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Klimazuschlag bei der Deicherhöhung

Bei der Deichwartung spielt immer mehr die Frage eine Rolle, wie hoch der Meeresspiegel ansteigen wird aufgrund von klimatischen Veränderungen. Weil hier eine exakte Prognose schwierig ist, ist das Bundesland Schleswig-Holstein dazu übergegangen, bei der anstehenden Erhöhung der Deiche gleich von vornherein einen Sonderposten einzurechnen, den sogenannten Klimazuschlag.

Von Matthias Günther | 14.04.2009
    Durch den Klimawandel steigt nicht nur der Meeresspiegel - vor allem an der Nordseeküste ist auch vermehrt mit stärkeren Herbststürmen zu rechnen: Die Sturmflutgefahr wächst. Die schleswig-holsteinische Landesregierung hat daraus die Konsequenzen gezogen, sagt Dietmar Wienholdt vom Umweltministerium:

    "Wir machen es so, dass wir unsere jetzigen Deiche überprüfen auf den derzeitigen Zustand und stellen uns ein auf die Frage, ob sie derzeitig hoch genug sind. Und wenn wir feststellen, sie sind jetzt zu niedrig, dann bauen wir sie neu aus, und dann schlagen wir zu dem Bemessungswasserstand noch mal extra 50 Zentimeter Höhe drauf - als Klimazuschlag."

    Schleswig-Holstein hat an Nord- und Ostsee eine Küstenlinie von rund 1200 Kilometern. 527 Kilometer werden durch Deiche vor Sturmfluten geschützt. Die Deiche sind in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder an neue Erkenntnisse angepasst worden, aber:

    "Wir haben im Moment 75 Kilometer noch, die dringend verstärkt werden müssen, weil sie nach heutigen Gesichtspunkten schon zu niedrig sind. Und die werden dann gleich mit Klimazuschlag ausgebaut. Wir haben aber auch schon 30 Kilometer neu verstärkt, die diesen Klimazuschlag beinhalten."

    An der Ostküste Schleswig-Holsteins sind extreme Sturmfluten selten - aber nicht unmöglich: im Jahre 1872 stieg der Wasserspiegel in der Lübecker Bucht um drei Meter 50 über den normalen Meeresspiegel, hunderte Quadratkilometer wurden überflutet, 271 Menschen kamen ums Leben. Solche extremen Wasserstände an der Ostseeküste erklärt Dietmar Wieholdt vom Umweltministerium mit dem so genannten Badewanneneffekt:

    "Wenn wir eine längere Zeit Westwind haben, dann staut sich das Wasser nach Norden in der Ostsee. Und wenn der Wind wieder nachlässt und die Kraft nachlässt, dann schwappt das zurück. Und weil das das Gleiche ist, wie ein Mensch, der in der Badewanne die Wassermasse zu den Füßen bewegt, der wird auch erleben, dass auf der anderen Seite eine Welle ihm entgegen kommt und ihm möglicherweise bis zum Hals reicht."

    Die ohnehin vorhandene Überflutungsgefahr an der Ostseeküste steigt durch die Erderwärmung noch. Während die schleswig-holsteinischen Küstenschützer an der Nordsee einen Klimazuschlag von 50 Zentimetern einplanen, werden neue Schutzanlagen an der Ostsee 30 Zentimeter höher gebaut, als für heutige Verhältnisse nötig wäre. In der Lübecker Bucht liegen Orte wie Scharbeutz und Timmendorfer Strand direkt am Strand. Für Deiche ist hier kein Platz, sagt Johannes Oelerich, der Leiter des Landesbetriebs für Küstenschutz, Nationalpark und Meeresschutz.

    "Dort wo Platz ist, kann man Deiche bauen. Dort wo wenig Platz ist, muss man zurückgreifen auf feste Bauwerke, Spundwände, die dann zum Beispiel kaschiert werden durch dünenartige Strukturen. Aber dort, wo man die Blickachse zur Ostsee sicherstellen will, findet man an der Ostsee auch Glasscheiben, die dann den Hochwasserschutz sicherstellen."

    Der Klimazuschlag von 50 Zentimetern an der Nordsee und 30 Zentimetern an der Ostsee folgt den bisherigen Schätzungen des UN-Weltklimarates. Dietmar Wienholdt vom schleswig-holsteinischen Umweltministerium kann sich durchaus Szenarien vorstellen, die die jetzigen Planungen wieder über den Haufen werfen:

    "Was uns Sorgen macht, ist die Frage: Was ist mit der Eiskappe von Grönland? Denn die ist da nicht mit drin enthalten. Und wir haben auch gerade in der letzten Zeit erfahren: Wenn in Grönland nur zehn Prozent des Eises abschmelzen würden, was nicht ganz unwahrscheinlich zu sein scheint bis 2100, dann würden noch mal extra 70 Zentimeter oben drauf zu rechnen sein, so dass wir uns auch ständig überprüfen müssen, ob wir mit unseren Einschätzungen des Meeresspiegelanstiegs richtig liegen."