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Klimawandel und Artenschutz
Die Suche nach einer umfassenden Strategie

Maßnahmen in den Bereichen Klima- und Artenschutz können sich gegenseitig verstärken. Der erste gemeinsame Weltkrisenreport von Weltklimarat IPCC und Welt-Biodiversitätsrat IPBES will dazu anregen, solche Synergien besser zu nutzen. Experten aus beiden Bereichen sind sich einig: Die Zeit drängt.

Von Volker Mrasek | 10.06.2021
Eine tote Brasse liegt am Ufer des Kutterhafens im ostfriesischen Fischerdorf. Als Folge der Hitze sind im ostfriesischen Fischerdorf Greetsiel zentnerweise Fische verendet. Grund für das Fischsterben ist der zu hohe Salzgehalt im Wasser.
Die Hitze in Deutschland ist für viele Fische tödlich. (dpa / Mohssen Assanimoghaddam)
Normalerweise dauert es Jahre, bis Weltklima- oder Weltbiodiversitätsrat einen neuen Bericht vorlegen. Mit ihrer ersten gemeinsamen Veröffentlichung hatten es IPCC und IPBES eiliger. Erst im Dezember traf man sich zum Workshop, geleitet vom deutschen Ökologen Hans-Otto Pörtner. Und schon jetzt erscheint der Ergebnisbericht - rund 300 Seiten stark und extern begutachtet.

Klimawandel bedroht Artenvielfalt

Offensichtlich besteht auch Grund zur Eile. Denn beide nehmen immer mehr Fahrt auf – Klimawandel und Artenschwund: "Die nächsten zehn Jahre sind nicht nur für den Klimaschutz wichtig, sie sind auch für den Biodiversitätsschutz wichtig. Man muss in beiden Bereichen ja schon von einer globalen Krise sprechen, wodurch es sehr sinnvoll ist, die Ergebnisse schon jetzt in die Öffentlichkeit zu tragen."
Bisher spielt der Klimaschutz eindeutig die erste Geige. Und der Erhalt der Artenvielfalt eher eine Nebenrolle. Als langjähriger Autor des Weltklimarates ist Pörtner hier durchaus selbstkritisch: "Da ist es ganz wichtig, dass man das eine nicht ohne das andere denkt. Das ist leider momentan noch ein bisschen der Fall, und das müssen wir ändern."
Der gemeinsame Bericht der beiden Fachgremien soll einen stärkeren Anstoß dazu geben – und zu größeren Synergien zwischen Klima- und Biodiversitätsschutz führen. Es gehe um sogenannte Win-win-Situationen, sagt der Experte vom Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung. In beiden Bereichen gebe es Lösungen, die sich gegenseitig verstärken. "Und die müssen wir herauskitzeln. Denken Sie an die Moore!"

Gute und schlechte Konzepte

Torfböden etwa lagern enorme Mengen des Treibhausgases Kohlendioxid ein: "Wenn wir die Moore renaturieren, wiedervernässen und die Kohlenstoffspeicher sichern, haben wir etwas getan für den Klimaschutz, aber wir haben auch etwas getan für die spezielle Artenvielfalt und den Lebensraum Moor."
Als Beispiele für andere große, wertvolle CO2-Speicher nennt der Bericht tropische Mangroven und Regenwälder. Die Abholzung dieser Ökosysteme zu stoppen und sie wo immer möglich wiederherzustellen, müsse höchste Priorität haben.
Nicht viel hält man beim IPCC und IPBES dagegen von der populären Idee, große Landflächen aufzuforsten, auf denen vorher gar kein Wald stand. Dadurch gingen nämlich angestammte Artengemeinschaften verloren, und nicht immer schlucke der neue Wald nachher mehr CO2 als die ursprüngliche Vegetation.
Kritik gibt es auch an dem Klimaschutzkonzept, abertausende Biomasse-Kraftwerke zu bauen, deren CO2 man auffängt und unterirdisch deponiert. So ließe sich Kohlendioxid sogar wieder aus der Atmosphäre entfernen. Nur müssten dafür auch die nötigen Energiepflanzen angebaut werden, womöglich auf einer Fläche anderthalbmal so groß wie Indien, heißt es in dem neuen Bericht.

Dazu der Zoologe Josef Settele vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung in Halle: "Diese Biomasse-Plantagen – richtig schlechte Idee, würde ich sagen! Dort hat man Flächen, die ganz wenig Biodiversität beinhalten, ganz wenig Arten, die da vorkommen. Also, Maisfelder für Biogas sind so ein Musterbeispiel aus meiner Sicht, wo wir eigentlich im Prinzip viele andere Sachen viel besser machen könnten und genau dieses sein lassen sollten."

"Warten geht nicht mehr!"

Nur 15 Prozent der Landflächen und knapp acht Prozent des Ozeans stünden heute unter Schutz, bemängeln Settele und die anderen Autorinnen und Autoren. Wolle man den Artenschwund stoppen oder gar umkehren, seien aber mindestens 30 Prozent nötig. Handlungsbedarf gebe es aber auch außerhalb von Schutzzonen. So könne man Städte stärker begrünen, Solarparks mit Wildpflanzenwiesen kombinieren oder künstliche Riffe in Offshore-Windfarmen anlegen. Lauter Beispiele, bei denen man etwas für Klima- und Artenschutz tut.
Wasserkraft gilt als saubere Energiequelle. Deshalb bauen sie viele Länder derzeit aus, etwa in Osteuropa. Das geschehe oft ohne Rücksicht auf Umwelt- und Artenschutzbelange, kritisiert der Report. Das Gleiche gelte für neuerrichtete Deiche zum Schutz vor höheren Meereswasserständen oder für Windräder, mit denen Vögel kollidieren. Auch hier seien Verbesserungen zwingend.
Die Kernbotschaft ist aber eine längst bekannte. Hans-Otto Pörtner bekräftigt sie noch einmal. Vor allem sollten wir unseren Treibhausgas-Ausstoß endlich energisch reduzieren: "Warten geht nicht mehr! Ich denke, der schnelle Einstieg in die Emissionsreduktion und in den Naturschutz ist enorm wichtig."