist aber so, dass diese kleinen Gebiete ... das ist einfach sehr komplex das Wettergeschehen und dann auch ein bisschen vom Zufall abhängig. Insgesamt haben wir überhaupt zwei Hochwasserentstehungsgeschichten: Das sind einmal diese großen Flusshochwasser, wie wir sie 2002, 2013 an der Elbe hatten und in der Donau, und dann gibt es diese Sturzregengeschichten. Die sind einfach viel schwerer allein schon an der Wettervorhersage abzubilden. Die sind auch räumlich viel schwerer einzugrenzen. Was wir sagen können, ist, dass die auch häufiger auftreten werden, aber das lässt sich räumlich sehr viel schwerer eingrenzen.
    Wie gegensteuern?
    Pyritz: Mit welchen Maßnahmen lässt sich den steigenden Überschwemmungsgefahren denn nun entgegensteuern?
    Hattermann: Da gibt es eine ganze Facette von Maßnahmen. Das kann einmal persönlich sein, also dass die Leute auch wirklich auf Hochwasserwarnungen hören, was auch nicht immer der Fall ist, dass sie private Vorsorge treffen, also sich zum Beispiel versichern. Dann auf dem nächsten Level kann das sein, dass auch das Risikomanagement auf der kommunalen Ebene gesteigert wird, dass Deiche wirklich instandgehalten werden oder erhöht werden. Dann gibt es mobile Hochwasservermeidungswände, Sandsäcke, diese ganzen Geschichten. Dann auf der internationalen Skala, dass länderübergreifend das Risiko gemanagt wird, also vom Oberlieger – Schweiz, Österreich, Tschechien – zum Unterlieger, und dann vielleicht auf der ganz großen Skala, dass ein starker Temperaturanstieg tatsächlich vermieden wird.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.